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Ausgabe 68-4/1996

"Zynismus ist ein Zeichen von Subkulturen"

Gespräch mit Regisseur Danny Boyle und Autor John Hodge zu "Trainspotting"

(Interview zum Film TRAINSPOTTING)

KJK: Inwieweit spielen persönliche Erfahrungen in "Trainspotting" mit?
Boyle: "Der Film reflektiert auch etwas über uns, es geht um Menschlichkeit. Wir haben zwar selbst keine Erfahrungen im praktischen Drogengebrauch, aber wir kennen Drogensüchtige und wissen, wie sie leben."

Wie haben Sie sich vorbereitet?
Hodge: "Die meiste Literatur schildert Drogensüchtige als Opfer, die unser Mitleid verdienen. Wir wollten aber in den Charakteren sein, aus ihrer Sicht die Story erzählen. Durch Zufall kamen wir in Kontakt mit einer radikalen Selbsthilfegruppe in Glasgow, die nichts von Substitutionsprogrammen oder Drogenprogrammen der Regierung hält. Diese Ex-Junkies verfügen über mehr Erfahrungen, als man in jedem Buch nachlesen kann. Wir mussten erst einmal ihr Vertrauen gewinnen, aber dann konnten wir auf ihre Unterstützung zählen."

Ihr Film irritiert all diejenigen, die vor Drogenabusus warnen. Wollten Sie mit "Trainspotting" provozieren oder schockieren?
Hodge: "Das Buch von Irvine Welsh provoziert, weil es Drogenabhängige mit einem Sinn für Humor zeigt. In unserer Gesellschaft betrachtet man sie meistens als Abfall, als Schmutz, den man wegfegen muss, damit die Städte wieder blitzsauber aussehen. Wir zeigen sie als aufmüpfige menschliche Wesen, als Typen, die nicht nur dem Tod entgegenschlittern, sondern auch süchtig nach Leben sind. Das verursacht Irritationen, weil dieses Bild nicht in das vorgefasste Raster passt. Wir präsentieren das Leben von Junkies auch nicht nur als Vergnügen, sondern in seiner ganzen Komplexität."
Boyle: "Man hält sich für aufgeschlossen und informiert, und dann merkt man nach der Lektüre von 'Trainspotting', dass man nichts von der Wirklichkeit weiß. Das Buch überrascht immer wieder durch neue Wendungen, wirft einen neuen Blick auf die Subkultur, fordert zum Nachdenken auf. Ich hoffe, das erreicht auch der Film."

Renton beginnt am Ende ein neues Leben, aber nur auf Kosten seiner Freunde. Heißt das, nur als Egoist kann man überleben?
Boyle: "Nach den Regeln des Kinos müsste Renton sterben, er ist der Schlimmste. Aber in der Realität werden doch nicht immer die Bösen bestraft, im Gegenteil, meistens erwischt es die Guten. Gerechtigkeit ist nur eine Utopie der Bildungsbürger, von Menschen, die sich Gerechtigkeit leisten können. Sie existiert nur in unseren ethischen Vorstellungen und in unseren Köpfen."
Hodge: "Das Ende ist widersprüchlich. Rentons einzige Chance ist, sich von seinen Kumpels zu trennen. Der Verrat ermöglicht ihm einen Neuanfang. Dies ist eine spezielle und individuelle Situation, keine allgemein empfehlenswerte Lebensmaxime."

Repräsentieren die Protagonisten nur eine marginale Seite der englischen Gesellschaft oder ist dieser Fatalismus typisch für eine perspektivlose Jugend?
Boyle: "Sie repräsentieren einen Teil der Jugendlichen, die an nichts mehr glauben, die in den Tag hinein leben und sich in Passivität, Zynismus und Ironie flüchten. Dieser Typus negiert einfach alles."
Hodge: "Skeptizismus ist ein weit verbreitetes Lebensgefühl, das die Medien verstärken. In Großbritannien und anderen westlichen Gesellschaftsformen haben die jungen Leute den Glauben an die Politik und mögliche Änderungen verloren. Das manifestiert sich in Rentons zynischer Haltung und ist ein Markenzeichen von Subkulturen."

Sie arbeiten sehr stark mit surrealen Effekten. Fühlen Sie sich der MTV-Ästhetik verbunden?
Hodge: "Wir sind mit dem zeitgenössischen Kino aufgewachsen. Im Kino sollte man etwas anderes sehen als im TV. Jemand, der am Freitagabend 15 Mark Eintritt zahlt, hat das Recht, etwas Außergewöhnliches zu erleben, Kino ist 'bigger than life'. Das war unsere Philosophie, nicht MTV."
Boyle: "In Großbritannien gilt der Begriff MTV-Filmer fast als Beleidigung. Kino erfordert eine eigene Ästhetik, alles fokussiert sich wie unter einem Brennglas. Die Verfremdungen geben eine kurze Atempause, bevor die nächste Schock-Szene kommt. Der schnelle Schnitt hat mit der Energie des Films zu tun. Das Publikum soll wie in einem magischen Sog in die Geschichte herein gezogen werden, Stellung beziehen,. Für 90 Minuten begibt es sich in eine ihm fremde Welt, aus der es wie benommen wieder auftaucht. Das ist unsere Version von Kino. Deshalb dürfen Filme auch nicht zu lang sein, sonst ist die Magie gebrochen, baut der Zuschauer wieder eine Distanz auf.

Würden Sie sich dem sozialkritischen British Cinema von Frears, Leigh oder Loach zurechnen?
Boyle: "Wir kennen uns, aber fühlen uns nicht einer bestimmten Gruppe zugehörig. Nichts gegen die konventionelle Umsetzung sozialer Probleme, aber mit Betroffenheitskino kann man in den 90er-Jahren keine jungen Zuschauer mehr für ein Thema interessieren."

Sie bezeichnen sich als "Pop-Group", für Filmemacher etwas ungewöhnlich.
Boyle: "In der Pop-Szene schweißt der Erfolg die Gruppen zusammen, sie freuen sich, genießen das Leben mit 'drugs and girls', machen gemeinsam die nächste Platte. In der Filmindustrie ist das anders, da geht es um Kontrolle und Macht über Individuen, um Vereinzelung. Deshalb haben wir uns diese Analogie ausgedacht. Wir haben keinen Vertrag oder eine geschäftliche Basis, jeder kann jederzeit gehen, wohin er will. Aber wir möchten uns nicht von irgendeinem Produzenten auseinander dividieren lasen, sondern fühlen uns als Gruppe und möchten noch mehr Filme miteinander machen."

Ihre Filme "Kleine Morde unter Freunden" und "Trainspotting" gelten jetzt schon als Kult. Haben Sie keine Angst vor dem vergänglichen Ruhm eines Kultfilmers?
Boyle: "Jede Art von Erfolg führt zu irgendwelchen Erwartungen und früher oder später wird man die enttäuschen. Sick Boy macht in 'Trainspotting' eine Liste von Leuten, die er bewundert und denjenigen, die er nicht mehr bewundert. Irgendwann finden wir uns vielleicht auch auf Sick Boys Negativ-Liste wieder. Hoffentlich nicht zu bald."

Und haben Sie schon ein nächstes Projekt?
Boyle: "Nach dem Erfolg von 'Trainspotting' regneten uns Angebote ins Haus. Aber wir sind da vorsichtig. Unseren nächsten Film drehen wir in Amerika. Das Geld kommt von einer amerikanischen Firma und von Channel Four. Das Team, Kameramann, Ausstatter und Cutter, ist aber das gleiche. Und auch Ewan McGregor spielt wieder die Hauptrolle. Keine Angst, Hollywood ist noch fern."

Interview: Margret Köhler

 

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