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Ausgabe 115-3/2008

"Extremisten sind niemals harmlos!"

Gespräch mit Niels Arden Oplev, Regisseur und Ko-Autor der dänischen Produktion "To Verdener / Worlds Apart"

(Interview zum Film WORLDS APART)

KJK: Wie oder wo haben Sie diesen Film-Stoff gefunden?
Niels Arden Oplev: "In der Zeitung. Da wurde die Geschichte der damals 23-jährigen Tabita erzählt, die mit 17 von ihren Eltern verstoßen wurde, weil sie sich von den 'Zeugen Jehovas' abgewandt hatte. Mich hat der Artikel so berührt, dass ich sofort versucht habe, die Adresse des Mädchens herauszufinden. Ich hab dann ein langes Interview gemacht und sie am Ende gefragt, ob wir ihre Geschichte verfilmen dürften. Natürlich haben wir ihr angeboten, den wahren Hintergrund dieser Geschichte nicht weiter zu publizieren. Aber obwohl sie nicht wollte, dass ihre Eltern verletzt würden und durchaus besorgt war, dass sie nun selbst in einen Konflikt mit der Jehova-Gemeinde kommen könnte, sagte sie: 'Ich kann ihnen das nicht abnehmen, reagieren müssen sie so oder so. Und es ist wichtig, dass meine Geschichte erzählt wird, denn sie ist wahr und ich möchte, dass man weiß, was bei den Zeugen Jehovas passiert!'"

Bis jetzt habe ich diese freundlichen Menschen mit dem 'Wachtturm' in der Hand immer für relativ harmlos gehalten.
"Die 'Zeugen Jehovas' sind Extremisten und Extremisten sind niemals harmlos, auch wenn es unter ihnen wirklich ganz liebe und nette Leute gibt. Wir sind sicher nicht in der Gefahr, dass sie uns auf der Straße oder an der Haustür anwerben könnten, aber fast alle ihre neuen Mitglieder sind Kinder, die in die Gemeinde hinein geboren werden und sich dagegen nicht wehren können. Mich hat an dieser Geschichte von Anfang an die Frage beschäftigt, wie es möglich ist, dass ein liebender Vater seine eigenen Kinder verstoßen kann, um sich selbst vor dem Weltgericht einer unsichtbaren metaphysischen Macht schützen zu können. Tabita hat uns das so erklärt: 'Sie lieben Gott mehr als ihr Kind und wenn das Kind nicht mehr an ihren Gott glaubt, müssen sie sich eben den Regeln ihrer Gemeinde entsprechend von ihm trennen.' Und das finde ich sehr gefährlich! Ich meine, der Vater ist ja kein Bösewicht, er ist ja selbst schon Opfer einer Indoktrinierung und unterzieht seine Kinder wieder der gleichen Gehirnwäsche."

Ich hatte wirklich keine Ahnung, welchen Druck die strikten Regeln dieser Religionsgemeinschaft entfalten können und dass die 'Zeugen Jehovas' wirklich so große Angst vor dem Ende der Welt haben! Wie viele von ihnen gibt es eigentlich in Dänemark?
"Ungefähr 15.000 und außerdem noch 200 andere Sekten und Glaubensrichtungen, über die nie gesprochen wird. Auch in Deutschland, wo man eher über die Scientologen diskutiert, gibt es genug Menschen, die für ihr metaphysisches Heil bereit sind, über das Gefühlsleben ihrer Angehörigen und das Leben ihrer Kinder hinweg zu gehen. Aber es handelt sich bei ihnen nicht um Dämonen – und deshalb war uns ganz wichtig, sie nicht zu verteufeln, sondern erst mal als normale Menschen mit allen menschlichen Gefühlen zu zeigen."

Als ich hörte, dass das neue Thema des Regisseurs von "Drømmen" (Der Traum) die Auseinandersetzung mit den Zeugen Jehovas ist, habe ich gedacht, dass Sie damit vielleicht auf den ja in Dänemark ausgelösten Karikaturen-Streit reagieren wollten.
"Nein, diesen Zusammenhang habe ich wirklich nicht gesehen. Für Karikaturen interessiert sich ja nur eine kleine intellektuelle Elite, während unser Film ein wichtiges und emotional sehr aufwühlendes Thema behandelt, das nicht nur die Zeugen Jehovas, sondern alle Familien betrifft. Natürlich hat man schon Filme gesehen, in denen junge Leute abhauen und bei einer Sekte landen, aber noch nie standen Kinder im Mittelpunkt des Interesses, die in ihrer eigenen Familie einer Gehirnwäsche unterzogen werden und deren ganze Erziehung darauf zielt, sie in dieser Welt gefangen zu halten und die Liebe zu einem Menschen außerhalb der Gemeinde zwangsläufig in einen grausamen seelischen Konflikt treiben muss. Der Stoff berührt viele Gefühle, sein Konflikt-Potenzial ist sehr groß, und indem er vom religiösen Fundamentalismus handelt, hat er natürlich auch eine politische Dimension. Es gibt ja auch bei uns eine breit gefächerte Diskussion über die Extremisten, doch wird dieses Thema immer nur in Bezug auf die Muslims diskutiert. Deshalb haben mein Ko-Autor Steen Bille und ich sofort, als wir durch den Bericht über Tabita auf dieses hoch interessante Thema stießen, die Chance gesehen, den religiösen Fundamentalismus und seine erschreckenden Konsequenzen endlich einmal nicht am Beispiel fanatischer Islamisten abzuhandeln – die gibt es bei uns natürlich ebenso wie bei Euch -, sondern in einer liebenswürdigen ur-dänischen Familie zu zeigen. Ich denke, dass wir damit eine Debatte auslösen und diesem auch für Skandinavien ganz wichtigen Fundamentalismus-Thema eine Fülle neuer Nuancen hinzufügen."

Der Film hatte auf der Berlinale seine gefeierte Welt-Premiere. Wie ist es denn Tabita bei Ihrem Projekt ergangen?
"Natürlich haben wir ihre Geschichte für den Film umgebaut, verkürzt oder ausgeweitet – und Sara und Tabita sind nicht identisch. Aber wir haben uns eng an ihre Erfahrungen gehalten, haben ganze Sätze von ihr eingebaut und sehr viele lebendige und auch intime Details, die sie uns erzählt hatte. Als das Drehbuch fertig war, haben wir es ihr zum Lesen gegeben, und sie war sehr, sehr bewegt. Mit dem fertigen Film war es dann für sie nicht mehr so schlimm, weil die Geschichte auf der Leinwand ja nicht ihr, sondern Sara und ihren Film-Eltern passiert. Tabita hat uns auch während der ganzen Film-Arbeiten geholfen, indem sie immer wieder neu auftauchende Fragen beantwortete, und wie sehr sie hinter dem Projekt steht, kann man auch daran sehen, dass sie sich selbst in der Schluss-Szene als Zug-Fahrgast zeigt. Das Mädchen, das am Ende stirbt, weil die 'Zeugen' eine Blut-Transfusion verweigern, ist übrigens ihre beste Freundin, in Wirklichkeit war sie die Freundin ihres kleinen Bruders. Tabita ist auch mit nach Berlin gekommen und hat hier gesagt: 'Wenn man ausgestoßen wird, hören sie einem nicht mehr zu. Das ist, als hätte man seine Stimme verloren. Dieser Film hat mir die Stimme wiedergegeben!' Damit hat sie uns das größte Lob ausgesprochen, das wir je bekommen können."

Sara alias Tabita hat in Rosalinde Mynster eine absolut überzeugende Darstellerin gefunden. Wie haben Sie sie entdeckt?
"Wir haben, ehrlich gesagt, überhaupt nicht an sie gedacht. Wir hatten ein extrem umfangreiches Casting und bereits unsere Wahl getroffen, als Jette Termann, unsere Casting-Direktorin, sie bei einem anderen Casting getroffen hatte und meinte, wir sollten sie auch noch einladen. Und innerhalb einer Woche war alles klar, obwohl sie zuerst gar keine Lust hatte zu kommen. Aber als Rosalinde dann doch zusagte, waren wir sehr froh, denn sie ist ja wirklich sehr überzeugend. Sie hat, scheint es, das Talent ihrer Eltern geerbt, die beide hoch geachtete Schauspieler sind."

Wie hoch war Ihr Budget und wie lange haben Sie an dem Film gearbeitet?
"2,4 Millionen Euro und insgesamt haben wir nicht mehr als anderthalb Jahre gebraucht. Im Oktober 2006 begannen wir mit dem Schreiben und ich muss sagen, so schnell ist es noch mit keinem Drehbuch gegangen. Wir hatten von Anfang an unser Geld zusammen, weil die Geschichte so auf der Hand lag, wir so engagiert waren und das Thema wirklich alle interessierte. Schon im Mai 2007 ging es mit den Aufnahmen los. Gedreht haben wir auf der Insel Fünen, die Drehzeit betrug 35 Tage."

In Ihrem 2006 mit dem "Gläsernen Bären" ausgezeichneten Film "Drømmen" rebelliert ein 13-jähriger Junge gegen die immer noch herrschende Prügelstrafe in seiner Schule, hier ist es eine junge Frau, die einen dramatischen Kampf zu bestehen hat, um ihre Identität, ihre eigene Sprache, ihre eigene Art zu denken, ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu erlangen. Sind Sie selbst ein Rebell?
"Wie der Frits in 'Drømmen' bin ich als Kind auf einem Bauernhof groß geworden. Bei uns wurde viel erzählt und meine Kindheit war bevölkert von Phantasiefiguren. Ich war frei in meinen Gedanken, aber ich konnte nicht verstehen, warum ein Kind als Individuum nicht genauso viel zählte wie ein Erwachsener. Und ihre Regeln und Zwänge konnte ich einfach nicht akzeptieren. Es ist immer ein sehr schmerzhafter Prozess, wenn man seine eigene Identität finden muss und die Jugend ist eine Zeit der Rebellion. Aber ich denke, ich bin schon als Rebell geboren worden und in mancher Hinsicht bin ich auch einer geblieben. Als Filmemacher ist man ja eine Art friedlicher Revolutionär. Rainer Werner Fassbinder hat mal gesagt: 'Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme' – und in dem Sinne werde ich hoffentlich auch immer ein Rebell bleiben."

Mit Niels Arden Oplev sprach Uta Beth

 

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