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Ausgabe 3-3/1980

METIN

METIN

Produktion: Cikon Filmproduktion GmbH (Berlin), im Auftrag des ZDF, 1979 – Verleih: Kinder- und Jugendfilmzentrum in der BRD, über BAG Clubfilmothek, Postfach 3004, 65 Mainz, und Landesbildstellen (16mm) – Buch und Regie: Thomas Draeger – Darsteller: Die Kinder – Tudra Yüksel (Metin), Daniela Linkiewicz (Anne), Cosar Kardas (Günel) u. a.; Die Erwachsenen – Emine Sevgin Özdamar (Mutter Metin), Metin Tekin (Vater Metin), Gerhard Printschitsch (Gasmann) u. a. – Kamera: Clans Deubel – Musik: Graziano Mandozzi – Länge: 82 Min. – Erstaufführung: "Vier Geschichten von Metin", in der ZDF-Reihe "Rappelkiste" im Oktober 1979; TV-Ausstrahlung als vollständiger Spielfilm am 1.11.79 im Abendprogramm des ZDF – Auszeichnungen: Adolf-Grimme-Preis in Gold und Lobende Erwähnung der Marler Gruppe eines ständigen Fernseharbeitskreises kritischer Laien, 1980; Kinopreis der Stiftung Deutsche Kinemathek, Berlin 1980

Inhalt

Der Film erzählt die Geschichte einer Freundschaft zwischen einem türkischen Jungen und einem deutschen Mädchen, beide 6 Jahre alt.

Es wird der Alltag des türkischen Jungen Metin geschildert, der mit seiner Familie im Westberliner Bezirk Kreuzberg wohnt. Da seine Eltern den Tag über berufstätig sind und sein älterer Bruder die Schule besucht, werden ihm eine Reihe häuslicher Aufgaben übertragen. Er kümmert sich um seine kleine Schwester, die er morgens zum Kindergarten bringt, erledigt Einkäufe und hält die Wohnung sauber. Sein Alltag verändert sich, als in das Vorderhaus das deutsche Mädchen Anne mit Familie einzieht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten freunden sie sich an. Metin erzählt Anne über sein Heimatland und zeigt ihr Kreuzberg, wo er jetzt "zuhause" ist. Ihre Freundschaft stößt bei den deutschen Kindern auf Misstrauen und Unverständnis. Sie können nicht verstehen, dass sich ein deutsches Kind mit einem türkischen Kind abgibt. Aber auch die türkischen Kinder wollen mit dem deutschen Mädchen nichts zu tun haben. Um Anne zum obligaten Holzsammeln mitnehmen zu können, verkleidet Metin sie als Türkin.

Auf dem Heimweg vom Holzholen versperren ihnen die deutschen Kinder den Weg. Sie verlangen die Herausgabe des gesammelten Holzes, das sie als ihr Eigentum beanspruchen. Um den Streit zu schlichten, greift die als Türkin verkleidete Anne ein und schließt mit den deutschen Kindern die Wette ab, dass sie Deutsche und nicht Türkin ist. Sollte sie gewinnen, gehört den Türken das gesammelte Holz. Well die deutschen Kinder sich nicht vorstellen können, dass sich ein deutsches Mädchen bereit findet, Türkenkleider anzuziehen, gehen sie die Wette ein. Als sie ihre Kleider und das Kopftuch ablegt, ist das Erstaunen der deutschen Kinder groß. Wegen eines plötzlich einsetzenden Platzregens suchen sie gemeinsam unter einem engen, aber trockenen Hausdach Schutz vor dem Unwetter. Dadurch kommen sie sich näher und vergessen für eine Weile ihre gegenseitigen Vorurteile.

Kinderfilme aus dem Fernsehen

Die Kinderfilmproduktion in der BRD ist zufällig und sehr spärlich. (1) Zu den wenigen positiven Ausnahmen zählen Haro Senfts Film "Ein Tag mit dem Wind" (1979) und der Film von Usch Barthelmeß-Weller und Werner Meyer "Die Kinder aus Nr. 67" (1979/80). (2) Erfreulicherweise gelangen immer mehr Kinderfilme, die von engagierten Redaktionen bundesdeutscher Fernsehanstalten produziert bzw. mitproduziert worden sind, in den 16mm-Verleih. Sie ergänzen das magere Kinderfilmangebot und schaffen die Voraussetzungen, mit bundesdeutschen Filmen Kinderkino zu gestalten und gleichzeitig zusammen mit Kindern Seh- und Wirkungserfahrungen zu machen. Diese Entwicklung ist möglich geworden, weil im Bewusstsein einiger Fernsehredaktionen, Filmemacher, Verleihfirmen und pädagogischer Institutionen in dieser Frage ein Umdenkungsprozess in Gang gekommen ist. Vor einigen Jahren noch wurden diese Beispiele lediglich und unter großen Schwierigkeiten der jährlich stattfindenden "Internationalen Kinderfilmwoche" in Frankfurt zur Verfügung gestellt. (3)

Neben dem WDR (Programmbereich III) zählt die ZDF-Redaktion "Bildung und Erziehung" unter der Leitung von Ingo Hermann zu den engagiertesten Fernsehredaktionen. Neben dem Kinderfilm "Ich hatte einen Traum" von Rainer Boldt, der aus drei Folgen der ZDF-Serie "Neues aus Uhlenbusch" zusammenmontiert wurde, steht jetzt "Metin" von Thomas Draeger für das 16mm-Kinderkino zur Verfügung.

"Metin" entstand in vier Teilen für die Vorschul-Sendereihe des ZDF "Die Rappelkiste" (Redaktion: Bärbel Lutz-Saal, Elmar M. Lorey, Susanne von Lessen, Pedro Jungmann). Er wurde in einzelnen Teilen im Vorschulprogramm im Laufe des Oktober 1979 und als vollständiger Spielfilm im Abendprogramm des ZDF am 1.11.1979 ausgestrahlt.

Ausländische Kinder in der BRD

Metin ist einer von zigtausend türkischen Kindern (4), die bei uns leben – in einer Wirklichkeit, die wenig Raum lässt für den Traum vom besseren, vom leichteren Leben. In Westberlin leben 90.000 türkische Gastarbeiter mit ihren Familien. Westberlin ist die drittgrößte "türkische" Stadt hinter Istanbul und Ankara.

Der junge Metin steht stellvertretend für die vielen ausländischen Kinder, die in besonderem Maße auf individuelle und gesellschaftliche Hilfe angewiesen sind. Die Aktion Gemeinsinn e.V., Bonn, beschreibt ihre Situation mit drastischen Worten: "Die Ausländerkinder in der Bundesrepublik leben gefährlich. ... In Diskriminierung und Benachteiligung, überwiegend isoliert in den schlechtesten Wohnquartieren unserer Städte, wachsen sie in einem Klima auf, das Körper und Gemüt schädlich ist. Weit stärker als deutsche Kinder leiden sie unter Infektionskrankheiten, unter solchen der Atemwege und unter Durchfallkrankheiten. Ihr Sterblichkeitsrisiko ist dreimal so hoch. Viel häufiger als unsere Kinder erleiden sie Unfälle. Emotionale Störungen mit Symptomen wie kleinen Ticks, Stottern, Nägelkauen usw. sind bei ihnen nicht selten zu beobachten." (5) Ihre Lern- und Spielmöglichkeiten sind begrenzt. Schulschwierigkeiten, Schulversagen, aggressives Verhalten sind Auswirkungen solcher Lebensbedingungen.

1965 wurden in der BRD 38.000 Ausländergeburten gezählt. Das waren 3,6 Prozent aller Geburten. 1970 wurden schon etwa 63.000 Ausländerkinder geboren. Das entsprach 7,8 Prozent aller Geburten. 1975 erreichte die Zahl der Ausländergeburten ca. 300.000, damit annähernd 20 Prozent aller Geburten in der BRD.

"Rund 1,1 Millionen junge Türken, Griechen, Spanier, Italiener, Portugiesen und Jugoslawen leben derzeit in der Bundesrepublik. ... Jedes fünfte neugeborene Kind hat ausländische Eltern, in Ballungsgebieten, wie zum Beispiel um die Städte Stuttgart, Köln und Duisburg, ist sogar jedes dritte geborene Kind ein Ausländerkind. Die Folgen zeigen sich besonders im Vor- und Grundschulbereich: In manchen Stadtbezirken sind mehr als die Hälfte aller Schulanfänger ausländische Kinder. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt der Anteil ausländischer Kinder unter 6 Jahren insgesamt bereits 10,8 Prozent. In den kommenden Jahren wird die 'Verjüngung' der ausländischen Bevölkerung noch weiter zunehmen.

Besorgniserregend ist jedoch weniger die wachsende Anzahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen, als vielmehr deren schulische und berufliche Versorgung sowie ihre Zukunftschancen. Studienergebnisse der letzten Jahre über Schulbildung und Berufsvorbereitung ausländischer Jugendlicher malen ein düsteres Bild: Nur etwa 60 Prozent der ausländischen Schüler erreichten im Schuljahr 1977/78 den Hauptschulabschluss. Von ihren deutschen Mitschülern waren es dagegen 96 Prozent. Den Sprung auf eine weiterführende Schule schafften nur 14 Prozent. Eine Ausbildung an einer beruflichen Schule erhielten knapp 35 Prozent, wobei davon 10 Prozent keinen Abschluss erzielten.

Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg werden bei gleich bleibender Entwicklung bis zum Jahre 1985 etwa 280.000 ausländische Jugendliche ohne Berufsausbildung bleiben. Für sie wird es schwer, einen Arbeitsplatz oder auch nur eine Lehrstelle zu finden. Schon jetzt gibt es eine erschreckend hohe Zahl derer, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben: 50.000 arbeitslose ausländische Jugendliche wurden im letzten Jahr von den Arbeitsämtern ermittelt. ...

Nach wie vor gibt es kein bundeseinheitliches Konzept für die Ausbildung ausländischer Kinder. Die Kultusminister haben sich bislang nicht auf gemeinsame Lehrprogramme oder Unterrichtspläne geeinigt. Umstritten ist noch immer die Frage nach 'Integration' oder 'Reintegration'. In einigen Bundesländern werden ausländische Kinder grundsätzlich in deutschen Regelklassen eingeschult, um sie möglichst rasch zu integrieren. In anderen Ländern, wie zum Beispiel Bayern, gibt es sogenannte Nationalklassen, wo sie in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Auf diese Weise soll ihnen die Rückkehr in die Heimatländer offen gehalten werden." (6)

Struktur des Films

Durch die Gesamtgeschichte und die Einzelgeschichten versucht der Film, "auf der Spiel- und Erlebnisebene der Kinder, die noch weitgehend frei ist von den Vorurteilen und Zwängen des Denkens Erwachsener, ein unbelastetes Interesse für die Situation der türkischen Kinder zu wecken". (7) Sie müssen sich in einer Umgebung zurechtfinden, die ihnen fremd ist, in der sie immer wieder auf Ablehnung stoßen.

Der Film erzählt seine Geschichte in der eingängigen Form eines Spielfilms, die sich an der Lebenswelt türkischer Kinder bei uns orientiert. Darin liegt auch seine Wirkung mitbegründet.

Er unterscheidet sich in seiner filmischen Gestaltung vom Alltagsfernsehen, das geprägt ist von ständigen Höhepunkten, Aktionen und Gags, wie sie uns vor allem von amerikanischen Fernsehserien her bekannt sind. Er verzichtet auf die "Schnitt- und Reizmuster, wie wir sie von der Sesamstraße bis Kojak kennen". (8)

Der Film setzt sich in seiner gesamten Struktur von der Ruhelosigkeit der üblichen Fernsehprogramme ab, die den Zuschauer nicht zum Nachdenken, zum Betrachten kommen lassen und damit erreichen, dass diese Sendungen nichts bewirken, außer, dass man sich allgemein beschäftigt bzw. unterhalten fühlt. "Metin" lässt dem Zuschauer Zeit, das Gesehene mit Ruhe zu betrachten und auch in Gedanken darüber zu verweilen.

Die Geschichten von Metin gliedern sich in mehrere thematische Schwerpunkte.

1. Vorstellung der Person und der familiären Umwelt der Hauptperson

Metin lebt mit seinen Eltern, seiner jüngeren Schwester Leila und dem älteren Bruder Günel im Stadtteil Berlin-Kreuzberg. Seine Eltern sind beide berufstätig und müssen bereits sehr früh aus dem Haus. Die drei Geschwister frühstücken zusammen. Günel geht zur Schule und Metin bringt seine kleine Schwester Leila auf einem Ziehwagen in den Kindergarten. Anschließend macht er sich auf den Weg zum Einkaufen auf dem nahe gelegenen türkischen Wochenmarkt und beweist, dass er mit Geld bereits umzugehen versteht. Dieser Teil vermittelt einerseits eine genaue Vorstellung seiner Aufgaben und Pflichten, andererseits seiner Selbständigkeit und seines Selbstbewusstseins. Diese Art der Darstellung ermöglicht eine verstärkte Identifikation des Zuschauers mit der Hauptfigur und schafft Verständnis mit der Lebenswelt der ausländischen Kinder und Familien in der BRD.

2. Zeit des Kennenlernens mit dem deutschen Mädchen Anne

Als er von einem Einkauf zurückkommt, begegnet er Anne, die mit ihren Eltern in das Vorderhaus einzieht, Nach anfänglichen Schwierigkeiten schließen sie Freundschaft, die sich in unterschiedlichen Formen ausdrückt. Gemeinsam entdecken sie ihre nähere Umgebung, sprechen deutsch und türkisch, entwickeln Sprachspiele, die gleichzeitig auch Annäherungsspiele sind.

3. Probleme, ausgelöst durch die Vorurteile der Umwelt

Deutsche und türkische Kinder begegnen sich mit Misstrauen und Vorurteilen; sie sind bereits Produkte ihrer sozialen Erwachsenen-Umwelt geworden. Wobei den deutschen, d. h. den einheimischen Kindern mehr die Verursacher-Rolle zugewiesen werden muss. Sie gliedern ausländische Kinder aus, und als Reaktion wehren sich die ausländischen Kinder mit den gleichen Mitteln. Die Folge ist, dass sich beide Gruppierungen relativ geschlossen gegenüber stehen. Solche Blockbildungen können nur durch ein anderes Verhalten aufgebrochen werden.

Anne wird ausgeschlossen, weil sie mit Metin Kontakt behalten will; Metin kann seinerseits Anne nicht mitnehmen, weil die Türkenkinder keine Deutschen bei sich haben wollen. Sie wollen ebenfalls für sich bleiben. Die Integrationsfeindlichkeit auf beiden Seiten deuten auf die noch größeren Schwierigkeiten im späteren Leben hin.

4. Ziel: Gemeinsamkeit/Toleranz

Etwas zu optimistisch löst ein Platzregen für eine Zeitlang das vorhandene Problem. "Im Verhältnis zu unseren täglichen Erfahrungen ist dies bereits ein großer Schritt zu einer möglichen Utopie von gleichberechtigtem Zusammenleben." (Thomas Draeger)

Metin – ein Film zum Miterleben und Andersartigkeit zu verstehen

Der Film schafft Verständnis für die Lebensweise ausländischer Kinder und Familien in der BRD. Er erzählt in einfachen und ruhigen Bildern die Geschichte einer – leider noch nicht alltäglichen – Freundschaft zwischen einem ausländischen und einem deutschen Kind. Warum solche freundschaftlichen Beziehungen immer noch zu einer Seltenheit gehören, beschreibt der Film mit aller Deutlichkeit und großer Sensibilität. Auf beiden Seiten verhindern Vorurteile und gesellschaftliche Barrieren das Kennen lernen bzw. das Aufrechterhalten von Bekanntschaften. Der Film trägt durch das Fühlbarmachen von ethnografischen Unterschiedlichkeiten, durch die Darstellung der Fremd- und Andersartigkeit dazu bei, den anderen, den Mitmenschen, in seinem Anderssein kennen zu lernen, zu verstehen und zu akzeptieren. Ein Ansatzpunkt leistet der Film durch das Herausstellen gemeinsamer Probleme und Schwierigkeiten. Beide sind Fremde: Anne in der neuen Stadt und Metin in Deutschland. Der Film vermittelt das Gefühl für die Schönheit von Kinderfreundschaften, von Freundschaften überhaupt.

Ein Kennzeichen dieses Films ist der Umgang mit der Sprache; vor allem das Eingliedern der Muttersprache in eine deutsche Kindersendung. Immer, wenn die türkischen Kinder bzw. Erwachsene unter sich sind, sprechen sie ihre Muttersprache, die im Film nicht übersetzt wird. Trotzdem bekommt der deutsche Zuschauer mit, worüber sie sich unterhalten. Immer wieder zeigt er Sprachspiele, in denen beide Kinder ihre Phantasie voll entwickeln; ein Einfallsreichtum, der den Sehgewohnheiten von Kindern entgegenkommt.

Der Film vermittelt den zuschauenden Kindern und Erwachsenen über die Verwendung der Originalsprache ein Gefühl für die Andersartigkeit, die in der Regel mehr spaltet als einigt. In diesem Zusammenhang soll an Pestalozzi erinnert werden, der deutschsprachig erzogenen Kindern Texte der französischen 'Enzyklopädie', die diese Kinder nicht verstehen konnten, vorlas. Nach Negt und Kluge waren Pestalozzis Überlegungen folgend: "Gerade dadurch, dass er Texte vorliest, die das bewusste Verstehen unterlaufen, die an einzelne Sinne wie den Gehörsinn appellieren, entwickelt er in den Kindern eine Vorstellung vom Anderen, von der Fremdartigkeit der Welt. Sie verstehen, dass sie nicht schon alles wissen, dass im unmittelbaren Verstehen nicht das aufgeht, was die Welt tatsächlich ist. ... Dem sprachlichen Verstehen geht nicht blinde Verständlichkeit, sondern die Distanz zum Anderen voraus. Etwas zu lernen, sinnlich aufzunehmen, um es später zu verstehen das Fremde aufzulösen zulernen, nachdem man es als Eigenes sinnlich angeeignet hat, ist eine wichtige, im Wertsystem der bürgerlichen Erziehung nicht hinreichend aufgenommene pädagogische Maxime." (9)

"Metin" zeichnet sich durch eine Reihe sehr sensibler Teile aus. Besonders schön ist die Sequenz im Park, als sich die beiden Kinder auf einer Bank neben eines älteren Frau niederlassen, die eingeschlafen ist. Sie ahmen die Körperhaltung der Frau nach, ohne aber – wie es normalerweise in vielen Filmen üblich ist – sich über die Frau lustig zu machen. Dieses Nachahmungsspiel geht über in eine Beobachtung von Geräuschen der Großstadt.

"Metin" ist auch ein exemplarisches Beispiel dafür, dass Filme mit pädagogischer Zielsetzung nicht langweilig zu sein brauchen. Mit solchen Filmen zu arbeiten, macht allen Beteiligten Spaß und bringt sie im Denken weiter.

Einsatzbereiche

Der Film eignet sich besonders für Kindergruppen, in denen ausländische und deutsche Kinder zusammen sind; für deutsche Kinder, um Kinder aus anderen Kulturbereichen kennen und besser verstehen zu lernen; um Eltern zum Nachdenken und Diskutieren anzuregen denn die Verursacher von Vorurteilen sind nicht die Kinder, sondern die Erwachsenen. Vorurteile werden anerzogen und nicht durch die Geburt erworben.

Kritiken zum Film

"Was diesen Film über dies gewöhnliche Thema zu einem ungewöhnlichen Film macht, ist die Art und Weise, wie der Drehbuchautor und Regisseur Th. Draeger mit der Sprache und der Bildsprache umgeht. So laufen ganze Szenen in türkischer Sprache ab und bleiben unübersetzt im Vertrauen darauf, dass die Bilder für sich sprechen und dass der Zuschauer das versteht. Hier wurde umgesetzt, die angeblich so medienspezifischen Angebotsmuster der kognitiven und visuellen Aufnahmekapazität von Kindern anzupassen. Diese Rücksicht auf das, was Kinder optisch und inhaltlich verkraften können, wird hier in bemerkenswerter Konsequenz durchgehalten. Der Film verzichtet auf die bewährten Schnitt- und Reizmuster, wie wir sie von 'Sesamstraße' bis 'Kojak' kennen. Stattdessen wird der Zuschauer optisch an die Hand genommen: die Kamera hat Zeit, sie verweilt auf Straßenpflastern und Hauswänden, vermittelt die Ruhe zum Schauen, zum Wahrnehmen, sie zeigt, lenkt hin, gestattet Pausen ... Man bekommt noch Zeit zum Denken, während man hinsieht." (10)

"Die Geschichten von Metin sind von einer optischen Qualität, wie man sie selten im Kinderfernsehen oder Kinderfilm bundesdeutscher Herkunft gesehen hat. Schon daher eine kleine Sensation. Dahinter steckt Methode: Kindern etwas über die Probleme von 'Gastarbeiterkindern' mitteilen zu wollen, heißt, einen Wall von Vorurteilen zu durchbrechen, den nicht die Kinder selbst, sondern die Erwachsenen vor ihnen aufgebaut haben. Ein solcher verbaler Schutzwall ('die sind dreckig') kann nicht verbal durchbrochen werden, sondern nur durch genaues Hinsehen, durch fast dokumentarische Schilderung 'wie die wirklich sind'. So gibt der Film sich eine Form, die so massiv gegen die gängigen und durch das Fernsehen selbst produzierten Sehgewohnheiten von Kindern verstößt, wie es bisher nur Haro Senft in seinem Kino-Spielfilm 'Ein Tag mit dem Wind' gewagt hat (verschiedene TV-Anstalten lehnten bisher eine Ausstrahlung im Kinderprogramm ab).(11)

Vergleichsfilm "Turda – Ein Alltag"

Regie: Serra Poyraz/Sophokles Adamidis, BRD 1977

Dokumentarfilm, der den Alltag eines kleinen achtjährigen türkischen Jungen, der in Berlin lebt, erzählt. Seine Eltern sind ganztägig berufstätig, Turda und seine Geschwister weitgehend sich selbst überlassen oder werden in verschiedenen Institutionen betreut: vormittags in der Schule, nachmittags in einem Kinderladen. Die übrige Zeit verbringt Turda auf der Straße oder in den Parks.

Hans Strobel

 

Quellen: Literatur und Arbeitsmaterialien

(1) Jürgen Barthelmes / Hans Strobel: Kinderfilm in der Bundesrepublik (Produktion – Vertrieb – Abspiel). In: Jahrbuch Film 78/79, Hanser Verlag, München 1979
(2) vgl. ausführliche Kritik in der Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz 01-1/1980
(3) Auf der 3. Internationalen Kinderfilmwoche 1977 des Kommunalen Kinos in Frankfurt wurden die ARD-Produktionen "Die Ilse ist weg" (Ilse Hofmann, BRD 1976) und "Das höfliche Alpenkrokodil" (Frank Strecker, BRD 1976) und auf der 4. Internationalen Kinderfilmwoche 1978 drei Folgen der ZDF/Eikon-Serie "Neues aus Uhlenbusch" (Rainer Boldt, BRD 1977) gezeigt.
(4) Jochen Bach: Zwischen zwei Welten (Türkische Kinder in der Bundesrepublik). In: JUNIOR-JOURNAL, 18/1979
(5) Ausländische Kinder (Fremde oder Freunde? Es liegt an uns. Gehen wir auf sie zu); Hrsg.: Aktion Gemeinsinn e.V., Baumschulallee 15, 53 Bonn 1
(6) Margrit Braszus: Die soziale Zeitbombe tickt (Ausländerkinder in der Bundesrepublik). In: JUNIOR-JOURNAL, 16/1979
(7) Broschüre 'Bildung und Erziehung' (Juli-Dezember 1979), Hrsg.: ZDF, Informations- und Presseabteilung/Öffentlichkeitsarbeit 1979
(8) Imme de Haen: Sanfte Szenen für sensible Seher ('Metin', ein ungewöhnlicher Film zu einem gewöhnlichen Thema). In: epd/ Kirche und Rundfunk, Nr. 89, vom 14.11.1979
(9) Oskar Negt/Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Frankfurt/M.1972
(10) Imme de Haen: Sanfte Szenen für sensible Seher ('Metin', ein ungewöhnlicher Film zu einem gewöhnlichen Thema). In: epd/ Kirche und Rundfunk, Nr. 89, vom 14.11.1979
(11) Klaus Keller: Was tun mit gutem Filmmaterial? ('Metin'. Eine herausragende Produktion der ZDF-Reihe 'Rappelkiste'). In: FUNK-Korrespondenz Nr. 42 vom 17.10.1979

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 7-3/1981 - Film in der Diskussion - "Metin"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.METIN im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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