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Ausgabe 82-2/2000

"Drei Brüder"

(Film in der Diskussion zum Film DREI BRÃœDER)

Ein kasachischer Spielfilm des Regisseurs Serik Aprymov fiel beim Kinderfilmfest in Berlin empörend aus dem Rahmen. Gezeigt wird die dörfliche Kindheit von Chibut und seinen Brüdern, die in einem Steppendorf aufwachsen. Steppe, das klingt erst einmal nach unendlicher Weite, Pferden und Tradition, aber auch nach Langeweile. Der Regisseur setzt auf Gegensätze: Das Steppendorf, in dem die Kinder aufwachsen, liegt in der Nähe einer Militärbasis und was Wunder, sie sind fasziniert von den Kampfjets, die am Himmel ihre Trainingsflüge absolvieren.

Vorerst dient ihnen ein Rangierbahnhof am Rand des Dorfes, auf dem ein ganzer Park Dampflokomotiven und Waggons vor sich hin rostet, als Spielplatz. Die Brüder Chibuts, er ist der jüngste, und eine rivalisierende Clique älterer Jungen haben sich in je einem der Waggons eingerichtet. Geduldet wird das vom Aufseher des Schrottparks, einem betagten Lokomotivführer, der den Jungs ein Freund ist und ihnen stolz beibringt, wie so eine Lokomotive funktioniert.

Das einzige Thema zwischen dem Alten und den Jungen sind die Frauen, unerreichbar zwar, aber durch Männerspintposter und geile Sprüche stets präsent. Der Alte schürt die Träume der Jungen noch durch eigene Erfahrungen, die er als junger Soldat an einem mit der Bahn erreichbaren See hinter den Bergen gemacht hat. Dort könne man sich Frauen kaufen. Die Erzählungen und Sprüche des Alten lassen bei den Jungen einen Wunsch entstehen, der allmählich ihr ganzes Handeln und Denken beherrscht: Eines Tages werden auch sie an diesen sagenhaften Ort fahren.

Die beiden rivalisierenden Cliquen finden in der Verwirklichung dieses Traums ein gemeinsames Ziel. Um sich die Frauen kaufen zu können, braucht man Geld. Waren sie von Anfang an nicht gerade zimperlich in ihren Methoden, sich zu bekämpfen, schrecken sie nun vor einem Raubüberfall nicht zurück. Gemeinsam wird ein Geldtransport überfallen, eine Lokomotive geentert und los geht die Fahrt ins Männerglück. Leider darf Chibut nicht mit. Er ist noch zu klein und das rettet ihm das Leben, denn was die Jungen auf der Lokomotive nicht wissen: Der alte Lokomotivführer hat mit der Militärbasis verabredet, eine Lokomotive in die Steppe fahren zu lassen, damit die Jetpiloten sich an einem bewegten Ziel üben können. Die Bomberstaffel steigt empor und vernichtet das Ziel. 'Chibut verliert seine Brüder und seine Freunde und hasst von da an das Militär, die Technik, die derart brutal sein junges Leben verändert hat. Er wird Hirte und erzählt als junger Mann seine Geschichte, um vor der Gewalt des Militärs zu warnen – so könnte der Film enden ... dann wäre er eine Tragödie, die zeigt, "dass letztendlich die Kinder die Opfer der Machtpolitik sind", wie die Leiterin des Festivals, Renate Zylla, diesen Film ankündigte.

Schön wär's. Der Film erzählt eine ganz andere Geschichte:

Anfangs sieht man Chibut als jungen Mann. Er ist Pilot eines Kampfjets. Er erzählt seine Kindheit, wie und warum er seine Brüder und Freunde verloren hat. Seine Botschaft ist folgende: Der Traum von den käuflichen Frauen wird den Jungen zum Verhängnis. Aufgegeilt vom alten Lokomotivführer werden sie zu Verbrechern. Sie überfallen einen Geldtransport und müssen sterben, werden vom quasi Militär ausradiert. Der Film widmet ihnen keine Sekunde der Trauer.

Chibuts Brüder sind gerade mal ein paar Sekunden tot, da wechselt der Film von der Vergangenheit in die Gegenwart und zeigt einen Kampfjet am blauen Himmel. Klar, dass Chibut der Pilot ist. Dazu hört man seine stolze Stimme. Er erzählt, wie toll es ist, so ein Kampfflugzeug zu fliegen. Nur in der Nacht habe es ihm anfangs Schwierigkeiten bereitet. Da sehe man nichts, wisse nicht, wo oben und unten ist und müsse sich ganz auf die Maschine verlassen. Wenn man das aber eines Tages geschafft habe, wenn man das totale Vertrauen in die wunderbare Technik des Jet gewonnen habe, dann, ja dann sei man der glücklichste Mensch der Welt.

Mir erzählt der Film, dass unwertes Leben ausradiert werden muss, damit, wie der Regisseur in einem Interview sagte, "nur die Guten Piloten werden können". Und der Film erzählt mir, dass es kein größeres Glück für einen Jungen gibt als Pilot eines Kriegsgeräts zu werden, durch das seine Freunde und Brüder den verdienten Tod gefunden haben.

Er habe die fatalen Folgen einer Illusion erzählen wollen, sagte der Regisseur. Die Illusion bestand für ihn im Traum von den käuflichen Frauen, für die die Kinder sogar Verbrechen begehen. Es tut mir leid, aber der Regisseur setzt gegen diese Illusion eine andere, entsetzlichere: die Illusion vom Militär, das die Welt mit Bomben in Ordnung bringt. Um seine Botschaft von den guten Kampfjetpiloten nicht zu gefährden, zeigt der Film natürlich nicht, wie die Kinder von den Bomben zerfetzt werden. Stattdessen zeigt er faszinierende Bilder von den Mordmaschinen.

Ein derart das Militär verherrlichender Film hat auf einem Kinderfilmfestival nichts, aber auch gar nichts zu suchen. Renate Zylla trifft ihre Entscheidungen, welche Filme auf dem Festival laufen, allein. Hier und da lässt sie sich wohl beraten. Wenn das bei diesem Werk der Fall war, dann hat die Beratung hier versagt.

Thomas Draeger

 

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