Produktion: Fox Family Films; USA 1997 – Regie: Don Bluth, Gary Goldman – Buch: Susan Gauthier, Bruce Graham, Bob Tzudiker, Noni White, nach dem Theaterstück von Marcelle Maurette, in der Adaption von Guy Bolton und dem Drehbuch von Arthur Laurents – Chefanimatoren: Len Simon, John Hill, Troy Saliba, Fernando Moro, Sandro Cleuzo, Paul Newbury – Musik: David Newman – Deutsche Sprecher: Anja Kling (Anastasia), Patrick Winczewski (Dimitri), Jürgen Kluckert (Vladimir), Joachim Kemmer (Rasputin) u. a. – Länge: 94 Min. – Farbe – Verleih: Twentieth Century Fox (35mm) – Alterseignung: ab 8 J.
Die Zarentochter Anastasia erhält von ihrer Großmutter Marie vor deren Rückreise nach Paris eine Spieluhr mit dem Lieblingsschlaflied der beiden. Aber ein Schatten senkt sich über die Zarenfamilie der Romanows: Rasputin kehrt aus dem Exil nach St. Petersburg zurück. Er hat seine Seele verkauft, um sich an der Zarenfamilie rächen zu können. So wird er zum Auslöser der Revolution, die fast die gesamte Zarenfamilie dahinrafft. Einzig Großfürstin Marie und Anastasia können dank der Hilfe des Küchenjungen Dimitri entkommen. Ehe Rasputins Rache die gesamte Familie auslöschen kann, versinkt er in der eisigen Newa. Fast glückt die gemeinsame Flucht von Marie und Anastasia, aber am Bahnhof werden sie getrennt und die Großfürstin fährt alleine nach Paris.
Zehn Jahre später sucht die Waise Anya, die sich nicht an ihre Vergangenheit erinnern kann, nach ihrer Herkunft. Ein Halsband mit der Inschrift "Zusammen in Paris" leitet sie. So macht sie sich zunächst auf den Weg nach St. Petersburg, wo sie erfahren muss, dass man ohne Ausreisepapiere das Land nicht verlassen kann. Da flüstert ihr eine Alte zu, Dimitri, der im einstigen Zarenpalast hause, könne helfen. Anya geht dorthin, und es scheint, als kämen ihr die Räume bekannt vor. Dimitri will Anya aber nicht sehen. Er hat bereits zu viele Mädchen getestet, die als Zarentochter ungeeignet waren. Und er möchte doch der Großfürstin Marie in Paris so gern eine "echte" Anastasia unterjubeln. Aber schließlich trifft er Anya doch und erkennt, dass sie für seine Pläne geeignet ist, zumal sie Anastasia auf den Bildern im Palast verblüffend ähnlich ist. Wenn er ihr alles beibringt, was er über die einstige Zarentochter weiß, kann sein Plan gelingen. Zusammen mit der Spieluhr, die er nach der Flucht der Romanows gefunden hat, wird sie ihm eine stattliche Belohnung eintragen. Anya geht auf seine Pläne ein, weil sie hofft, nach Paris zu kommen, um ihre eigene Vergangenheit zu enträtseln. Die Großfürstin ist aber an weiteren Möchtegern-Anastasias nicht mehr interessiert. Dimitri hat jedoch inzwischen erkannt, dass Anya wirklich Anastasia ist und will sie deshalb unbedingt der Großfürstin vorstellen. Aber nun ist Anya unwillig, weil sie – in Unkenntnis der Wahrheit – die Großfürstin nicht betrügen will. Die Melodie der Spieluhr bringt die Wahrheit an den Tag. Aber ehe Anastasia erkennt, dass Dimitri sie liebt und dass sie ihn nur bekommen kann, wenn sie auf ihren Titel verzichtet, taucht noch Rasputin in Paris auf und es entbrennt ein heißer Kampf ums Überleben.
Die Geschichte der angeblich echten Zarentochter Anastasia war jahrelang ein Spekulationsobjekt zahlreicher regenbogenfarbiger Publikationen. Aber das ist in diesem Film nur am Rande interessant. Die Realität ist hier in ein Zeichentrick-Musical verwandelt worden, das seine dramatischen und glückerfüllten, seine bedrohlichen und heiteren Momente hat. Die Charaktere sind gut gestaltet, die Animation ist nahezu perfekt. Nur gelegentlich entdeckt man bei genauem Hinsehen einzelne Stellen, wo die Kombination von herkömmlicher Animation und Computeranimation nicht hundertprozentig stimmt (was aber für die Erzählung unwesentlich ist). Als Filmmusical hat "Anastasia" seine beschwingte Note mit verblüffenden, zeichentricktechnisch brillanten Massenszenen. In seinen Horrorelementen um Rasputin wirkt der Film manchmal allerdings ein wenig unappetitlich. Andererseits ist die Unterwelt parodistisch so verfremdet, dass man sie in ihren Schrecknissen nicht ernst nehmen kann.
"Anastasia" erinnert in Musik und Tanzszenen ein wenig an "My Fair Lady". Eigentlich auch im Handlungsablauf: Armes Blumenmädchen/arme Waise wird dank Higgins/Dimitri zur akzeptablen Dame/Prinzessin und verliebt sich in den Professor/ehemaligen Küchenjungen, der seinerseits eine geistige Wandlung durchmacht, weil er sich in sein "Erziehungsobjekt" verliebt. Vielleicht ist es aber letztlich diese Ähnlichkeit, die die Handlung von "Anastasia" – bei allen sonstigen inhaltlichen Unterschieden – beim Publikum ankommen lässt. Insgesamt bietet dieser Film gefällige, kurzweilige Unterhaltung, die einerseits die grausamen historischen Ereignisse auszuklammern, dennoch anzudeuten versteht, die andererseits auf hohem Niveau gestaltet ist und einzig in der Darstellung des Dämonischen einige Minuspunkte zu verbuchen hat. Wenn man die historische Realität einmal unbeachtet lässt, dann ist "Anastasia" ein durchaus überzeugender, dramatischer, leise humorvoller und sogar anrührender Film. Rein optisch betrachtet, wirkt sich für den Film zudem positiv aus, dass er als vierter Zeichentrickfilm der Filmgeschichte im Breitwandformat konzipiert und aufgenommen worden ist.
Wolfgang J. Fuchs
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 74-2/1998 - Interview - "Es ist ein wunderbarer Filmtitel, nur ein Wort ..."
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