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Ausgabe 22-2/1985

RONJA, DIE RÄUBERTOCHTER

RONJA RÖVARDOTTER

RONJA, DIE RÄUBERTOCHTER

Produktion: AB Svensk Filmindustri / AB Svenska Ord / Norsk Film A/S/SvT1 / Fiction/ AB Film-Teknik, Schweden / Norwegen 1984 – Buch: Astrid Lindgren – Regie: Tage Danielsson – Kamera: Rune Ericson – Ton: Christer Furubrand, Wilhelm Kökeritz – Schnitt: Jan Persson – Musik: Björn Isfält – Darsteller: Hanna Zetterberg (Ronja), Dan Håfström (Birk), Börje Ahlstedt (Mattis), Lena Nyman (Lovis), Per Oscarsson (Borka), Med Reventberg (Undis), Allan Edwall (Skalle-Per) – Laufzeit: 126 Min., Farbe – Weltvertrieb: Svensk Filmindustri, Box 576, 10127 Stockholm, Schweden

"Es ist nicht nur ein Kinderfilm, es ist ebenso ein Film für Erwachsene. Ich habe mehrere Filme gemacht und ich finde, wenn man Filme für Kinder macht, dann kann man nicht zwischen Kindern und Erwachsenen entscheiden. Ich möchte gerne, dass alle meine Filme Kinderfilme und Filme für Erwachsene sind." Die Ansicht des Regisseurs Tage Danielsson hätte sich die Festivalkommission der diesjährigen Berliner Filmfestspiele ruhig zu eigen machen sollen und den Film "Ronja Räubertochter" im offiziellen Wettbewerb, wo er einen 'Silbernen Bären' für seine "besondere Phantasie" erhielt, und zusätzlich im Rahmen des Kinderfilmfestes außer Konkurrenz zeigen können, was leider nicht der Fall war.

War schon das Buch von Astrid Lindgren Lesestoff "für die ganze Familie" so ist es erst recht der Film, der – getreu der Vorlage – die Räubergeschichte mit Poesie, aber auch voller Wildheit und mit Witz ins Bild bringt.

In einer Gewitternacht wird auf der Mattisburg ein Kind geboren, der Räuberhauptmann Mattis ist außer sich vor Freude über seine Tochter, und die raubeinigen Ritter sind über solches Glück einfach gerührt. Da fährt ein greller Blitz in die Burg und bricht sie unter ohrenbetäubendem Getöse mitten entzwei. Jahre sind vergangen. Mattis und Lovis halten die Zeit für gekommen, dass ihre Tochter die Welt draußen, den Mattiswald, kennen lernt und geben ihr gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg: "Hüte dich vor den Graugnomen und Wilddruden und Borkaräubern ..." Eines Tages trifft Ronja bei ihren Streifzügen auf einen gleichaltrigen Jungen, was sie sehr erstaunt, denn bis jetzt dachte sie, das einzige Kind weit und breit zu sein. Es ist Birk, Borkas Sohn. Diese Entdeckung und die Tatsache, dass die Borkaräuber unbemerkt in der abgespaltenen Hälfte der Mattisburg Quartier genommen haben, lässt Mattis vor Wut schäumen. Da Ronja bisher nur Verächtliches von den ungebetenen Nachbarn gehört hat, lässt sie das auch Birk bei ihren nächsten Begegnungen spüren. Nachdem sie aber erfahren haben, dass sie einander helfen können und sich brauchen, wollen sie zusammenbleiben und sich Bruder und Schwester sein.

Es ist Winter geworden und Ronja macht bei ihren abenteuerlichen Schiausflügen Bekanntschaft mit anderen Bewohnern des Waldes: mit den lebensbedrohenden Wilddruden und den Rumpelwichten. Es ist eine harte Zeit für Ronja und Birk, denn sie können sich nicht mehr täglich im Wald treffen. Es ist aber auch eine ungemütliche Zeit für die Mattisräuber, die sich einer von Lovis angeordneten Säuberung unterziehen müssen: So springen die nackten Räuber wie wild im Schnee und lassen sich widerwillig das zottelige Haar entlausen. Wieder in der Burg, vertreiben sie sich die Zeit mit urwüchsigen Gesängen und Tänzen. Ronja sorgt unterdessen heimlich für ihren Freund, trifft sich in den unergründlichen Kellergewölben mit Birk und steckt ihm Essen zu.

Zum offenen Streit zwischen den verfeindeten Räubersippen kommt es, als Mattis den Borkasohn gefangen nimmt und versucht, ihn als Pfand gegen die verhassten Konkurrenten auszuspielen. Als Ronja sich durch einen kühnen Sprung auf die Seite der Borkaräuber schlägt, ist Mattis tief getroffen und verstößt sein heiß geliebtes Kind. Nun ist er für niemanden ansprechbar. Ronja hält es in der Mattisburg nicht mehr aus. Eines Nachts macht sie sich auf und zieht mit Birk in die Bärenhöhle. Dort, in freier Natur, verleben sie ihren bislang schönsten Sommer. Trotzdem denkt Ronja immer wieder sehnsuchtsvoll an ihr Zuhause, und als Mattis zum Ende des Sommers kommt und sie bittet, in die Mattisburg zurückzukehren, ist sie glücklich. Dass seine Tochter die Freundschaft mit dem Borkasohn nicht aufgibt, hat er inzwischen eingesehen.

Die Zeiten für Räuber werden unruhiger. Landsknechte durchkämmen die Wälder, um den Räubern das Handwerk zu legen. Deshalb gibt der alte, weise Glatzen-Per kurz vor seinem Tode Mattis den Rat, mit den Borka-Räubern zusammenzugehen und so den Landsknechten Paroli zu bieten. Widerwillig kommt man schließlich in beiden Räuberstämmen überein. Ein mit starken Worten und Muskeln ausgetragener Machtkampf zwischen Mattis und Borka um den Räuberhauptmann-Status endet so, dass alle zufrieden sind. Zukünftig ziehen sie gemeinsam auf Raubzüge. Doch in ihren Kindern werden sie keine Nachfolger haben. Weder Ronja noch Birk wollen in die Fußstapfen der Väter treten.

"Ronja, die Räubertochter" ist ein Beispiel geglückter Literaturverfilmung. Astrid Lindgrens wildromantische Geschichte – ein Appell an die Menschlichkeit – ist mit filmischen Mitteln adäquat umgesetzt worden. Der Film hat Kraft, Poesie und Humor. Die schwedisch-norwegische Produktion – zunächst von Olle Hellbom, unter dessen Regie die meisten der Lindgren-Bücher verfilmt wurden, begonnen und nach dessen Tod im Jahre 1983 von Tage Danielsson fortgesetzt – entstand in 18 Monaten Drehzeit und mit einem Etat von umgerechnet 6,5 Millionen DM. Diese Mittel sind effektiv verwendet worden. Tage Danielsson setzte technische Tricks sparsam, aber wirkungsvoll ein und meint hierzu, dass "ein Special Effect nicht mehr als ein oder zwei Minuten dauern soll – dann wird man davon müde". So wechseln düstere, ein bisschen Angst machende Szenen mit heiteren, amüsanten Begebenheiten – etwa der Flug der bedrohlichen Wilddruden (per Computer programmiert, wobei ca. 2000 Eingaben pro Figur notwendig waren), die atemberaubenden Sprünge der Kinder über die Schlucht (an einem Hochhaus in Stockholm ausprobiert und gedreht), oder aber die irrwitzigen Rumpelwichte, die alles und jedes hinterfragen und mit ihrem ständigen "Wieso denn bloß?" nachhaltige Heiterkeit verbreiten.

Zuallererst ist "Ronja, die Räubertochter" aber ein Film, der eine starke Geschichte erzählt, ein Film über eine Eltern-Kind-Beziehung, über das Heranwachsen und Selbstständigwerden von Kindern, über deren Hoffnungen und Wünsche, ihre Sehnsucht nach einer friedfertigen, freundlichen Welt. Der Unversöhnlichkeit und Sturheit von Erwachsenen setzen sie ihre Stärke entgegen.

Es ist aber auch ein "skandinavischer" Film, der seinen Reiz aus einer urwüchsigen Landschaft bezieht: Wälder mit Teppichen voller Buschwindröschen, weichen Moosdecken, rauschenden Wildbächen, gewaltigen Wasserfällen, klaren Seen und Plätzen, wo der Blick frei ist. Inwieweit es sich auch hier um bedrohte Landschaft handelt, wage ich angesichts solcher Bilder gar nicht zu fragen. Vielleicht ist es aber gerade dieser Gedanke, der auch ein bisschen traurig macht!

Dem Film ist zu wünschen, dass er auf großer Leinwand im Kino zu sehen ist. Nach dem derzeitigen Stand soll er um die Weihnachtszeit '85 im Fernsehen in drei Teilen ausgestrahlt werden – für eine Kinoauswertung hat sich unverständlicherweise noch kein Verleih gefunden.

Christel Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 31-2/1987 - Kinder-Film-Kritik - Ronja Räubertochter
KJK 23-2/1985 - Interview - "Ich will gern sehen, was ich geschrieben habe"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.RONJA, DIE RÄUBERTOCHTER im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 22-2/1985

 

Filmbesprechungen

BIBERSPUR| CISKE, DER KLEINE HALUNKE| DORNRÖSCHEN – 1954| DIE MUPPETS EROBERN MANHATTAN| PÜNKTCHEN UND ANTON – 1953| RONJA, DIE RÄUBERTOCHTER|

Interviews

Engel, Thomas - "Ich wollte meinen Film machen und das Geld war eben da"| Oz, Frank - "Die Muppets erobern Manhattan"| Pieters, Guido - "Ein Film ohne Publikum ist kein Film"| Unterberg, Hannelore - "Ich möchte die Kinder immer etwas ermuntern"|

Hintergrundartikel

"Dornröschen"|


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