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Ausgabe 82-2/2000

"Kinder brauchen leise humanistische und poetische Botschaften"

Gespräch mit Christa Kozik

(Interview zum Film MORITZ IN DER LITFAßSÄULE und zum Film GRITTA VON RATTENZUHAUSBEIUNS)

Als Autorin hatte Christa Kozik wesentlichen Anteil an der Entstehung einiger der wichtigsten DEFA-Kinderfilme ("Phillip, der Kleine", "Sieben Sommersprossen", "Moritz in der Litfaßsäule", "Gritta vom Rattenschloss" u.v.a.). Klaus-Dieter Felsmann sprach mit ihr für die KJK über die vermeintliche Stoffmisere im deutschen Kinderfilm.

KJK: In der öffentlichen Diskussion hört man oft, es gäbe keine guten originären Stoffe für Kinderfilme. Dabei entsteht der Eindruck, es fällt den Autoren, auch solch gestandenen wie Ihnen, nichts mehr ein?
Christa Kozik: "Wenn es heißt, es gibt keine guten Geschichten, dann ist das etwas, was mich als Schriftstellerin und Filmautorin ganz schön aufregt. Die guten Geschichten gibt es schon, doch es braucht so viel Kampf und Kraft, um eine solche durchzusetzen. Der Kinderkinofilm ist ein Stiefkind in diesem Land. Das merkt man sehr deutlich, wenn man sich um Fördermittel bemüht. So schnell wird es unter diesen Bedingungen von mir wirklich nicht wieder etwas geben. Doch ich bleibe dran."

Das bleibt aber ein Widerspruch. Erwartet man vielleicht Bücher, die es so gar nicht geben kann?
"Das kann schon sein. Ich glaube aber, das ästhetische Denken bei den Förderern und insbesondere bei den Fernsehanstalten wird überwiegend durch das Amerikanische bestimmt. Ich jedenfalls höre oft, das sei nicht amerikanisch genug. Das klingt dann so, als ob sich dahinter die einzig mögliche Ästhetik verbirgt. Aber genau solche Filme will ich nicht schreiben. 'Kevin allein zu Haus' ist so ein Film, der mich unheimlich traurig gemacht hatte. Ich habe ihn im Kino zusammen mit über hundert Kindern gesehen. Wenn das Blut floss, haben die gegrölt vor Lachen. Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Damals hatte ich beschlossen, dass ich eine Gegengeschichte schreibe. Diese Gegengeschichte war dann 'Friedrich und der verzauberte Einbrecher'. Das ist auch sehr witzig erzählt, hat aber zusätzlich viel Poesie und vor allem eine humanistische Grundstimmung. Doch was machte der Verleih, als Rolf Losansky den Film dann fertig gedreht hatte? Er präsentierte ihn amerikanisch. Vom Plakat blickte ein neuer Kevin, quasi ein Plagiat. Da hatte mich das wieder eingeholt."

Das hieße aber, wir haben es nicht mit einem Problem bei den Geschichten zu tun, sondern um eines im Zusammenhang mit der Vermarktung?
"Ich denke, das ist einfach eine Frage der Reklame und der Manipulation. Alles steht und fällt mit dem Geld, das man einsetzen kann. Das macht mir große Angst. Die Amerikaner überschwemmen vor jedem Filmstart Europa mit einer wahnsinnigen Werbelawine. Da wird in die Köpfe hineinmanipuliert, dass man diesen oder jenen Film zu sehen hat. Dabei ist dann die Geschichte gar nicht so wichtig. Es wird ein beliebiges Bedürfnis geschaffen. Das prägt dann natürlich auch wieder die Sehgewohnheiten. Meine Hoffnung ist, dass sich bestimmte Stoffe auch leise durchsetzen können. Wir haben es bei 'Friedrich' gesehen. Wo man sich um die Vorführungen individuell gekümmert hat, hat der Film die Kinder auch erreicht. Und beim Festival Goldener Spatz 1997 hat er ja auch den Hauptpreis in der Kategorie Spielfilm bekommen."

Europäische Produzenten versuchen sich auf dem Markt zu behaupten, indem sie auf klassische Stoffe setzen. "Pünktchen und Anton" nach Kästner ist so ein Beispiel.
"'Pünktchen und Anton' hat mich eigentlich verärgert. Caroline Link ist eine sensible Frau und gute Regisseurin. Das hat man bei ihrem Film 'Jenseits der Stille' gesehen. Doch bei dieser Arbeit hat sie sich zu einer 'Friede-Freude-Eierkuchen'-Haltung hinreißen lassen, die der amerikanisch geprägten Gleichmacherei der Kultur entspricht. Das richtet sich auch gegen die Haltung Erich Kästners. Bei ihm gab es noch einen kritisch-sozialen Aspekt. Im Film löst sich nun alles in Wohlgefallen auf. Die Obdachlosen tanzen fröhlich mit der feinen Gesellschaft und statt einer Arbeit, die ihr wirklich helfen würde, hat Antons Mutter am Schluss als Trostpflaster eine gefällige Urlaubsreise. Für mich wäre es ein Albtraum, wenn man in dieser Art damit beginnen würde, Remakes der DEFA-Kinderfilme zu machen."

Worin würden Sie denn in einem solchen Fall das Problem sehen?
"Ich denke, es würde alles grobschlächtiger werden. Man presst dann die Geschichten in die immer wieder gleichen Muster. Unsere Geschichten sind natürlich auf dem Boden der DDR entstanden. Doch bemühten wir uns dabei immer um soziale Genauigkeit und Differenzierung. Wir verloren uns nicht in Beliebigkeit. Im Nachhinein wundere ich mich manchmal selbst, wie wir versucht haben, in kritischem Sinne an die Grenzen des Machbaren zu kommen. Solche Beobachtungen mache ich z. B. wenn ich heute 'Sieben Sommersprossen' sehe. Am Ende der Geschichten sollte für die Kinder aber immer eine Hoffnung stehen. Dieses Hoffnungsprinzip bedeutete, dass sich etwas konkret löst. Unsere Intentionen gingen in Richtung einer nachvollziehbaren Alternative. Diese Tradition wurde im Prozess der Vereinigung ausgelöscht. Heute scheint so etwas niemand mehr anbieten zu wollen oder zu können. Das haben wir bei 'Pünktchen und Anton' gesehen. Kästner ist viel konkreter als das in der Neuverfilmung zu erleben ist."

Der Filmmarkt ist heute global orientiert. Die Geschichten sollen ein breites Publikum erreichen, damit möglichst ein Gewinn erwirtschaftet werden kann. Verbieten sich da nicht Stoffe, die sich mit einer konkreten Botschaft an eine sehr spezifische Zielgruppe wenden?
"Da bin ich zunächst etwas ratlos, weil ich mit dem Begriff 'Globalisierung' nichts anfangen kann und wahrscheinlich auch nichts anfangen will. Ich denke schon, jedes Land soll seine eigene Kultur haben. So etwas lässt sich nicht ausschließlich wirtschaftlich erklären. Der Kinderfilm ist ein Kulturgut. Dafür muss auch Geld bereitgestellt werden, ohne dass man zunächst den wirtschaftlichen Gewinn im Blick hat. Wir müssen auch Bewahrer sein können. Ich habe nie Geschichten des Geldes wegen geschrieben. Wenn ich arbeite, dann geht es mir nicht um etwas Spektakuläres an sich, sondern ich verspüre eine Verantwortung. Ich möchte eine Botschaft vermitteln. Kinder brauchen meiner Meinung nach leise humanistische und poetische Botschaften. Man hat mir vorgeworfen, das sei ideologische Bevormundung und außerdem altmodisch. Die Verantwortlichen der Filmwirtschaft behaupten zwar, Kinder wollen und brauchen das nicht. Aber ich bleibe dabei, wenn ich etwas schreibe, dann muss es eine Botschaft haben. Auf Lesungen finde ich das auch bestätigt. Und wer sich in der Welt umsieht, der stellt fest, dass es solche Bedürfnisse gibt. In der Film- und Fernsehwirtschaft hat man mit solch einer Meinung im Moment aber einen schlechten Stand."

Gibt es denn konkrete Projekte von Ihnen, die unmittelbar umgesetzt werden könnten?
"In meinem Schreibtisch liegt ein fertiges Drehbuch. Ich habe es nach meinem sehr erfolgreichen Kinderbuch 'Der Engel mit dem goldenen Schnurbart' entwickelt. Damit hatte ich schon im Studio Babelsberg bei Herrn Schlöndorff, der ja immer getönt hatte, dass er die Traditionslinie Kinderfilm im Studio fortsetzen will, angeklopft. Diverse junge Herren haben sich meines Stoffes angenommen. Die kamen und gingen und keiner wusste so recht etwas von dem anderen. Am Ende war aus meinem Engel ein amerikanischer Austauschschüler geworden. Da habe ich alles auf den Tisch geknallt. Ich lasse mich nicht verbiegen und meine Geschichten auch nicht. Inzwischen liegt das Buch bereits zwei Jahre beim MDR. Doch von dort bekomme ich auf meine Nachfragen keine Antwort. Möglicherweise muss ich mich an den Gedanken gewöhnen, dass die Arbeit an Kinderfilmen für das Kino inzwischen für mich eine schöne Vergangenheit ist."

Sie hatten aber versprochen, Sie bleiben dran.
"Natürlich. Es gibt da zum Beispiel ein Projekt zusammen mit Rolf Losansky. Außerdem ist mein Engel in einer neuen Geschichte zurückgekehrt. Wieder soll er für Zwecke benutzt werden, die er nicht will. Er leidet unter der wachsenden Gewalt unter den Kindern. Ihn erschrecken die Kälte in den menschlichen Beziehungen und die allseits herrschende Geldgier. Am Ende rettet der Engel ein kurdisches Mädchen aus einem brennenden Haus und verlässt danach unsere Welt. Für diese Geschichte finde ich nicht einmal einen Verlag. Man will keinen Engel, der mit brennenden Flügeln die Erde verlässt. Doch ich weiß, meine Geschichten werden gebraucht.

Interview: Klaus-Dieter Felsmann

 

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