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Ausgabe 73-1/1998

"In meinem Film wird niemand makellos sein"

Gespräch mit der Regisseurin und Autorin Caroline Link zu "Pünktchen und Anton"

(Interview zum Film PÜNKTCHEN UND ANTON – 1998)

Caroline Link ("Jenseits der Stille") beginnt im Sommer 1998 mit den Dreharbeiten einer Wiederverfilmung von "Pünktchen und Anton" in München, frei nach dem Kinderbuch von Erich Kästner aus dem Jahre 1931. Die erste Verfilmung dieses Stoffes von 1953 (Regie: Thomas Engel) kennt sie natürlich, und es gibt vieles, was sie anders – zeitgemäß – inszenieren wird.

KJK: Wann ist Ihnen "Pünktchen und Anton" zum ersten Mal begegnet?
Caroline Link: "Ich habe mit ungefähr zehn Jahren das Buch zum ersten Mal gelesen. Es hat mir sehr gefallen. Ich mochte Erich Kästner immer sehr gern, seinen Humor, seine Wärme, seine Figuren. Die Kinder in seinen Geschichten waren mutig, aufmüpfig und auch mal frech. Sie konnten in ihrer Welt wirklich etwas bewegen und verändern. Das hat mich als Kind beeindruckt."

Welches ist Ihre Lieblingsgeschichte von Erich Kästner?
"Heute sind es seine Gedichte, seine kurzen kritischen Texte. Von den Kinderbüchern war immer 'Das Doppelte Lottchen' mein Favorit."

War es Ihr Wunsch, "Pünktchen und Anton" neu zu verfilmen?
"Nein, die Produktionsfirma (Peter Zenk /Lunaris Film), hat mich gefragt, ob ich einen Kästner-Stoff machen möchte – 'Emil und die Detektive', 'Pünktchen und Anton' oder 'Das fliegende Klassenzimmer'. Ich habe mich für 'Pünktchen und Anton' entschieden. 'Das Doppelte Lottchen' ist schon gemacht, und 'Emil und die Detektive' von 1931 ist ein so starker Film, dass ich große Bedenken hätte, den noch einmal aufzunehmen."

Wie hat Ihnen Joseph Vilsmaiers Remake vom Doppelten Lottchen "Charlie und Louise" gefallen?
"Dem Sepp Vilsmaier sind sehr schöne Momente gelungen. Speziell einer ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Wenn die Mutter plötzlich begreift, dass sie ihre zweite Tochter vor sich hat, die sie seit dem Babyalter nicht mehr gesehen hat. Das ist ein unglaublich bewegender Moment und Corinna Harfouch hat das sehr schön gespielt. Bei 'Pünktchen und Anton' muss ich aufpassen, dass die Geschichte nicht zu larmoyant erzählt wird. Der Kontrast zwischen Arm und Reich, die gute und die schlechte Mutter. Das ist mir zu einfach gestrickt. Kästners Mutterbild, geprägt durch seine eigene Kindheit und seine extreme Beziehung zu seiner Mutter erscheint heute sehr unmodern und betulich."

Das kommt ja auch in der Figur des Anton und des Emil zum Ausdruck ...
"Als 'Pünktchen und Anton' erschien, wurde Kästner vorgeworfen, dass Anton dem Emil zu sehr ähnelt, beide Mustersöhne, die der Mutter helfen. Was ich aber besonders hart fand: Anton kommt nach Hause zu seiner kranken armen Mutter, die todtraurig ist, weil Anton ihren Geburtstag vergessen hat und ihm das vorwirft. Ich finde, das macht diese Mutter nicht gerade sympathisch, zumal Anton wirklich ein Musterknabe ist."

Diese Szene wird also bei Ihnen anders aussehen, welche noch?
"Im Film aus dem Jahr 1953 denkt die Mutter, Anton habe etwas geklaut, in meiner Geschichte wird er wirklich etwas klauen. Ich finde, dass er auch etwas falsch machen und trotzdem ein wirklicher Held sein kann. Es geht ja darum, dass man mit Fehlern, die man macht, umgeht. Es hat mich gestört, wie makellos die Kinder sind. In meinem Film wird niemand makellos sein."

Können Sie "Pünktchen und Anton" verändern, wie Sie möchten?
"Bavaria Film hat die Rechte an Kästners Romanen für Kinder erworben und mir die Freiheit gegeben, das Buch 'Pünktchen und Anton' nach heutigen Maßstäben zu bearbeiten."

Wird es ein sozialkritischer Film mit aktuellen gesellschaftspolitischen Bezügen?
"Mein Thema ist Gerechtigkeit und es geht mir um die Familie, um wahre Freundschaft, nicht in erster Linie um arm und reich. Mich beschäftigen die Fragen: Was ist heute eine Familie? Kann eine einzelne Frau mit ihrem Kind eine Familie sein? Ist die Familie eine bessere, wenn es Vater und Mutter gibt? Was macht ein Zuhause aus? Familie Pogge (Pünktchens Eltern) ist sehr wohlhabend und Antons Mutter alleinerziehend."

Das ist sie auch bei Kästner, allerdings eine dem Schicksal Ergebene, klaglos Hinnehmende. Wie sehen Sie die Figur?
"Sie hat viel zu früh ihr Kind bekommen, ihren richtigen Beruf noch nicht gefunden, ist mit sich selbst beschäftigt und hat auch wenig Geld. Sie ist noch auf der Suche, eine junge Frau, die noch gar nicht weiß, wer sie ist und was sie eigentlich selbst will. Keine perfekte Mutter. In Kästners Mutterfigur kann ich mich nicht hineinversetzen, die ist mir fremd, eine ausgedachte Person. Mit meiner kann ich mich identifizieren, obwohl es nicht meine Situation ist. Auch Fräulein Andacht wird anders angelegt sein, denn eine Gouvernante gibt es heutzutage nicht mehr, es wird ein französisches Au-pair-Mädchen sein."

Was werden Sie noch verändern?
"Alles will ich jetzt aber noch nicht verraten."

Wird es auch ein erstes zartes Gefühl zwischen dem Mädchen und dem Jungen geben?
"Nein. Ich finde, das ist nicht die Geschichte von Pünktchen und Anton. Die beiden verbindet eine absolute Kinderfreundschaft. Nicht mehr. Bei der Besetzung ist das allerdings gar nicht so einfach. Es gibt zehnjährige Mädchen, die kann man sich schlecht Hand in Hand mit einem Buben vorstellen, ohne dabei an die erste Liebe zu denken. Dieses Alter ist toll. Die Kinder stehen mehr oder weniger an der Schwelle zur Pubertät. Die Besetzung ist eine feine Gratwanderung."

Wird es ein Film fürs Kino?
"Ja. Der Film wird mit einem ordentlichen Budget fürs Kino produziert."

Wann und wo wird gedreht?
"Die Dreharbeiten finden ab Juni 1998 in München statt. Das Kinder-Casting läuft bereits."

Suchen Sie selbst nach Pünktchen und Anton?
"Das macht Nessie Nesslauer, die schon bei 'Jenseits der Stille' für das Kindercasting verantwortlich war. Sie macht das wunderbar, hat viel Erfahrung und ein gutes Gespür. Sie spricht Kinder an Schulen, in Theatergruppen oder auf der Straße an."

Sollten die Kinder Filmerfahrung mitbringen?
"Erfahrung muss nicht sein. Ich bin ein Fan von Kindern, die noch nichts gemacht haben. Kinder mit viel Filmerfahrung müssen, wie in Amerika der Fall, meiner Meinung nach eine richtige Schauspielausbildung absolvieren, um zu lernen, was sie anfangs spontan konnten und im Laufe der Filmarbeit verloren haben. Kinder, die sich selbst oft im Fernsehen oder auf der Leinwand sehen, haben bereits ein Bild von sich, sind nicht mehr ursprünglich. Ich arbeite sehr gern mit Kindern, habe keine Angst vor ihnen, finde es ausschlaggebend, dass die Kinder richtig besetzt werden. Kinder sind keine Profis, sie spielen im besten Fall sich selbst und bewegen sich natürlich vor der Kamera. Ich kann am Drehort den Wesenszug eines Kindes nicht völlig verändern. Das Mädchen, das wir für Pünktchen suchen, muss Pünktchen sein, energisch, klug, selbstbewusst."

Wie weit ist das Drehbuch?
"Ich arbeite an der dritten und letzten Fassung."

Orientieren Sie sich beim Schreiben an der aktuellen Ausdrucksweise der Kinder?
"Ich habe nicht vor, mich bei den Kindern mit Modeworten wie krass, geil, megacool einzuschleimen. Die merken sowieso gleich, ob jemand ihre Sprache wirklich beherrscht oder nicht. Nichts ist schlimmer, als wenn Erwachsene 'einen auf Kind machen', damit die Kleinen auch schön lachen. Nein, bei mir sprechen die Kinder eine Sprache, die immer aktuell sein wird. Erich Kästner hilft mir dabei."

Gibt es Differenzen zwischen der Produktion und Ihnen?
"Bis jetzt habe ich das Gefühl, dass wir sehr ähnliche Vorstellungen haben und einen ähnlichen Film vor Augen. Gut, dass der Produzent nicht etwas erwartet, das ich gar nicht bieten will und kann. Ich glaube, es ist wichtig, wenn man einen Film über einen Stoff von Kästner macht, dass man weiß, warum. Der Autor Kästner steht für Menschlichkeit und Humor. Die Qualitäten muss man ernst nehmen. Die Geschichte ist einfach, schön wird der Film durch die Nebenstränge."

Sie haben bereits während des Studiums und auch danach Beiträge über und für Kinder und Jugendliche gedreht, z. B. "Sommertage", eine Geschichte der ersten Liebe, "Kalle der Träumer", ein Plädoyer für Phantasie. Heißt das, Sie haben eine Vorliebe für Kinder- und Jugendfilme?
"Ja. Mich interessieren Geschichten übers Wachsen und Erwachsenwerden, weil das ja die Zeit ist, an die ich mich selber gut erinnern kann, die Zeit, die mir sehr nah war, als ich an der Filmhochschule war. Das Von-zu-Hause-Weggehen, die Pubertät – eine aufregende Zeit, in der tolle Geschichten passieren, die sich durchaus fürs Kino eignen, weil sie so emotional sind."

Es freut uns, dass Sie eine der wenigen Regisseure sind, die das Wort Kinderfilm nicht sofort korrigieren in "Familienfilm". Natürlich auch, weil die Produzenten bei dem Wort Kinderfilm eine drastische Reduzierung der Zielgruppe fürchten.
"Ich werde versuchen, einen Film zu machen, der nicht nur das Feuilleton befriedigt, sondern vor allem Kinder. Das heißt für mich: Was wollen Kinder gerne sehen? Zum Beispiel habe ich mir gerade den neuen 'Kalle Blomquist' angeschaut. Da konnte ich mich als Erwachsene nicht amüsieren. Wäre ich Mutter eines kleinen Kindes, würde ich mitgehen und mich langweilen. Aber 'Ronja Räubertochter' zum Beispiel oder auch 'Pippi Langstrumpf' macht auch mir Spaß. Das verstehe ich unter Familienfilm. Und deshalb muss bei 'Pünktchen und Anton' die Ebene der Erwachsenen mit einer gewissen Ernsthaftigkeit behandelt werden. Nicht, um mich anzubiedern, sondern um meinen eigenen Anspruch zu erfüllen. Zum Beispiel Pünktchens Eltern – was ist ihr Eheproblem. Es sollen keine Karikaturen, sondern ernsthafte Erwachsene werden."

Was zeichnet einen Kinderfilm aus?
"Phantastische Elemente. Und Kinder als Protagonisten, die wirklich etwas bewegen können. Kinderfiguren, die anderen Kindern Mut machen, ihre Welt zu verändern, Probleme zu lösen. Ich bin ein absoluter Fan des Happy Ends. Egal, was passiert, in einem Kinderfilm muss am Ende Hoffnung stehen."

Sie lieben Kinder, Sie arbeiten für und mit Kindern, Ihre Schwester hat zwei Kinder, und Sie?
"Ja, ehrlich gesagt ist das zur Zeit mein einziges Problem. Ich würde auch gern Kinder haben, hoffentlich vergesse ich das nicht ... Aber das Filmedrehen macht eben auch sehr viel Spaß."

Mit Caroline Link sprachen Gudrun Lukasz-Aden und Christel Strobel

 

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