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Ausgabe 114-2/2008

BEN X

BEN X

Produktion: MMG, Zaventem / BosBros., Amsterdam; Belgien / Niederlande 2007 – Regie und Buch: Nic Balthazar – Kamera: Lou Berghmans – Schnitt: Philippe Ravoet – Musik: Praga Khan – Darsteller: Greg Timmermans (Ben), Laura Verlinden (Scarlite), Marijke Pinoy (Mutter), Pol Goossen (Vater) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Verleih: Kinowelt – Altersempfehlung: ab 14 J.

Jeden Morgen bewährt sich Ben X erneut, kämpft gegen Monster und Mutanten, unterstützt von seiner Gefährtin Scarlite, einer anmutigen Amazone. Im mythischen Reich von Archlord ist der schillernde Ritter ein unerschrockener Held, der sich jeder Herausforderung stellt. Doch bedeutend härtere Gefechte muss der junge Mann hinter dem Avatar austragen. Denn wenn er sich aus dem Fantasy-Rollenspiel Archlord ausloggt, wenn aus Ben X wieder Ben wird, beginnt ein verzweifelter Überlebenskampf – ein hilfloses Ringen mit den alltäglichen Anforderungen und Anfeindungen der wirklichen Welt.

Ben ist zwar klüger als die meisten seiner Mitmenschen, aber er ist anders, nicht "normal". Von Kindheit an leidet er an einer abgemilderten Form von Autismus, dem sogenannten Asperger-Syndrom. Diese Krankheit ist unheilbar und wird durch eine Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns verursacht. Deswegen hat Ben Schwierigkeiten mit anderen zu kommunizieren, was sie sagen, richtig zu deuten, seine eigene Mimik und Körpersprache verständlich einzusetzen. Die unausgesprochenen sozialen Regeln und Rituale des Miteinander sind ihm fremd: seinem Gegenüber in die Augen zu sehen, "Guten Morgen" zu sagen, auch wenn der Morgen alles andere als gut ist. Für sich genommen käme Ben problemlos klar, doch seine Umwelt macht ihm das Leben zur Hölle. Vor allem zwei bösartige Mitschüler an der Technischen Schule schikanieren den hilflosen Ben mit zunehmender Skrupellosigkeit. Als sie ihm eines Tages vor der begeisternd johlenden Klasse die Hose herunterziehen, diese Demütigung mit ihren Handys filmen und die Szenen später im Internet verbreiten, will sich Ben das Leben nehmen. Lediglich Scarlite, seiner Gefährtin aus der virtuellen Welt, vertraut er sich an. Und ganz unerwartet nimmt die reale junge Frau hinter dem Avatar mit Ben Kontakt auf. Sie schlägt ihm vor, einen "kreativen Selbstmord" zu inszenieren und sich damit gegen seine Peiniger zu wehren.

"Ben X" basiert auf dem Jugendroman "Niets Was Alles Wat Hij Zei" (2002) – zu Deutsch "Nichts war alles, was er sagte" – des Regisseurs Nic Balthazar. Die Idee entstand durch eine Zeitungsnotiz über einen 17-jährigen Autisten, der sich in Balthazars Heimatstadt Gent das Leben nahm, weil er die Schikanen seiner Mitschüler nicht mehr ertragen konnte. Anhand der Autismusproblematik, die im Übrigen stärker verbreitet ist als allgemein angenommen wird, verarbeitet "Ben X" eine Reihe jugendrelevanter, universeller Themen: Entfremdung, Gruppenzwang und Gruppendruck, Selbstmord, vor allem jedoch Mobbing und die Flucht in virtuelle Welten.

Ästhetisch übersetzt der Film Bens fragmentarische Wahrnehmung in eine rasante Montage aus Kamerafahrten, verschiedenen Einstellungsgrößen und Perspektiven, Unschärfen und Farbverfremdungen, wie man sie auch aus Musikclips kennt. Die wiederholte Einblendung von Online-Spielszenen in die reale Spielhandlung vermittelt eindrucksvoll, wie Bens Blick auf die Realität zunehmend vom Computerspiel beeinflusst wird. Dabei wurden die virtuellen Spielwelten nicht extra für den Film entworfen, sondern entstammen dem Originalspiel Archlord. Die Erzählweise verbindet geschickt (Online-)Spielszenen, Rückblenden in Bens Kindheit und Interviewszenen mit seinen Eltern, Lehrkräften, Mitschülern und Ärzten. Diese scheinbare Objektivierung von Bens Erlebnissen durch die Aussagen anderer entpuppt sich jedoch als falsche Fährte und am Ende wartet der Film nicht nur inhaltlich mit einer überraschenden Wende auf.

Mit seiner thematischen und formalen Komplexität wirkt "Ben X" stellenweise etwas überambitioniert und fordert seinem Publikum einiges an Konzentration ab. Die Integration von Elementen aus Musikclips und Computerspielen ist allerdings handwerklich gelungen und bietet vor allem einem jungen Zielpublikum ein interessantes und vertrautes Seherlebnis. In Belgien, wo sich der Film im Jahr 2007 an die Spitze der erfolgreichsten flämischen Spielfilmproduktionen setzte, hat "Ben X" zudem die Diskussionen über Mobbing an Schulen neu beflügelt. Es bliebe zu wünschen, dass der Film auch hierzulande den Blick für diese Problematik weitet, von der gerade Kinder und Jugendliche leider allzu häufig betroffen sind.

Ula Brunner

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 115-2/2008 - Interview - "Nicht der Autismus ist ihr Problem, wir sind es!"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.BEN X im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 114-2/2008

 

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