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Ausgabe 138-2/2014

Man muss es versuchen und dann auch tun

Gespräch mit Matías Lucchesi, Regisseur des Films "Naturkunde / Ciencias naturales"

(Interview zum Film NATURKUNDE)

Matías Lucchesi, geboren 1980 in Cordoba, Argentinien, absolvierte Dramaturgie-, Theater- und Filmtheorie-Kurse, drehte 2007 mit "Savana" seinen ersten Kurzfilm und arbeitet als Drehbuchautor für Spielfilme. "Ciencias naturales", sein Spielfilmdebüt auch als Regisseur, erlebte bei Generation Kplus der Berlinale 2014 seine Premiere und wurde von der Internationalen Jury mit dem vom Deutschen Kinderhilfswerk gestifteten Großen Preis für den besten Langfilm ausgezeichnet.

KJK: Wie ist der Titel des Films zu verstehen?
Matías Luccesi: Ich und mein Ko-Autor Gonzalo Salaya haben den Titel beim Schreiben des Drehbuchs gefunden. Zum einen geht es um die natürlichen Gefühle eines Mädchens, zum anderen wird es von seiner Lehrerin in naturwissenschaftlichen Fächern unterrichtet, und schließlich handelt der Film davon, was im Körper des Mädchens vor sich geht, das in die Pubertät gekommen ist. In dieser Situation entwickelt es das Bedürfnis, endlich seinen leiblichen Vater kennen zu lernen.

Was war die Grundidee bei der Entwicklung des Drehbuchs und wie haben Sie mit Gonzalo Salaya zusammengearbeitet?
Wir hatten ja schon zuvor zusammengearbeitet. Als ich erfahren habe, dass sich ein aktuelles Filmprojekt aus finanziellen Gründen verzögern würde, habe ich mich in meine Heimat begeben und dort Orte aufgesucht, die ich schon aus meiner Jugend gut kannte. Ich hatte ein Bild vor Augen, mit einer Frau und einem kleinen Mädchen irgendwo in den Bergen in einer lebensfeindlichen Umgebung. Es ist bitterkalt und beide stehen da und warten. So kam mir die Idee, dass dieses Mädchen auf der Suche nach seinem Vater ist. Ich rief daraufhin Gonzalo an und wir begannen mit dem Schreiben.

Ich habe gehört, dass es zwei Versionen des Films gab, wobei die kürzere Fassung hier auf der Berlinale lief. Was war in der Langfassung anders?
Das erste Drehbuch, das wir entwickelten, war etwas länger, denn wir haben darin auch die Vorgeschichte der Lehrerin erzählt, ihre Wünsche, ihre eigene Liebesgeschichte. Damit wollten wir verdeutlichen, warum sie sich entschieden hat, dem Mädchen zu helfen und diese gemeinsame Reise anzutreten. Beim Filmschnitt merkte ich, dass er wegen der Länge nicht funktionieren würde. Ich habe dann entschieden, mich voll und ganz auf das Mädchen Lila und dessen Charakterzeichnung zu konzentrieren.

Waren Sie erstaunt, dass Ihr Film in der Sektion Generation Kplus platziert wurde oder haben Sie ihn gar für eine junge Zielgruppe gemacht?
Es war für mich eine große Überraschung, als ich gesehen habe, dass der Film in der Sektion Generation laufen würde. Beim Schreiben und beim Drehen dachte ich nicht daran, ob der Film für Kinder geeignet sein würde. Umso schöner war es für mich, dass gerade auch ganz junge Menschen meinen Film sehr mochten. Das war wirklich eine riesige Überraschung für mich, obwohl der Film eine universelle Geschichte erzählt, die nicht nur die Erwachsenen, sondern auch Kinder anspricht.

Was mochten die Kinder in Berlin am Film besonders?
Vom Alter her konnten sie sich sehr gut mit Lila identifizieren. Die innere Stärke dieses Mädchens und seine klare Entscheidung hat ihnen auch etwas von ihrer Kraft und Energie gegeben. Kinder können gut nachempfinden, wenn jemand etwas unbedingt machen muss und unter allen Umständen etwas braucht. Man muss es versuchen und dann auch tun.

Und wie steht es mit den Rechten der Kinder, etwa dem Recht, die eigenen Eltern zu kennen? Spielte dieser Aspekt eine Rolle?
Als ein ausformuliertes Recht eher nicht, aber insofern schon, als Lila gar nicht anders kann, als mit ihrer ganzen Willenskraft darum zu kämpfen, ihren leiblichen Vater endlich kennen zu lernen. Ich habe beim Schreiben also weniger an die Kinderrechte gedacht, als daran, trotz aller vorhandenen Hindernisse und Konflikte Lila eine positive Zukunftsperspektive zu geben. Darauf kommt es mir vor allem an. Was die Kinderrechte in Argentinien betrifft, ist das ohnehin ein schwieriges Thema, denn wir müssen dort viel improvisieren und es gibt viele Kinder, denen es selbst am Wichtigsten mangelt, das sehe ich dort jeden Tag.

Können Sie bitte etwas über diese Art von Schule sagen, die Lila besucht?
Es gibt eine ganze Reihe solcher abgelegenen Schulen in Argentinien. Sie werden von Schülern besucht, die weit entfernt von größeren Städten in den Bergen wohnen. Um auch ihnen eine Schulbildung zu ermöglichen, hat die Regierung solche Schulen gebaut. Einige Kinder, die in der näheren Umgebung wohnen, können zum Schlafen abends nach Hause. In der Schule in der Provinz Cordoba, in der wir gedreht haben, bleiben fast alle Kinder drei Wochen lang dort und haben dann eine Woche frei. Im Unterschied zu den Schulen in der Stadt sind die großen Ferien im Winter, der oft so hart ist, dass ein Unterricht nur schwer möglich wäre.

Lilas Lehrerin entwickelt ungewöhnlich viel Empathie für das Mädchen. Verkörpert sie den Traum von einer idealen Lehrerin?
Nein, ich habe solche Personen in den Landschulen tatsächlich erlebt. Sie sind ein bisschen Mutter und ein bisschen Lehrerin in einer Person. Sie müssen mit den Kindern Tag und Nacht zurechtkommen und haben zu ihnen daher oft eine große emotionale Bindung aufgebaut.

In einer Szene des Films ruft die Lehrerin die Schulleiterin an, aber die Zuschauer sehen nur, wie ihr Gesicht versteinert. Ich vermute, dass die Lehrerin da gerade ihren Job verloren hat?

In der Langfassung sagt die Schulleiterin tatsächlich zur Lehrerin, dass sie das nicht tun dürfe und falls sie mit Lila doch weiterfahren würde, brauche sie gar nicht mehr zurückkommen.

Was für eine symbolische Bedeutung hat das Geschenk, das Lila am Ende von ihrem Vater erhält?
Ich erzähle gerne in Bildern. Da waren zuerst die Antennen, die Lila auf die richtige Spur führen, und dann der Schweißer, der sich als ihr leiblicher Vater entpuppt und ihr die eiserne Wetterfahne schenkt. In seinem Beruf als Schweißer fügt er ständig etwas zusammen und macht aus zwei verschiedenen Dingen etwas Neues. Das ist ein kreativer Prozess vergleichbar der audiovisuellen Gestaltung. Auch da ist nicht alles eindeutig interpretierbar, aber man bekommt eine Ahnung von dem, was in der Kombination von Bild und Ton ausgedrückt werden soll. Werden alle Details miteinander verknüpft, wird plötzlich die ganze Geschichte klar.

Wie haben Sie Paula Hertzog gefunden, die in ihrer Rolle voll überzeugt? Sie spielte als kleines Mädchen ja bereits in einem Film, der 2011 im Wettbewerb der Berlinale lief.
Paula Hertzog ist wirklich etwas Besonderes. Sie ist eine Lichtgestalt und sehr ausdrucksstark, besonders mit ihren Augen. Sie hat genau verstanden, was wir von ihr erwarteten. Manchmal schien sie gar nicht richtig zuzuhören, aber dann kam immer ganz genau das, was wir ihr zuvor erklärt haben. Ich habe sie damals im Film "El premio" von Paula Markovitch gesehen und dachte sofort, sie wäre sicher eine gute Besetzung. Dennoch startete ich in Cordoba zunächst ein Casting, das ich sofort abbrach, nachdem ich Paula besucht und fünf Minuten Probeaufnahmen mit ihr gemacht hatte. In der Art, wie sie sprach und wie sie in die Kamera blickte, war mir sofort klar, dass ich keine Bessere für diese Hauptrolle finden konnte. Sie ist sehr talentiert, und sie ist in Wirklichkeit gerade mal elf Jahre alt.

Wie haben Sie mit Paula Hertzog gearbeitet?
Zunächst bat mich Paulas Mutter um das Drehbuch, denn sie wollte wissen, worum es geht. Ich bat sie allerdings, dafür zu sorgen, dass Paula das Drehbuch möglichst nicht zu lesen bekommt. Ob sie es doch getan hat, weiß ich nicht. Jedenfalls konzentrierte ich mich bei den Proben zum Film mit ihr allein auf die Beziehung zur Lehrerin. Es kam mir darauf an, dass beide auch im wahren Leben gut miteinander auskommen. Paula verstand das sofort und verhielt sich entsprechend. Beim Drehen stand mir dann ein Assistent zur Seite, der sich ausschließlich um Paula kümmerte. Ich besprach die Szenen zunächst mit ihm und er ging sie dann mit Paula durch. Das ist besonders wichtig bei einer solchen unabhängigen Produktion, die nicht bis ins letzte Detail planbar ist.

Einen solchen Film in Deutschland zu drehen, wäre nicht einfach, allein schon von der Finanzierung her. Wie war das in Argentinien?
Am Anfang stand ich ganz allein da, die Produzenten kamen erst später hinzu, als ich schon große Teile des Films gedreht hatte. Ich hatte in diesem Fall auf Hilfe von außen verzichtet, weil ich vom langen Abwarten bei anderen Projekten bereits genug hatte. Ich wollte diesen Film aber unbedingt machen. Wir hatten wenig Geld zur Verfügung und auch die Drehbedingungen in den Bergen, die sich mit vielen unfreiwilligen Wartezeiten über einen Monat hinzogen, waren ziemlich hart.

Möchten Sie wieder mit Kindern drehen?
Die Kindheit ist für mich eines der wichtigsten Themen. In der Kindheit entscheidet sich, wie man später mit seinen Gefühlen umgeht und was einen gedanklich beschäftigt. Sie ist eine der wichtigsten Abschnitte im Leben. Daher hoffe ich sehr, dass ich bald wieder auch mit Kindern drehen werde. In meinem nächsten Film geht es allerdings um die Beziehung zwischen einem Vater und dem fast erwachsenen Sohn. Die Geschichte spielt in einem Segelboot. Zusammen mit meinem Koautor Gonzalo denke ich aber jetzt schon darüber nach, einen weiteren Film mit Paula zu drehen, wenn sie ungefähr 15 Jahre alt sein wird.

Das Interview wurde von Holger Twele während der Berlinale geführt

 

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