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Ausgabe 135-3/2013

BEKAS

Bild: BEKAS
© Edel AG, Hamburg

Produktion: Sonet Film AB / Helsinki Filmi Oy / Film i Väst / Sveriges Television SVT; Schweden / Finnland / Irak 2012 – Regie und Buch: Karzan Kader – Kamera: Johan Holmquist – Schnitt: Sebastian Ringler, Michal Leszczylowski – Musik: Juhana Lehtiniemi – Darsteller: Zamand Taha (Zana), Sarwal Fazil (Dana) u. a. – Länge: 92 Min. – Farbe – Weltvertrieb: TrustNordisk, Dänemark – Verleih (D): Farbfilm – Altersempfehlung: ab 10 J.

Die kurdischen Brüder Zana und Dana – einer sechs, der andere zwölf Jahre alt – leben in einem staubigen Ort im Irak, ganz auf sich gestellt. Die Eltern sind in Saddam Husseins Krieg Anfang der Neunziger Jahre umgekommen. Nur ein alter blinder Mann ist nett zu ihnen, gibt ihnen Geborgenheit. Schlägt sie niemals, und das heißt etwas im Leben der Kinder. Denn all die anderen Erwachsenen, die durch die Gassen wuseln, es immer eilig haben und denen Mitgefühl für Waisenkinder offensichtlich fremd ist, schlagen besonders auf den Kleinen ein, wenn er irgendwas macht oder nicht macht. Der große Bruder tröstet ihn auf seine ruppige Art, spricht ihm Mut zu, bringt ihn immer wieder zum Lachen. Geld verdienen sie sich mit Schuhputzen. Kein leichtes Unternehmen in einem armen Land.

Aufregung ergreift das Dorf – eine Filmvorführung wird angekündigt: "Superman" aus Amerika! Natürlich wollen die Jungs ins Kino, haben aber kein Geld für den Eintritt. Zana weiß, wie man auch ohne Ticket etwas sehen kann. Die beiden Brüder klettern über die Dächer und landen vor einer verschmutzten Scheibe. Das Vergnügen währt nur kurz, denn ein Mann holt sie runter, schlägt sie. Aber was sie gesehen haben, beflügelt ihre Phantasie, lässt sie einen kühnen Plan schmieden: Auf nach Amerika! Hin zu Superman, der alles kann, der das Böse besiegt mit seinen ungeheuren Kräften. Kann er auch Vater und Mutter wieder lebendig machen? Diese Frage des Kleinen beantwortet der Bruder großspurig: Ja klar, der kann alles. Aber wo ist Amerika? Dort, am Horizont, hinter der Grenze. Um dahin zu gelangen, brauchen sie ein Gefährt, beziehungsweise einen Gefährten. Ein Esel steht zum Verkauf, sie fragen nach dem Preis und werden auch hier wieder geschlagen und weggejagt, weil der Mann sich verspottet fühlt. Mit viel Fleiß und Cleverness verdienen sie das Geld für das Langohr, das sie liebevoll "Michael Jackson" nennen. Für die Brüder ist es ein erhebender, ja feierlicher Moment, als sie auf seinem Rücken in die Abendsonne hineinreiten – nach Amerika, hin zu Superman! Und damit beginnt ein lebensgefährliches Abenteuer. Die Brüder geraten in die raue Erwachsenenwelt des Schmuggels, des Betrugs, der Schlepper. Aber da ist ein Mädchen, das Zanas Sehnsucht nach Amerika schmälert. Der Kleine will weiter, der Große nicht. Sie streiten sich, aber schaffen es tatsächlich, jeder für sich allein, die streng bewachte Grenze im Gestänge eines Lastwagens zu passieren. Sie versöhnen sich, gehen weiter, bis Zana plötzlich regungslos verharrt. Sein Fuß steht auf einer Landmine. Verzweifelt tut er alles, um den kleinen Bruder aus der Gefahrenzone zu jagen. Der ist ebenso verzweifelt und entschlossen, seinen Bruder nicht im Stich zu lassen …

Karzan Kader (Regie und Drehbuch), 1982 in Kurdistan/Irak geboren, kam als Sechsjähriger mit der Familie nach Schweden. Er absolvierte am Dramatiska Institutet ein Regie-Studium und erhielt 2010 für seinen Abschlussfilm, den Kurzfilm "Bekas", den Studenten-Oscar. Danach entstand sein gleichnamiges Spielfilmdebüt, das beim KinderFilmfest München 2013 als deutsche Premiere zu sehen war. Es ist anzunehmen, dass Karzan Kader die Gefühle und Erfahrungen seiner eigenen Kindheit in diesem harten, dramatischen Film verarbeitet hat, der ganz auf der Seite der elternlosen Brüder steht und erbarmungslos zeigt, wie ein Krieg die Menschen verändert und dass die Kinder die Verlierer sind. Der Film gibt tiefe Einblicke in den Alltag, man hofft und bangt mit Zana und Dana, teilt ihre Tränen, ihre Freude, wenn zum Beispiel der alte Mann dem Kleinen an Hand von Stöckchen zeigt, wie wichtig der Zusammenhalt der Menschen ist. Die Begeisterung für Amerika und Superman erscheint dem westlichen Zuschauer ein wenig naiv; der Glaube an eine Filmfigur, die es schon richten wird. Aber im Laufe der Ereignisse ist klar, dass die beiden nicht naiv sind, dass sie viel zu früh mit dem harten Überleben konfrontiert sind. Superman ist ein Märchen für sie, wo alles gerecht und gut ausgeht. Träume erhalten die Brüder am Leben, den Traum von Amerika jedoch verfolgen sie nicht weiter. Nach der Landmine, die sie beide verschont hat, bleiben sie, wo sie sind. Und man verlässt das Kino mit dem Gefühl, dass es für Zana und Dana eine Zukunft gibt.

Karzan Kader ist ein aufrührender Film gelungen in der weiten Landschaft des irakischen Kurdistan, mit einer Musik, die die Schönheit dieses kargen Landstrichs unterstreicht. Die Jungen beeindrucken mit ihrem Spiel. Man vergisst, dass sie lediglich Darsteller ihrer Figuren sind, sie sind authentisch und absolut glaubwürdig. Nur die deutsche Synchronisation, die beim Filmfest München vorgeführt wurde, vermutlich eins zu eins übersetzt, ist für unser Sprachgefühl manchmal übertrieben, zum Beispiel, wenn der kleine Junge immer wieder "Bruder, Bruder, Bruder" ruft. Kaders Spielfilmdebüt hatte seine internationale Premiere auf dem Doha Tribeca FilmFestival und wurde auf dem Gulf FilmFestival Dubai mehrfach ausgezeichnet, u. a. Karzan Kader mit dem Preis für die beste Regie.

Gudrun Lukasz-Aden

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 136-3/2013 - Hintergrund - "Bekas"

 

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Ausgabe 135-3/2013

 

Inhalt der Print-Ausgabe 135-3/2013|

Filmbesprechungen

ALFIE, DER KLEINE WERWOLF| BEKAS| ERNEST & CÉLESTINE| ICH – EINFACH UNVERBESSERLICH 2| DAS MÄRCHEN VON DER PRINZESSIN, DIE UNBEDINGT IN EINEM MÄRCHEN VORKOMMEN WOLLTE| MEIN KLEINER ORANGENBAUM| DAS PFERD AUF DEM BALKON| RICKY – NORMAL WAR GESTERN| SATELLITE BOY| TOUCH OF THE LIGHT| V 8 – DU WILLST DER BESTE SEIN| DIE WILDE ZEIT|

Interviews

Jung-Chi, Chang und Huang Yu-Siang - "Wir haben gemerkt, dass da eine Menge positiver Energie war"| McKenzie, Catriona - "Die Frage nach unseren Wurzeln wird immer wichtiger"| Pieck, Kai S. - "Mir fehlt nicht nur in vielen Kinder- und Jugendfilmen, sondern überhaupt in deutschen Filmen der Raum für die Phantasie"|

Hintergrundartikel

Bundestag hat siebte FFG-Novellierung beschlossen| "Kinderfilme in Deutschland – Wohin geht die Reise?"| "Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte"|

Kinder-Film-Kritiken

Hanni & Nanni 3| Extrem laut und unglaublich nah|


KJK-Ausgabe 135/2013

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