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Ausgabe 140-4/2014

„Die Serie wäre so nicht gemacht worden, wenn in den Redaktionen so gedacht worden wäre wie in der Gesellschaft“

Gespräch mit Michael Verhoeven, Autor, Regisseur, Produzent

(Interview zum Film Krempoli - Ein Platz für wilde Kinder)

Beim KinderMedienFestival "Goldener Spatz" 2014 wurde "Krempoli – Ein Platz für wilde Kinder", eine für die ARD vom SDR produzierte Fernsehreihe für Kinder, als Wiederentdeckung gezeigt. Zehn Folgen á fünfzig Minuten – ein Unternehmen, wovon Kinderfilmmacher heute nur noch träumen können. Regisseur Michael Verhoeven, der in der zehnten Folge "Theater" auch als Autor zeichnet, erinnert sich an die Dreharbeiten in den Jahren 1973/74.

Michael Verhoeven, 1938 als Sohn des Regisseurs und Schauspielers Paul Verhoeven in Berlin geboren, stand schon als Jugendlicher vor der Kamera, u. a. in der Kästner-Verfilmung "Das fliegende Klassenzimmer" (1954) und "Der Pauker" (1958). Danach studierte er Medizin, promovierte 1969 und arbeitete einige Jahre als Arzt. Parallel dazu gründete Michael Verhoeven Ende der 60er-Jahre mit seiner Frau Senta Berger die Filmproduktionsfirma Sentana in München. Im Laufe der Jahre realisierte er zahlreiche Film- und Fernsehprojekte als Regisseur, engagierter Autor und auch Schauspieler. 1970 verursachte sein experimenteller Vietnam-Antikriegsfilm "o.k." einen Skandal und den Abbruch der Berlinale. Für seine Spielfilme "Die weiße Rose" (1982), "Das schreckliche Mädchen" (1990), "Mutters Courage" (1995), um nur einige zu nennen, wurde Verhoeven mit Preisen gewürdigt. Sein aktueller Spielfilm "Let’s go", der die wahre Geschichte des jüdischen Mädchens Laura erzählt, hatte beim Filmfest München 2014 Premiere und war im Oktober 2014 im Fernsehen (ARD) zu sehen.

KJK: Die kleine Claudia aus der Serie "Krempoli" war Gast beim "Goldenen Spatz" in Erfurt. Sie erzählte viel von damals, vor allem vom Michael … Erinnern Sie sich an sie?
Michael Verhoeven: Aber ja, sie war die Kleinste, sechs Jahre alt, und wurde von allen sehr geherzt. Es war schon etwas Besonderes, weil ich die Kinder nicht in dem Sinne besetzt hatte, wie man das heute macht. Casting gab es ja damals noch nicht.

Wie haben Sie die Kinder gefunden?
Wir hatten schon mehrere Kinder aus der Besetzungskartei der Bavaria ausgesucht, die die SDR-Serie produzierte. Alle diese Kinder hatten schon einmal etwas beim Film gemacht. Das Besondere aber war, dass die von uns angesprochenen Eltern sagten, sie könnten das nicht entscheiden, wir müssten uns die Erlaubnis der Schulen einholen. Daraufhin sind wir an die verschiedenen Münchner Schulen gegangen. Die Lehrer lehnten ab, weil es bedeutet hätte, dass die Kinder ein halbes Jahr nicht zur Schule gehen könnten.

Hat Sie da nicht der Mut verlassen?

Wir sagten uns, wenn das so ist, gehen wir an eine Schule. Beim Gymnasium in Pullach, wo es täglich auch nachmittags Unterricht gab, waren sie sehr aufgeschlossen. Wir gaben ihnen die Drehbücher, damit sie verstehen, worum es geht.

Und haben die Lehrer alles verstanden?

Ja, das war eine moderne Schule. Sie sagten uns: Wir haben Ihnen die Kinder auch schon ausgesucht und bereits mit den Eltern geredet. Darauf waren wir nicht gefasst. Jetzt hatte ich die Kinder – aber was mache ich mit denen? Nicht ich hatte entschieden, sondern die Lehrer: Das sind die Kinder, mit denen musst du auskommen. Erst war ich entsetzt, dann habe ich mit ihnen geredet, lernte sie kennen. Sie waren aus einer Klasse, kannten auch das Drehbuch.

Hatten sich die Kinder bereits ihre Rollen ausgesucht?
Nein. Sie fanden das Buch gut und spannend. Es gibt zum Beispiel eine Rolle, in der ein Junge schon Auto fahren kann und den ersten Kuss bekommt. Als ich Peter dafür auswählte, wurde schallend gelacht. Peter wurde ausgelacht, weil er stotterte. Jedenfalls war es dann so, dass ich dieses Stottern sehr charmant fand.

Gab es Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten mit der Gruppendynamik?
Am Anfang waren die Kinder natürlich sehr aufgeregt. Die hatten ihre Hackordnung, der kleine Dieter zum Beispiel, der war einer, der die anderen im Griff hatte, er war der Tonangebende in der Klasse. Und diese Hackordnung wurde während des Drehens total auf den Kopf gestellt. Denn die Kinder waren ja nicht mehr die, die sie im Leben sind, sondern in ihrer Rolle. Es gab auch die tollsten Liebschaften, die waren am Ende des Drehs alle neu verbandelt.

Die Dreharbeiten – auch ein Lernprozess in Sachen Selbstbewusstsein?
Die Kinder waren erst steif und verlegen. Aber es wurde von Tag zu Tag ein bisschen besser. Die ersten zwei, drei Tage habe ich völlig neu gedreht. Aber erst am Ende des gesamten Drehs.

Und die Location? Heute kann allein die Suche nach einem solchen Freiraum für Kinder Wochen in Anspruch nehmen ...
Die Bavaria hatte auf ihrem Gelände einen großen Schrottplatz. Dort mussten wir jeden Tag aus dem neu hinzugekommenen Abfall die Filmdosen heraussortieren, denn die hätte man ja sofort gesehen. Ansonsten war das ein großartiger Müll, ein echter Schrottplatz.

Waren Kinderarbeitsschutz und pädagogische Betreuung bei den Dreharbeiten ein zusätzliches Problem? Denn allein 13 Kinder haben Hauptrollen.
Das war überhaupt kein Thema. Wir hatten eine Lehrerin, die mit den Kindern den Unterrichtsstoff durchnahm, die mussten ja ein Schuljahr kompensieren.

Wurde chronologisch gedreht?

Ja, die Kinder haben sich gut eingespielt. Es gab auch keine Wetterprobleme. Fing es an zu regnen, gingen wir in den Bus. Und wir hatten einen wunderbaren Kameramann, Joseph Vilsmaier, der zum ersten Mal die Kamera führte. Die Kinder haben ihn geliebt.

Ein halbes Jahr Drehzeit – heißt das, jeden Tag wurde gedreht?
Die Kinder hätten am liebsten auch am Wochenende gedreht, insgesamt haben wir ein Jahr an der Serie gearbeitet.

Wofür ging das andere halbe Jahr drauf?
Wir hatten ohne Ton gedreht. Das war gut, denn so konnte ich mit ihnen während des Drehens reden, ihnen Regieanweisungen geben. Das war ein leichtes Arbeiten für uns alle.

Wie war das dann mit der Synchronisation?
Bavaria hatte schon alle Rollen besetzt mit sehr guten und erfahrenen Kindern. Ich dachte, das kann der Sache nur dienen. Die wissen, was sie zu tun haben. Wir haben das aber gestoppt, denn es waren zu routinierte Töne, die da ankamen. Ich rief unsere Kinder zusammen. Die Bavaria war aufgeregt, sagte zu mir: Sie haben das zu verantworten, Sie müssen sehen, wie Sie damit zu Rande kommen … Die Kinder wurden von Take zu Take sicherer, haben wunderbar ihre Texte gesprochen.

Hat das Ergebnis den Kindern gefallen?

Ja natürlich, sie meinten: So sollte es in Wirklichkeit sein, das wäre schön.

In der zweiten Folge bestimmen die Kinder den Bauleiter, eine praktische Anleitung zu demokratischen Entscheidungen. Stand das so im Drehbuch?
Ja, Klaus Landsittel, der mir schon vorher vom Theater her bekannt war (leider lebt er nicht mehr), hat sich das alles so ausgedacht. Er selbst hatte keine Kinder und investierte viel in die Rolle des väterlichen Freundes. Es passt gut zu einem, der sich immer Kinder gewünscht hat.

In den siebziger Jahren war das Leben der Kinder von vielen Verboten bestimmt. Die Erwachsenen waren Kindern gegenüber missgünstig. Aber im Fernsehen hatten damals offensichtlich andere, fortschrittliche Menschen das Sagen …
Die Serie wäre nicht gemacht worden, wenn in den Redaktionen so gedacht worden wäre wie in der Gesellschaft.

Können Sie sich vorstellen, dass heute noch eine solche Serie realisiert werden kann?

Ich denke, es kann schon passieren. Die Pädagogik hat einen großen Schritt nach vorn gemacht. Aber heute sind die Kinder viel behüteter. In Grünwald, wo wir leben, werden sie in Autos von den Müttern zur Schule gebracht und wieder abgeholt. Ich erinnere mich an meinen ersten Schultag. Meine Mutter hatte mich begleitet, dann zog sie wieder ab. Ich kannte den Weg und wurde folglich nie wieder zur Schule gebracht.

Wie war seinerzeit die Reaktion auf "Krempoli", einer Nachmittagsserie, in der Kinder sich eigene Welten erobern und für den Erhalt ihres Spielparadieses kämpfen?
Nach der Ausstrahlung gingen Proteste beim SDR ein, die mussten das erstmal verdauen – Ihr tut den Kindern was an; die suchen auch so einen Spielplatz und finden ihn nicht; vor allem ist da ja alles ziemlich gefährlich, die könnten sich ja verletzen. Die Kritiken hingegen waren gut, das waren gebildete Menschen, die sich auch eine bessere Kindheit gewünscht hätten.

Gab es damals im SDR eine Kinderredaktion für das Projekt?

Nein, es war die Hauptredaktion Fernsehspiel. Und wir haben nie irgendwelche Auflagen vom Sender bekommen, keine Änderungswünsche. Uns war schon bewusst, dass wir etwas ganz Besonderes machen. Im Gegensatz zu heute, wo alles reglementiert ist und man ständig unter Druck steht, waren wir bei "Krempoli" wirklich frei.

"Krempoli" ist auch inhaltlich in mancher Hinsicht weiter als heute …
Natürlich war es ein Ideal, das wir uns ausgedacht hatten für die Kinder. Der Film hatte ja auch die Absicht, dafür zu sorgen, dass man zu einem Umdenken kommt. In Wirklichkeit hat sich das nie so erfüllt. Aber die Idee von Freiheit sieht man schon noch.

Erhielten Sie weitere Angebote für Kinderfilme?
Nein, für Kinder habe ich nur dieses eine Mal etwas gemacht. Nie wieder kam eine diesbezügliche Anfrage. "Krempoli" wurde gern gesehen, war auch innerhalb der Sendeanstalt eine gute Sendung. Aber was da an Qualität war, hatte man erst später gemerkt.

Das Gespräch mit Michael Verhoeven führten Christel Strobel und Gudrun Lukasz-Aden

 

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