(Interview zum Film GROSSE SCHWESTER PUNAM)
Der gebürtige Serbe Lucian Muntean (Jg. 1976) arbeitete nach seinem Studium an der Film- und Theaterakademie in Bukarest als Kameramann für Filmproduktionen und internationale TV-Sender. Natasa Muntean (Jg. 1977), ebenfalls serbischer Herkunft, studierte Fotografie und Video an der Kunsthochschule Bukarest und danach an der Kunstakademie Belgrad Kunstfotografie und Geschichte der Fotografie. Mit ihrer gemeinsamen Produktionsfirma Lunam Docs in Novi Sad widmen sich Lucian und Natasa Muntean den Themen Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit, wobei ihre Dokumentationen vor allem Kinderrechte und Kinderarbeit betreffen. Sie gründeten den "Punam Fund", um mit dem hierfür gesammelten Geld die Ausbildung von Kinderarbeitern zu unterstützen. Über das Mädchen Punam entstand zunächst ein Kurzfilm (2005), der beim Kinderfilmfest München vorgestellt wurde; im diesjährigen Programm nun war die Langfassung von "Große Schwester Punam" (2010) zu sehen. Nach der Vorführung gab es ein ausführliches Publikumsgespräch, aus dem wir zitieren:
Wie es zu dem Filmprojekt kam:
"2004 waren wir drei Monate unterwegs, in Indien, China und in Nepal. Und während dieser Reise waren wir so beeindruckt, so erschüttert von den Zuständen, die wir da gesehen haben, dass wir uns sagten, darüber müssen wir einen Film machen. Wir wollten so vielen Menschen wie möglich zeigen, wie Kinder dort leben – das große Thema Kinderarbeit. Wir kamen als Touristen und gingen als Filmemacher. Wir waren auch in Bhaktapur, eine wunderbare Stadt in Nepal. Unsere erste Begegnung mit den Kindern dort hatten wir in der englischen Schule, wir sind morgens um zehn dort vorbeigekommen und sahen, wie die Kinder ihre Turnübungen machten. Sie waren so begeistert dabei, dass wir entschieden, darüber einen Film zu machen und wollten uns jemanden heraussuchen. Das war Punam, damals neun Jahre alt. 2005 drehten wir den ersten Teil, der ein Jahr später beim Kinderfilmfest München gezeigt wurde. Vier Jahre später dann den zweiten Teil. Wir wollen alle zwei, drei Jahre zurückkehren, bis Punam 18 Jahre alt ist. Das Thema ist uns so wichtig, dass wir einen Fonds eingerichtet haben."
Ãœber die Bedeutung des Schulbesuchs:
"Es geht auch darum zu schauen, wie sich die Chancen der Kinder, die zur Schule gehen und Englisch lernen, auswirken auf ihr Leben, ob es eine Verbesserung gibt gegenüber den Kindern, die nicht zur Schule gehen können. Denn Punam sagt ja auch selber: Schule ist wichtig. Die Kinder in der Schule sind alle der Überzeugung, dass Bildung der Schlüssel für ein besseres Leben ist."
Wie war die Situation nach vier Jahren für Punam und ihre Familie:
"Da hat sich nicht so viel verändert. Der Vater ist älter geworden, kann nicht mehr so viel schaffen. Also müssen die Kinder mitarbeiten, das heißt, sie müssen nicht. Aber es ist einfach dort so, dass die Kinder ihren Eltern helfen, so viel es geht. Während die Kinder größer, stärker und robuster werden, verliert der Vater an Kraft und kann nicht mehr fünfhundert Ziegelsteine täglich herstellen. Also helfen die Kinder. Die Verbesserung der Situation besteht darin, dass die Kinder weiterhin zur Schule gehen können und Englisch lernen. Sie haben inzwischen zwei Zimmer, in denen sie leben. Wenn man genau hinschaut, sieht man verschiedene Anzeichen der Verbesserung, so haben zum Beispiel die Kinder Rucksäcke. Man sieht auch, dass Punam als Dreizehnjährige sehr viel offener geworden ist, selbstbewusster. Allerdings: Es war in Nepal noch nie so schlecht wie jetzt im Jahre 2010, sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Es gibt kaum noch Strom und nur wenige Stunden am Tag Wasser. Es trifft die Ärmsten der Armen – auch Punam und ihre Familie."
Die Filmemacher dokumentieren nicht nur das Leben dort, sondern leisten auch humanitäre Hilfe und engagieren sich:
"Wir möchten so viele Kinder wie möglich aus den Ziegelfabriken und den Steinbrüchen herausbekommen. Das geht nur in kleinen Schritten. Das Geld, das wir sammeln, ist für Essen, Kleidung und Schulsachen. Aber es geht gar nicht so sehr um finanzielle oder materielle Dinge, sondern es geht darum, dass die Kinder moralische Unterstützung bekommen. Wir bringen auch Geschenke mit, wenn wir kommen, aber viel wichtiger ist ihnen beispielsweise ein Fotoalbum über die Vorführung ihres Films in Europa, mit Fotos vom Publikum, das ihren Film anschaut. Sie wissen, was Film ist. Zwar hat nicht jeder einen Fernseher, aber alle haben die Möglichkeit, irgendwo fernzusehen. Dadurch haben die Kinder einen Blick nach draußen in die Welt, lieben zum Beispiel Harry Potter. Punam und ihr Vater bekamen von uns eine DVD ihres Films, die im ganzen Dorf gezeigt wurde. Sie sind sehr gefeiert worden. Die Leute sind sich ihrer Lage durchaus bewusst, aber den Film zu sehen, macht sie stolz, sie haben etwas Besonderes erreicht. Die Schüler fühlten sich alle wie kleine Stars und auch die Lehrer sahen sich gern."
Der Film lief auf mehreren europäischen Festivals, und das ist wichtig für die Spenden. In zwei Jahren, wenn Punam 16 Jahre alt ist, drehen Lucian und Natasa Muntean weiter.
Dokumentation: Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
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