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Ausgabe 94-2/2003

NENN MICH EINFACH AXEL

KALD MIG BARE AKSEL

NENN MICH EINFACH AXEL

Produktion: Zentropa Productions; Dänemark 2002 – Regie: Pia Bovin – Drehbuch: Bo Hr. Hansen, nach einer Idee von Ib Tardini, Pia Bovin, Tine Mette Bloch Jespersen, Farshad Kholghi und Bo Hr. Hansen – Kamera: Jacob Banke Olesen – Schnitt: Molly Malene Stensgaard – Musik: Poul Halberg – Darsteller: Adam Gilbert Jespersen (Axel), Nadia Bøggild (Annika), Nour Abou El-Foul (Fatima), Sarah Kjærgaard Boberg (Susanne, Axels Mutter), Jesper Lohmann (Richard, Axels Vater) u. a. – Länge: 85 Min. – Farbe – Vertrieb: Atlas Film und Medien, Duisburg – Weltvertrieb: Trust Film Sales; trust@trust-film.dk -Altersempfehlung: ab 8 J.

Manchmal möchte man jemand ganz anderes sein: Ein Wunsch, den jeder kennt, aber besonders Kinder, die noch auf der Suche nach ihrer Identität sind; sie spielen gern damit, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Muslimische Jungs sind cool, mit tollem Auto und klasse Musik – wen wundert's da, wenn der zehnjährige Axel, der sich letzten Monat noch für Superman hielt, jetzt Muslim werden will. Denn sein Leben ist alles andere als einfach, er wohnt mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester in einer Vorortsiedlung. Sein trinkender Vater lebt getrennt von der Familie. Es sind Ferien, in der Siedlung ist nicht viel los, an eine Reise ist genauso wenig zu denken wie an gemeinsame Tage mit dem Vater, also bleibt der Gesangswettbewerb im Jugendklub als letzte Rettung. Ausgerechnet mit den beiden Mädchen Fatima und Annika soll Axel gemeinsam auf der Bühne stehen.

Axel nimmt Kontakt mit dem Imam auf, doch um konvertieren zu dürfen, benötigt er zunächst das Einverständnis seines Vaters: Der Papa ist mal wieder verkatert, als der Imam und Axel bei ihm auftauchen, aber Einwände hat er keine. So kann Axel damit beginnen, muslimische Glaubenspraktiken auszuleben: Der Verzicht auf Alkohol bereitet überhaupt keine Probleme, auch nicht, sich vor dem Beten zu waschen und in der Moschee zuerst den rechten Fuß über die Schwelle zu setzen. Nur bei seiner Mutter und seiner Schwester stößt Axel natürlich auf großes Unverständnis: Dass seine Mutter die Hackbällchen nach wie vor mit Schweinefleisch zubereitet, ist schlichtweg zum Kotzen. Außerdem will sie nicht akzeptieren, dass ihr Sohn nicht mehr Axel, sondern nur noch Achmed gerufen werden möchte.

Auch Fatima und Annika sind von Axels alias Achmeds neu entdeckter Religiosität wenig begeistert, hindert sie doch den Neu-Moslem daran, mit ihnen ernsthaft für den Wettbewerb zu proben. Als Fatima von ihren Eltern unter Hausarrest gestellt wird, steht die Teilnahme am Wettbewerb erst recht in den Sternen. Doch die gemeinsame Probenarbeit geht weiter, wenn auch der Kontakt erschwert ist. Für den Wettbewerb muss sich Axel allerdings einen muslimischen Trick einfallen lassen, mit dem Fatima aus der Wohnung gelockt werden kann, denn ohne sie kann die Gruppe nicht gewinnen ...

Der rundum gelungene Debütfilm von Pia Bovin wird aus Axels Blickwinkel erzählt: Axel muss sich in den Herbstferien nicht nur um seinen neuen Glauben und die Vorbereitungen für den gemeinsamen Auftritt beim Gesangs-Wettbewerb, sondern auch noch um einen streunenden Hund kümmern. Was ihn gleich wieder in einen neuen Konflikt stürzt: Muslimen ist jegliche Berührung zwischen Mensch und Hund streng verboten, jedoch müssen sie hilflosen Wesen auch beistehen. Axel kriegt die Widersprüche nicht auf die Reihe, er möchte ein guter Muslim sein, aber auch ein guter Freund: So überlässt er es Annika, sich um den Hund zu kümmern. Dummerweise reagiert Annikas Mutter allergisch auf Hunde, was für neue Probleme sorgt. Recht unterschiedliche Lebensumstände für Kinder zeigt der Film: Während das Mädchen Annika aus einer wohlbehüteten und intakten Familie kommt, in der der Vater Vorurteile gegenüber Fremden hat, lebt Fatima in einer palästinensischen Großfamilie, bei der jeder für den anderen da ist, in der es Wärme, Verständnis und vor allem Zusammenhalt gibt. Keine dieser Lebensweisen wird gegen die andere ausgespielt, zwischen beiden Extremen befindet sich Axels Familie, mit der hart arbeitenden und allein erziehenden Mutter.

Axels Wunsch, den Glauben zu wechseln, wird von allen ernst genommen, auch wenn sich seine Mutter und seine Schwester mal ein wenig lustig darüber machen. Erfrischend erhebt sich der Film über alle gängigen Multi-Kulti-Klischees und bleibt dabei immer respektvoll, ob es um Vorurteile oder religiöse Empfindungen geht. Axel gewinnt neue Freundschaften und schafft es spielend, zwischen den Kulturen zu vermitteln. Höchst unterhaltsame Perspektiven kultureller Identität, bei denen Kinder keine Helden sein müssen, um sich in Axels Wunsch wieder zu erkennen, ein anderer zu sein, wobei sein Glaubens Wechsel auch von der Sehnsucht nach Wärme und Anerkennung zeugt.

Manfred Hobsch

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 95-2/2003 - Interview - "Für mich ist es ein Geschenk, mit Amateuren zu arbeiten"
KJK 94-2/2003 - Interview - "Ich war selbst so ein Hodder"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.NENN MICH EINFACH AXEL im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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