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Ausgabe 113-1/2008

PERSEPOLIS

PERSEPOLIS

Produktion: 2.4.7. Films / Kennedy-Marshall Comp. / France 3 Cinéma / French Connection / Diaphana; Frankreich 2007 – Regie und Buch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud, nach den Comics von Marjane Satrapi – Animation: Christian Sesmares – Schnitt: Stéphane Rochet – Musik: Olivier Bernet – Länge: 96 Min. – s/w und Farbe – FSK: ab 6 – FBW: besonders wertvoll – Verleih: Prokino – Altersempfehlung: ab 12 J.

Zum Titel des Films schwebt eine Blüte durchs Bild. Was es damit auf sich hat, wird im Verlauf des Filmes erzählt, so dass der Film mit einem Blütenregen enden kann, mit dem sich der Kreis der Erzählung schließt.

"Persepolis" war ursprünglich ein schwarzweiß gehaltener, autobiografischer Comicroman, der in Frankreich und USA, aber auch in Deutschland, erfolgreich war und verschiedene Auszeichnungen erhielt. Auch in der Comic-Abteilung der Frankfurter Buchmesse wurde speziell darauf eingegangen. Marjane Satrapi gibt darin sehr persönlich ihre Erfahrungen im Iran wieder, beginnend in der Zeit vor dem Sturz des Schahs bis zur Gegenwart. Ihre Geschichte wurde 2007 unter ihrer Mitwirkung und Überwachung als Zeichentrickfilm herausgebracht, der auf Anhieb beim Filmfestival in Cannes Erfolg hatte und den Großen Preis der Jury verliehen bekam. In der Zeitschrift "Time" vom 24. Dezember 2007 erschien "Persepolis" in der Liste der zehn besten Filme des Jahres 2007 auf Platz 6.

Der Film hat eine Rahmenhandlung in Farbe, die immer wieder Übergänge zu den in Rückblenden erzählten Erinnerungen schafft. Diese Rahmenhandlung beginnt auf dem Flughafen in Paris Orly, wo Marjane Satrapi mit Kopftuch am Flugschalter steht und ihren Pass und ihr Ticket für den Flug nach Teheran vorzeigen soll, dieser Aufforderung aber nicht folgt, sondern sich in einen Sessel setzt, das Tuch abnimmt, eine Zigarette anzündet und über ihr Leben nachdenkt.

Sie denkt zurück an ihre Kindheit im Schoß der Mittelschichtfamilie. Dabei spannt sich der Bogen von ihren Erlebnissen als Achtjährige bis in die Gegenwart. Noch schwärmt die kleine Marjane für Bruce Lee und findet den Schah verehrungswürdig. Das ändert sich, als sie erfährt, dass ihr kommunistischer Onkel in den Gefängnissen des Schahs gefoltert wird. Sie begeistert sich für die Revolution, die den Schah hinwegfegt, wird aber von ihrem freigelassenen Onkel über die Hintergründe der Geschichte aufgeklärt, dass nämlich die Engländer den Vater des Schahs dazu überredet hatten, keine Republik auszurufen, sondern sich zum Herrscher über den Iran aufzuschwingen, wobei sie ihm helfen wollten – um im Gegenzug Öl zu erhalten. Und der Schah war von den USA gestützt worden, welche die Foltermethoden der CIA für die Gefängnisse zur Verfügung stellten.

Marjanes Familie hofft, dass nach der Revolution alles besser, vor allem volksdemokratischer wird. Dass die Wahl ein Ergebnis von 99,9 Prozent für die siegreiche Partei erbringt, wird als für Revolutionen üblich abgetan und nicht als Warnzeichen erkannt. Kurz danach befindet sich der Onkel wieder in Haft und wird von den neuen Machthabern hingerichtet. Das Leben ändert sich. Die islamistischen Revolutionsgarden setzen ihre Vorstellungen immer stärker durch. Die weiblichen Mitglieder der Familie Satrapi tragen nun in der Öffentlichkeit auch das Kopftuch, die Versorgung der Bevölkerung wird schlechter und die neuen Herren spielen sich mit Macht auf. Als Mutter Satrapi mit ihrer Tochter vom mageren Einkauf nach Hause fahren will, fordert sie ein Bärtiger auf, ihr Kopftuch tiefer in die Stirn zu ziehen. Nachdem die Mutter wütend Kontra gibt, schreit sie der Mann an: "Frauen wie dich ficke ich durch und schmeiße sie dann auf den Müll!" Die Empörung der Mutter überträgt sich auf die Tochter, die in der Koranschule beginnt, die Behauptungen der Religionslehrerin zu hinterfragen und zu widerlegen. Das gibt Ärger. Als auch noch der Irak den Iran mit Krieg überzieht, wird es immer schwieriger, den Frust über das Mullah-Regime zu ertragen und Gefährdungen durch kriegerische Handlungen sowie durch einheimische Überwachung zu umgehen.

Die besorgten Eltern schicken ihre Tochter nach Wien, wo sie das französische Gymnasium besuchen und bei den Eltern einer Freundin wohnen soll. Doch diese stecken Marjane wenig später in eine von Nonnen geleitete Pension. Hier eckt Marjane bald an. Sie fühlt sich zu einer anarchisch-punkmäßigen Clique von Schülern hingezogen, macht erste Erfahrungen mit der Liebe, wird enttäuscht, treibt sich auf der Straße herum, erkrankt und landet im Krankenhaus. Wieder gesundet, reist sie nach Teheran zu ihrer Familie zurück und beginnt dort nach einiger Zeit ein Kunststudium. Aber wie soll man Kunst studieren, wenn etwa bei Boticelli-Reproduktionen jegliche Nacktheit überpinselt ist? Wie soll man ein Aktmodell malen, das vom Kopf abwärts ein Tuch umhängen hat, so dass es von allen Seiten, "abgesehen von ihrem Zinken", gleich aussieht? Als die Studenten zusammengerufen werden, um neue Verhaltensregeln in punkto Kleidung zu erfahren, gibt Marjane Kontra und fragt, wie sie unter den genannten Bedingungen die für ihr Studium erforderliche Bewegungsfreiheit haben soll. Außerdem wüsste sie gern, warum nur an der Kleidung der Frauen herumgemäkelt wird.

Es wird immer offensichtlicher, dass Marjane die Enge und die Unterdrückung, die im Iran herrschen, nicht mehr ertragen kann. Als sie schließlich ausreisen darf, weiß sie, dass es ein Abschied für immer ist, insbesondere von ihrer Großmutter, die ihr stets ans Herz gelegt hat, dass das Wichtigste im Leben die Bewahrung der Integrität und Identität ist. Ihre Großmutter war es auch, die jeden Morgen Jasminblüten in ihren BH legte, um den ganzen Tag über gut zu duften. Am Abend fielen die Blüten heraus. Es sind die Blüten vom Titelanfang und vom Ende der Erinnerungen.

"Persepolis" ist ein sehr persönlicher, stellenweise sarkastischer, bissiger und letztendlich todtrauriger Blick auf die iranische Geschichte, bei der in der Absurdität des Alltagslebens immer wieder lächerliche Momente aufblitzen. Der Film ist in seiner historischen Dimension und in seinen aktuellen Anspielungen aufklärerisch und regt zum Nachdenken darüber an, inwieweit der Westen aus Ölgier die Chance vertan hat, Entwicklungen vorzubeugen, die heute noch negativste Auswirkungen auf das Zusammenleben von West und Ost haben. Die Erzählung gibt Einblicke in das Leben in einer Diktatur, zeigt Erfahrungen auf, die man auch anhand anderer Diktaturen nachvollziehen kann, berichtet von den Millionen Toten, welche Diktatur und Krieg gefordert haben, und mündet in einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit, weil man wohl nur dann etwas an der Lage ändern könnte, wenn sich das Patriarchat der Mullahs einer Revolution der Frauen gegenüber sähe, der es auf Dauer nicht widerstehen könnte. Aber dafür sind die Chancen wohl (doch oder noch?) sehr gering.

Dass Satrapis Erzählung so emotional und nachhaltig auf das Publikum wirkt, ist nicht zuletzt der Verfilmung mit Stilmitteln des Zeichentrickfilms und des Legetricks zu verdanken. Auch die Abblenden und Kreisblenden zur Hervorhebung einer Pointe sind wirkungsvoll eingesetzt. Deutlich wird dabei, dass die expressionistischen deutschen Filme der 1920er-Jahre den Erzählstil des Films beeinflusst haben. Neben der politischen und der menschlichen Seite hat so der Film auch eine stilistische Ebene, die sich perfekt ins Bild fügt.

Wolfgang J. Fuchs

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.PERSEPOLIS im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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KJK-Ausgabe 113/2008

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