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Ausgabe 62-2/1995

DIE KINDHEIT DES AKKORDEONSPIELERS

KÖZIMNIN KARASY

Produktion: Kazakhfilm Film Studio, Kasachstan 1994 – Regie: Satybaldy Narymbetov – Buch: Iztule Izmaganbetova, Satybaldy Narymbetov – Kamera: Hasan Kydyraliev – Darsteller: Daulet Taniev (Esken), Petya Haytovich (Yurka), Bachytzhan Alpiesov (Eskens Vater), Rayhan Itkozhanova (Eskens Mutter) u. a. – Länge: 90 Min. – s/w und Farbe – Weltvertrieb: Kazakhfilm Film Studio, 16-HL-Farabi, 480117 Almaty, Kasachstan, Tel. 732 72 480890, Fax 732 72 480909 – Altersempfehlung: ab 10 J.

Die Zeiten sind etwas aus den Fugen geraten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt noch japanische Soldaten im Arbeitslager am Rande einer Bergbausiedlung im Süden von Kasachstan. Dort lebt, als Einzelkind von den Eltern liebend umsorgt, der etwa siebenjährige Esken: wissensdurstig und musikalisch begabt. Für die Dorfbewohner spielt der Knirps sogar schon zum Tanz und verschwindet fast hinter dem großen Akkordeon. Ansonsten dröhnen aus den allgegenwärtigen Lautsprechern sozialistische Parolen und eintöniges Trara. Mit seiner Mutter ist der etwas ältere Yurka aus dem fernen Leningrad nach Kasachstan gekommen. Vielleicht als Verbannte?! Yurkas Vater sitzt nämlich im Gefängnis, beschuldigt, ein "Kosmopolit" zu sein.

Die Jungen freunden sich an. Ganze Stunden können die beiden in den Bäumen verbringen, indem sie von oben durch ein Fernglas das Leben und Treiben der kasachischen Provinztypen beobachten: den Polizisten, den Dorftrottel, den Trunkenbold, die neue Bibliothekarin und ihre Verehrer, und mit ihrem Sonnenschirm die lustige Aspasia. Im Kino wird "City Lights" gespielt. Wer sich gegen ein kleines Entgelt Steigeisen "ausleihen" kann, darf einen Mast hinaufsteigen, um für einen kurzen Moment den wunderbaren Charlie Chaplin auf der Leinwand zu sehen. Wenn Esken auf seinem Akkordeon Foxtrott oder langsamen Walzer spielt, kommt sich die Jugend auf dem Tanzboden näher. Aber immer schön sittsam; dafür sorgt ein gestrenger Tugendwächter. Als es dann Schallplatten gibt, braucht man Esken nicht mehr. Er muss draußen bleiben und kann nur noch für die Saufbrüder aufspielen.

Eines Tages kommen Esken japanische Kriegsgefangene zu Hilfe, als größere Jungen eine Prügelei anzetteln. Sein dankbarer Vater bittet die Fremden an seinen Tisch, sie essen, trinken und singen gemeinsam. Aber wenige Tage danach, angeschwärzt von einem Nachbarn, wird Eskens Vater spät abends von der Polizei abgeholt. Für zwei Jahre verschwindet er in einem Arbeitslager. Er habe für die Japaner spioniert, lautet die fadenscheinige Anklage. Esken vermisst den geliebten Vater und weint bitterlich. Seine unbeschwerte Kindheit hat ein Ende.

Regisseur Satybaldy Narymbetov, ein glänzender Handwerker, hat die Fülle der Figuren und die Episoden aus dem Leben eines siebenjährigen Kasachen aus dessen Sicht überzeugend in schwarz/weiß gestaltet. Die eingestreuten farbigen (Traum-)Sequenzen lassen an Tarkowski denken. Das Bemühen, der Wirklichkeit – dem Leben in einem kasachischen Dorf – mit Hilfe des Films nahe zu kommen, hat sich aufs Trefflichste gelohnt. Ich habe "Die Kindheit des Akkordeonspielers" mit großem Gewinn angeschaut.

Dorothea Holloway

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 62-2/1995 - Interview - "Mich interessieren die Nuancen, die Schattierungen in den Beziehungen der Menschen"

 

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Ausgabe 62-2/1995

 

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