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Ausgabe 53-1/1993

SEHNSUCHT

( zum Film SEHNSUCHT)

Produktion: Westdeutscher Rundfunk, Bundesrepublik Deutschland 1990 – Regie: Hanno Brühl – Buch: Kadir Sözen – Kamera: Michael Giefer, Irma Schreiber – Schnitt: Margot Löhlein, Brigitte Wilz – Musik: Orhan Temur – Darsteller: Ibrahim Erol Sandalcioglu (Hüseain), Deger Pekermann (Memo), Iris Winter (Regine) u. a. – Länge: 96 Min. – Farbe – Verleih: Kinder- und Jugendfilmzentrum, Filmothek der Jugend des Landes Nordrhein-Westfalen (16mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.

Hanno Brühls Spielfilm "Sehnsucht" wurde beim Europäischen Jugendfilmfestival Köln 1990 vor einem jugendlichen Publikum uraufgeführt und begeistert aufgenommen. Jetzt konnten gleich zwei Verleihe für den Film gewonnen werden, der damit endlich den Weg zu seinem Publikum finden dürfte.

Ein "Tatort" mit Schimanski im Fernsehen, ein Poster vom 1. FC Köln, eine BAP-Kassette mit den bekannten Songs – nichts als Erinnerungen an die alte Heimat bleiben Hüseyin und seinem jüngeren Bruder Memo. Seit ihr Vater sich entschloss, mit der Familie in die Türkei zurückzukehren, hat sich ihr Leben grundlegend geändert. Aufgewachsen in der Großstadt Köln, leben sie nun in einer kleinen Stadt südlich von Izmir. Hüseyin arbeitet im Lebensmittelgeschäft des Vaters – und langweilt sich. Memo besucht eine türkische Schule und reibt sich täglich an dem strengen Reglement, dem er sich nicht unterordnen will.

In ihren Erinnerungen und Träumen leben die beiden weiter in Köln. Dort wohnt Regine, Hüseyins Freundin, dort gibt es das "Juzi", wo sich die frühere Clique regelmäßig trifft. Neue Freunde finden sie in der Türkei nicht. Selbst ein Fußballspiel kann die Gegensätze zwischen den einheimischen Jugendlichen und den türkischen Jungs aus Köln nicht mindern. Noch bevor das Spiel beginnt, wird Memo ausgetrickst. Auch in der Familie genügen kleinste Anlässe, um die Meinungen aufeinanderprallen zu lassen. Als zur besten Fernsehzeit der Strom ausfällt, bringt Hüseyins Kommentar, "in Deutschland wäre das nicht passiert", den Vater zur Weißglut.

Nach einem Jahr schütteln die Nachbarn den Kopf über die "missratenen" Söhne, die ausgerechnet bei einem Hochzeitsfest der Familie den Plan zur Flucht schmieden. Die Sehnsucht nach dem Land ihrer Träume, nach Freunden und Freundin, treibt Hüseyin und Memo zu einer abenteuerlichen Reise zurück nach Deutschland. Ohne Wissen der Eltern, ohne Geld und ohne Visum gelingt ihnen mit Witz und Cleverness die Flucht nach Köln. Regine und die Freunde nehmen die beiden herzlich auf, doch ihre Unterstützung reicht nicht aus. Nicht nur Regines Mutter lässt ihre Abneigung gegen Ausländer deutlich spüren, auch in der Kneipe und bei der Ausländerbehörde ist es nicht zu überhören, dass die beiden in Deutschland nicht mehr erwünscht sind. Die Ankunft in der alten Heimat stellt sich am Ende anders dar als erhofft.

Gerade in der heutigen Zeit, in der nach dem Vereinigungstaumel die deutsch-nationalen Gefühle Hand in Hand mit dem Ausländerhass das Bild unserer Wirklichkeit zu bestimmen drohen, dürfte ein Film wie "Sehnsucht" für manche Diskussion sorgen. Ohne zu beschönigen, zeigt er die Zerrissenheit türkischer Jugendlicher, die in der Bundesrepublik aufgewachsen sind und mit ihren Eltern, durch die wachsende Ausländerfeindlichkeit und durch Rückkehrprämien zur Ausreise bewegt, in die Türkei zurückkehren. Für viele wird das Land, das die meisten nur aus Erzählungen und dem alljährlichen Urlaub kennen, zum Albtraum.

Bei diesem aktuellen Thema gelingt Hanno Brühl die Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Information. Das Leben der beiden Protagonisten in der Türkei wird über weite Strecken nur über sorgfältig ausgewählte Bilder erzählt, wobei die Musik von Orhan Temur zur atmosphärischen Dichte beiträgt. Nicht zuletzt durch seine jugendlichen Akteure, die sich mit bitterem Humor durchs Leben schlagen, spricht der Film auch Jugendliche an. Die Authentizität und Situationskomik der jungen (Laien-)Darsteller versöhnt mit mancher Ungelenkigkeit. "Sehnsucht" ist ein Beweis, dass auch mit einem "Low"-Budget aktuelle, spannende, unterhaltsame und vor allem authentische Geschichten von Jugendlichen in der Bundesrepublik zu erzählen sind.

Irene Schoor

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 45-1/1991 - Filmbesprechung - SEHNSUCHT

 

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Ausgabe 53-1/1993

 

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