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Ausgabe 64-4/1995

HENRY UND VERLIN

HENRY AND VERLIN

HENRY UND VERLIN

Produktion: Opeongo Films, Kanada 1994 – Regie und Buch: Gary Ledbetter – Kamera: Paul Auguenot van der Linden – Schnitt: Miume Jan Eramo – Musik: Mark Korven – Darsteller: Keegan Macintosh, Gary Farmer, Robert Joy, Nancy Beatty, Eric Peterson u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Malofilm International, 2221 Yonge Street, Sweete 400, Toronto, Ontario M4S 2B4, Canada, Tel. (...)1 416 480 0453, Fax (...)1 416 480 0501 – Altersempfehlung: ab 8 J.

Zu den beeindruckendsten Beiträgen des diesjährigen Internationalen Kinder- und Jugendfilmfestivals in Frankfurt/Main zählte der kanadische Film von Gary Ledbetter, "Henry und Verlin". Er schildert in einprägsamen Bildern die Freundschaft des neunjährigen, autistischen Verlin und des erwachsenen, geistig zurückgebliebenen Henry.

Der Film spielt in einem kanadischen Dorf während der Großen Depression der 30er-Jahre. Henry und Verlin sind Menschen, die sich nicht anpassen können und wollen und deshalb an den Rand der dörflichen Gemeinschaft gedrängt werden. Beiden ist gemeinsam, dass jeder für sich und in sich sein Leben lebt. Aus dieser Verfassung heraus findet Henry einen Zugang zu Verlin, der sich gegen seine Umwelt und vor allem gegen seine Mutter verschlossen hat. Deren Fürsorge ist von Schuldgefühlen geprägt, denn sie glaubt sich schuldig an dem geistigen Zustand ihres Sohnes. Henry in seiner teils groben, teil einfühlsamen Art ist der Einzige, der Verlin für seine Umwelt langsam öffnet. Er beginnt zu reagieren. Die Beziehung zwischen den beiden wird weder von den Eltern noch von den meisten anderen Dorfbewohnern gut geheißen. Ausgerechnet der erwachsene Henry, mit dem Verstand eines Kindes, nimmt sich des kleinen Jungen an und traut ihm Dinge zu, die die Umgebung erschrecken lässt. Denn sobald die beiden auftauchen, geschieht ein "Unglück". Zu allem Überdruss schließen die beiden auch noch Freundschaft mit Mabel, einer aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossenen ehemaligen Prostituierten. Sie akzeptiert die beiden so, wie sie sind.

Ala bei einem ihrer Ausflüge aus Unachtsamkeit eine Scheune abbrennt, werden die Forderungen, Henry in eine geschlossene Heilanstalt einzuliefern, immer lauter. Und nachdem Henry von gewalttätigen Dorfjugendlichen zusammengeschlagen wurde, geben seine Eltern und sein Bruder dem Drängen der dörflichen Moralwächter nach. Mit der Wegnahme seines besten Freundes aber werden alle Fortschritte Verlins zunichte gemacht. Verlin verfällt in ein tiefes Koma und wird ebenfalls in die Anstalt eingeliefert. Dort begegnen sich die beiden Freunde wieder, und mit der Hilfe eines Heiminsassen gelingt ihnen die Flucht. Langsam begreifen Verlins Eltern, wie wichtig Henry für ihren Sohn war. So machen sie sich auf den Weg, um beide wieder zurückzuholen. Doch in der Anstalt erfahren sie, dass Henry und Verlin geflohen sind. Was dem Arzt sehr peinlich ist, löst bei den Eltern eine stille Freude aus.

Dem Film, der sich durch eine gelebte Menschlichkeit auszeichnet, gelingt es, auch dem Zuschauer diese Botschaft zu vermitteln, nicht zuletzt durch das Spiel der beiden Hauptdarsteller. Er verdeutlicht, dass eine Verständigung auch ohne Worte möglich ist und dass Behinderte zwar anders, aber in ihrem Anderssein und ihrer Besonderheit den sogenannten Normalen gleichwertig sind. Vor allem Henry gehört die besondere Sympathie des Zuschauers. Er ist es, der ohne falsches Mitleid den neunjährigen Verlin fordert und fördert. Er ist es, der ihn durch seine persönliche, sensible und direkte Art aus seiner psychischen Abgeschlossenheit herausführt.

"Henry und Verlin" gehört zu den Filmen, die Kinder und Erwachsene auf eine direkte, dennoch differenzierte Weise ansprechen und Verständnis für diejenigen Menschen schaffen, die in der Gesellschaft immer wieder zu kurz kommen. Ein Film auch, der zum Renommee des Kinderfilms beiträgt, weil er den Zuschauer nicht unterfordert, sondern fordert.

Hans Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 70-4/1997 - Hintergrund - "Henry und Verlin"
KJK 65-4/1996 - Interview - "Unsere größte Furcht ist, anders zu sein als die anderen"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.HENRY UND VERLIN im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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