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Ausgabe 137-1/2014

PIONIEREHRENWORT / ICH GEBE DIR MEIN WORT

Bild: PIONIEREHRENWORT / ICH GEBE DIR MEIN WORT
© Schlingel Festival

TSCHASTNOJE PIONERSKOJE

Produktion: Kinoprogramma XXI Vek; Russland 2012 – Regie: Alexander Karpilowski – Buch: Alexander Karpilowski, Alexej Borodatschow, Tatjana Miroschnik, nach dem Buch von Michail Seslawinski – Kamera: Michail Milaschin – Schnitt: Irina Bytschkowa – Musik: Maxim Koschewarow, Sergej Sykow – Darsteller: Semjon Treskunow (Mischka Chrustaljow), Jegor Klinajew (Dimka Terentjew), Anfisa Wistingausen (Lena Karasjowa), Julia Rutberg (Schuldirektorin), Swetlana Iwanowa (Lehrerin "Swetotschka"), Wladimir Saizew (Mischkas Vater), Irina Lindt (Mischkas Mutter), Raisa Rjasanowa (Dimkas Großmutter), Jewgeni Mundum (Viktor "Fliegenpilz") u. a. – Länge: 97 Min. – Farbe – Kontakt: Kinoprogramma XXI Vek E-Mail: kinopro21@gmail.com – Altersempfehlung: ab 8 J.

Gleich mit den ersten Bildern und Tönen des Films wird es jedem Zuschauer klar, in welche Zeit er sich begibt und an welchen Ort: in tiefste Sowjet-Ära der 1970er Jahre und in tiefste russische Provinz. Rot-markige Losungen und Fahnen, intonierte Pionierhymnen und lichthell-frohe Plakate geben sozusagen die Marschrichtung an, umspannen den Kosmos einer Phase, die seit Perestroika-Umbruch als "Epoche der Stagnation" ihre adäquate Bezeichnung gefunden hat. Wer nun erwartet, eine vordergründig – jedenfalls kindgerechte – kritische Aufarbeitung dieser Vergangenheit zu erleben, sieht sich bald fehl in seiner Annahme. Mehr noch, dieser Film hätte genauso gut in jener Zeit gedreht werden können und kein Funktionär hätte wohl etwas daran auszusetzen gehabt. Und doch vermögen es die Bilder wie die spannende Handlung, mit den Sorgen und Nöten der Kinder für den heutigen Betrachter ein Gefühl der Berührtheit und Betroffenheit auszulösen.

Die beiden Zwölfjährigen, Dimka und Mischka, sind (nahezu) stramme Junge Pioniere, fest integriert in ihre Schule und in die Pionierorganisation, also ganz normale Jungen jener Zeit. Dass bei ihnen dennoch immer mal wieder etwas schiefläuft wie beim Wettbewerb der Schulklassen um die besten Ergebnisse im Altstoffsammeln und sie dabei die Auszeichnungsreise der eigenen Klasse nach Moskau vergeigen, wird zwar von der Direktorin an die große ideologische Glocke gehängt, gehört aber mit zum gewöhnlichen Lausbubenalltag. Als tiefgreifender für beider Schicksal erweist sich da schon das Auftauchen der cleveren Hündin Sawwa, die Mischka das Leben rettet und sofort von den beiden ins Herz geschlossen wird. Und von der hübschen, von Dimka und Mischa heimlich verehrten Mitschülerin Lena, die im lässigen Jargon der Pubertären nur mit ihrem Nachnamen "Karasjowa" tituliert wird. Sawwa wird nämlich alsbald von halbkriminellen Hundefängern fortgeschleppt und schwebt in Lebensgefahr. Dimkas und Mischas abenteuerliche Aktivitäten führen schließlich in finstere Kreise rund um den Schwarzen Markt der Stadt, wo ein gewisser Viktor, genannt der "Fliegenpilz", herumgeistert und Pelze aus Hundefell vertreibt. Turbulente, nicht ungefährliche Verfolgungsjagden nehmen ihren Lauf, und am Ende geraten die zwei Jungs in arge Schwierigkeiten – mit der Schule, der Pionierorganisation, mit Eltern und Großmutter und mit der Karasjowa. Denn Dimka und Mischa sollen beim großen Pionierfest der Schule als Akteure auftreten und haben Lena nicht nur einmal ihr "Pionierehrenwort" gegeben.

All das wird aus der Sicht des erwachsenen Mischka berichtet, dem offensichtlichen Alter Ego des Buchautors. Der Erzähler erlaubt sich einen beinahe nostalgischen Blick auf die damalige Zeit; die Erwachsenen-Figuren sind geschickt ausbalanciert zwischen nüchtern-realistischer Darstellung und Karikatur, wie auch der gesamte Film von einer leisen Ironie geprägt ist. Wehmütig wird der Konflikt zwischen beiden Knaben beim uneingestandenen Ringen um Lena und damit ihre erste Liebe entrollt; und das "Pioniertribunal" über die beiden am Schluss des Films entpuppt sich als Lehrstück über Anschauungen von Moral und Ethik, die auch heutigen Kindern gut zu Gesicht ständen. Neben namhaften Erwachsenenakteuren agieren in diesem, in Russland überaus erfolgreichen Film neben den beiden Hauptdarstellern Jegor Klinajew und Semjon Treskunow mit Anfisa Wistingausen (Karasjowa), Anastasia Dobrynina (Nastja) oder Walentin Sadiki (Bykow) weitere, nicht minder professionelle Kinderschauspieler.

Volker Petzold

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 137-1/2014 - Interview - "Ganz gewöhnliche Jungen"

 

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Ausgabe 137-1/2014

 

Inhalt der Print-Ausgabe 137-1/2014|

Filmbesprechungen

AM HIMMEL DER TAG| AUF DEM WEG ZUR SCHULE| BELLE UND SEBASTIAN| BETHLEHEM| DEINE SCHÖNHEIT IST NICHTS WERT| DIE EISKÖNIGIN – VÖLLIG UNVERFROREN| ELLA UND DAS GROSSE RENNEN| FACK JU GÖHTE| FÜNF FREUNDE 3| GABRIEL| DER HOBBIT – SMAUGS EINÖDE| KARSTEN UND PETRA – BESTE FREUNDE| KEINOHRHASE UND ZWEIOHRKÜKEN| KROKODILE OHNE SATTEL| PETTERSSON UND FINDUS – KLEINER QUÄLGEIST – GROSSE FREUNDSCHAFT| PIONIEREHRENWORT / ICH GEBE DIR MEIN WORT| DIE PUSTEBLUMEN| DIE SCHWARZEN BRÜDER| TRAUERE NICHT UM MICH, GÖTEBORG| VIELEN DANK FÜR NICHTS| DIE ZWÖLF MONATE|

Interviews

- Interviews mit den Filmförderern der Bundesländer zum Kinderfilm, Teil 3| Graf Rothkirch, Thilo - "Das Marketing für deutsche Animationsfilme müsste stark gefördert werden"| Klinajew, Jegor und Semjon Treskunow - "Ganz gewöhnliche Jungen"| Peters, Maria - "Diese Geschichte hat viel mit meinen eigenen Erfahrungen als Kind zu tun"| Sieben, Thomas - "Der Film ist ein Experiment"| Tabak, Hüseyin - "Man muss eine menschliche Lösung finden"|

Hintergrundartikel

Märchenfilme in ARD und ZDF zu Weihnachten 2013| „Ehrenschlingel“ für Thilo Graf Rothkirch|


KJK-Ausgabe 137/2014

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