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Ausgabe 74-2/1998

"Tempo steht für Rave-Kultur"

Gespräch mit Stefan Ruzowitzky, Regisseur des Films "Tempo"

(Interview zum Film TEMPO)

Am 16. April startet der MOP Verleih in den deutschen Kinos den österreichischen Spielfilm "Tempo", der 1997 auf dem Filmfestival Max-Ophüls-Preis den Förderpreis der Jury erhielt. Der 1961 in Wien geborene Regisseur Stefan Ruzowitzky schildert in der flotten Techno-Komödie, die rund 1,3 Millionen Mark kostete, die Abenteuer des 18-jährigen Jojo, der von zu Hause ausgerissen ist und sich in Wien als Fahrradkurier betätigt. Als er sich in eine junge Frau verliebt, der er im Auftrag eines arroganten Dealers unwissentlich regelmäßig Päckchen mit Drogen zustellt, gerät er in große Schwierigkeiten.

KJK: Der Titel "Tempo" klingt ja programmatisch. Spiegelt er ein modernes Lebensgefühl in der Großstadt wieder?
Stefan Ruzowitzky: "Ja, schon. Tempo steht für die Rave-Kultur, wo die Musik ja in 'beats per minute' gemessen wird. Da geht es um die Frage: Geht's noch schneller? Meine Eltern haben ein Haus auf dem Land. Wenn ich dort vor der Haustür sitze, dann sehe ich statische Totalen. Wenn jetzt aber ein 18-Jähriger mit dem Fahrrad durch die Großstadt wetzt, dann verlangt das, was da alles auf einen einströmt, einfach diese Ästhetik der Rissschwenks, der hektischen Schnitte, der wilden Ton-Montagen. Ich wehre mich jedenfalls gegen die Behauptung, dass es nur darum geht: Was ist gerade schick? Was wollen die Kids sehen? Stattdessen geht es ganz klassisch filmhandwerklich um die Überlegung: Mit welchen ästhetischen Mitteln werde ich meinen Figuren gerecht? Da der ganze Film aus der Sicht eines 18-Jährigen erzählt wird, halte ich das für die adäquate Erzählform."

Der Film setzt die Techno-Musik gezielt als Gestaltungsmittel ein. Was war der dramaturgische Hintergrund?
"Die Idee war eigentlich nur, dass ich einen sehr modernen Film über eine moderne Figur machen wollte. Ein 18-Jähriger läuft von zu Hause weg, um in einer modernen Großstadt zu leben. Es ist für mich einfach logisch, dass der dann in diese Techno-Welt hineinkommt und nicht zu einem Körnchen futternden Alternativen wird, wobei das nicht abwertend gemeint ist. Techno steht einfach für Modernität und Zeitgeist. Mich fasziniert diese Techno-Kultur auch persönlich, ich hab das noch als Journalist kennen gelernt. Dieses Lebensgefühl, diese Ironie, die immer dabei ist – schließlich ist Techno nicht so bierernst wie Heavy Metal oder Hip Hop –, dieses Augenzwinkern, dieses Extreme, das auch dabei ist, das liegt mir auch. Außerdem war für mich die Tatsache ein Ansporn, dass es im deutschsprachigen Bereich eine riesige Jugendkultur gibt, die sich aber im Kinobereich kaum niederschlägt."

Der Film ist ja stark von der Videoclip-Ästhetik geprägt. Hast Du in diesem Bereich gearbeitet?
"Mit Musikvideos verdiene ich eigentlich meine Brötchen. Der Film spiegelt aber auch die Erfahrungen, die ich bei Reportagen sammeln konnte. Gerade im Clip-Bereich ist diese Wackelkamera ja gar nicht mehr in, Musikvideos sind ja mittlerweile sehr glatt und stilisiert. Bei 'Tempo' ist der Ansatz ja eher dokumentarisch, es gibt eine sehr bewegliche Kamera. Da sehe ich mich eher in der Tradition von Godards 'Außer Atem'. Wenn man diese Filme anschaut, merkt man, dass die ja auch ganz wild mit der Kamera durch die Gegend wackeln. Im Vergleich zu Godard hatten wir den Vorteil, dass die Technik inzwischen viel weiter ist. Wir haben eine sehr leichte Kamera eingesetzt. Das war ein Prototyp der Moviecam SL (Super Light), die noch gar nicht auf dem Markt erhältlich war. Mit der kann sich der Kameramann ganz anders bewegen als mit herkömmlichen Kameras. Es gibt außerdem sehr lichtempfindliches Material, mit dem ich zu einem echten Rave gehen kann und einfach mit 35 Millimeter dokumentarisch drehen kann. Das war vor ein paar Jahren noch unmöglich. Es gibt auch neue Lichttechnik, mit der ich viel flexibler bin. Wir haben das alles benutzt. Viele Dinge konnte ich zuvor bei den Musikvideos ausprobieren."

Zu dem angesprochenen Lebensgefühl gehört auch das Fernsehen, allerdings in einem ironischen Kontext. Wieso?
"Der ironische Kontext und das Augenzwinkern sind mir wichtig, klar. Die Filmszenen, in denen Jojo sich in seine Lieblings-Talkshow hineinträumt und dort als äußerst eloquenter Gast auftritt, das ist – auch aus eigener Erfahrung – eine zeitgemäße Allmachtsphantasie. Als ich solche Diskussionsrunden beobachtet habe, dachte ich oft: Warum sitze ich nicht dort? Warum sagt der jetzt nicht dieses Argument, das ich schon weiß? Im Fernsehzeitalter ist das einfach der große Altar. Und wenn man in einer Talkshow sitzt und zur Nation sprechen kann, was kann einem Größeres passieren? Was ist ein Politiker, der um ein paar Sekunden kämpft, im Gegensatz zu einem Arabella-Talkgast, der sagen kann, was er gut und schick findet?"

Welche Funktion haben die Traumsequenzen? Sind es nur Mittel, die Geschichte stärker ironisch zu brechen?
"Die Traumsequenzen gibt es ja nur am Anfang, wo sich Jojo seine Realität zurechtspinnt, die ihm zu langweilig ist. Sobald es in seinem Leben spektakulär wird, ist dieses Blutrünstige nicht mehr notwendig. Dass es sich anbietet, Zerstückelte herumliegen zu lassen und Blutlachen zu zeigen, um daraus etwas Ironisch-Witziges zu gewinnen, ist klar, das haben wir versucht auszubeuten."

Ist der Hauptdarsteller ein Debütant?
"Ja. Er hat kurz vor den Dreharbeiten angefangen, Architektur zu studieren. Jetzt will er aber Schauspieler werden, hat auch schon einen zweiten Film gemacht. Meine Überlegung war: Bevor ich einen Schauspieler von Mitte zwanzig nehme, der versucht, auf 18 zu mimen, suche ich mir lieber einen witzigen Typ, der sich mehr oder weniger selber spielt. Es hat uns geholfen, wenn er etwa bei einem Dialog gesagt hat, das würde er nie so sagen. Wenn man den Text so formuliert, wie es ihm entspricht, dann bringt er das sehr gut. Mit ihm hat es großartig funktioniert. Gerade bei so einem Film, der sich in einer Szene-Welt bewegt, ist Authentizität sehr wichtig. Wenn man da falsch liegt, etwa wie die Leute reden und sich bewegen oder was sie anziehen, dann ist man schnell unten durch. Der Xaver war halt immer ein Korrektiv. Einer seiner Beiträge war zum Beispiel, dass er sein Fahrrad immer quietschend abbremst. Das haben wir natürlich verwendet, weil es passt, dieses laute Qietschen mit der Musik hart abzuschneiden. Ich selbst bin da wohl zu alt und behäbig, ich lass das Rad ausrollen, wenn ich stoppen will."

Wie bist Du auf die Idee gekommen, den Dealer Bernd mit Dani Levy zu besetzen?
"Das Schwierige an der Rolle ist, dass dieser Bernd immer irrsinnig fies zu dem armen Jojo ist und den demütigt, der Jojo aber trotzdem fasziniert von ihm ist. Diese Aufgabe hat der Dani Levy sehr gut gelöst. Er bringt dieses Ambivalente gut rüber, denn man weiß ja nie: Ist dieser Bernd nun besonders schlau oder ein Volltrottel, der nur Schwachsinn redet. Der Dani ist gewissermaßen das positive Bild von diesem Bernd. Er kann so lieb schauen, und ist doch so schlitzohrig."

Das hohe Tempo des Anfangs wird ja nicht durchgehalten, zumal nach und nach Genre-Elemente von Romanze und Thriller vordringen. Wäre es nicht besser gewesen, das Tempo besser zu verteilen?
"Ich erzähle den Film aus der Perspektive Jojos. Am Anfang springt er wild zwischen Realität und Traumvorstellungen hin und her. Dann beginnt sich das aber zu konzentrieren, auch für ihn: Er hat nun ein Ziel, nach dem er strebt. Von da an wird es formal dichter, die Erzählstruktur wird konventioneller. Ich habe übrigens versucht, diesen Anfangsteil möglichst lang zu halten, weil er witziger ist. In einer früheren Drehbuchversion haben die Thriller-Elemente viel früher angefangen. Das wäre dann aber in eine 'Tatort'-Schiene gelangt."

Mit Stefan Ruzowitzky sprach Reinhard Kleber

 

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