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Ausgabe 32-4/1987

PINOCCHIO UND DER HERRSCHER DER NACHT

PINOCCHIO AND THE EMPEROR OF THE NIGHT

Produktion: Filmation Associates, USA 1985-1987 – Regie: Hal Sutherland – Drehbuch: Robby London, Barry O'Brien und Dennis O'Flaherty, nach einer Idee von Dennis O'Flaherty – Musik: Anthony Marinelli, Brian Banks – Laufzeit: 87 Min. – Farbe – FSK: ab 6, ffr. – Verleih: Filmwelt (35mm)

Quasi zum 25. Jubiläum der Studiogründung hat sich Produzent Lou Scheimer, der Chef von Filmation, eine neue Ausgabe von Collodis Pinocchio geschenkt. Acht Millionen Dollar hat er dafür angelegt. Das Resultat ist ein Trickfilm, der die bekannte Geschichte neu erzählt, obwohl er dort beginnt, wo die Disney-Verfilmung aufhörte. Ein klein wenig zu großspurig wird der Film als "der Film für die nächsten fünf Generationen" angekündigt, um so zu tun, als wäre er vom gleichen Kaliber wie der regelmäßig neu gezeigte Disney-"Pinocchio" und als wäre dieser Film ein Ersatz für seinen Vorgänger. Er ist es nicht. Man kann ihn allenfalls als Ergänzung oder jüngeren Bruder bezeichnen.

Pinocchio ist zu Beginn dieses Films bereits ein Jahr lebendig. Der Holzschnitzer Gepetto bereitet ihm eine Geburtstagsfeier, bei der auch die gute Fee erscheint, die dem hölzernen Bengele wahres Leben gegeben hat. Sie rät Pinocchio, auch in Zukunft den geraden Weg zu gehen. Dazu bekommt er als Berater einen Freund, das Glühwürmchen Gee Willikers, natürlich aus bestem Holz geschnitzt und von der Fee mit Leben versehen. Noch ehe die Geburtstagsfeier so richtig beginnen kann, soll Pinocchio für Gepetto eine Besorgung erledigen. Hier ist eigentlich der erste Haken der Geschichte. Pinocchio hat es anscheinend ohne "gutes Gewissen" ein ganzes Jahr lang geschafft, sich aus allen Problemen herauszuhalten. Kaum aber ist die gute Fee wieder aufgetaucht, fällt ihm schon die Wahl schwer, ob er Gepettos Besorgung erledigen oder lieber zum über Nacht aufgebauten Zirkus gehen soll.

Aber da keine Geschichte zu erzählen wäre, wenn Pinocchio sich richtig entscheiden würde, geht er eben hin. Wie man aus den ersten Filmminuten weiß, handelt es sich nicht um irgendeinen Zirkus, sondern um eine Art Zauberzirkus, der vom Herrscher der Nacht für seine Zwecke missbraucht wird. In diesem Zirkus purzelt Pinocchio von einem Erlebnis ins nächste. Der Zirkus ist ganz in seine Nähe gekommen, damit er angelockt werden kann, wie so viele unartige Kinder, die dann zu Puppen werden. Gee Willikers gelingt es, Pinocchio vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die gute Fee greift ein und fleht Pinocchio an, sich für das Gute zu entscheiden, denn wenn der Herrscher der Nacht ihn besiegen kann, der von der Holzpuppe zum Menschen wurde, dann sei es aus mit Güte und Liebe in der Welt. Durch positive Gedanken widersetzt sich Pinocchio dem Herrscher der Nacht, und so kommt es zu dem nicht anders zu erwartenden Happy End. Über die raffinierten Licht- und Spezialeffekte haben die Drehbuchautoren jedoch vergessen, was bei Pinocchios Rettung aus all den verführten Kindern geworden ist und ob die Puppen im Zirkus wieder Menschen wurden oder doch nur Puppen waren.

Zugegebenermaßen hat sich das Filmation-Studio bei der Gestaltung dieses Films wesentlich mehr Mühe gegeben als bei manchen seiner Fernseh-Serienprodukte. Dennoch hat man nicht darauf verzichtet, die Zauberkiste der Superhelden-Trickfilmserien für die Bösen zu plündern. Da blitzt und funkelt's gewaltig, da ist der Schurke nicht mit zwei Armen zufrieden, obwohl er so aussieht, als könnte er nicht mal mit zwei Armen richtig umgehen und, und, und ...

Etwas grämen mag man sich darüber, dass im Wesentlichen die Grunderzählung der Disney-Version neu aufgegossen wurde. Aber die wurde immerhin so geschickt variiert, dass der Film nicht als Remake bezeichnet werden kann. Ärgerlicher ist da schon, dass bei aller Liebe, mit der manche Figuren gestaltet wurden, eine gewisse Lieblosigkeit bei anderen Figuren nicht zu übersehen ist. So ist etwa die gute Fee ein Ausbund an Kitsch und Kälte, der immer gleich in ein Liedlein ausbricht, wenn es etwas zu sagen gilt. In der Originalfassung klingt ihr Gesang zudem vor allem bei hohen Tönen so, als intoniere die Sängerin immer einen Halbton neben der Melodie. Möglicherweise ist die gute Fee hier der eigentliche Anlass für alles Unheil, denn sie ist so süßlich gut und ihr Vorschlag, sich immer der Möglichkeit der Wahl bewusst zu sein, ist so dünn und nachdruckslos, dass man kaum anders kann als nicht auf diese gute Fee zu hören.

So lobenswert es ist, in einem Trickfilm positive Werte zu vermitteln, so kann man diese Absicht – wie hier – doch auch so überziehen, dass fast schon von einer Holzhammer-Psychologie gesprochen werden muss. Ebenfalls nicht ganz glücklich macht an diesem Film, dass einzelne Szenen so inszeniert sind, dass sie vielleicht eine Spur zu bedrohlich wirken. Etwa, wenn der große Frosch auf der Jagd nach Insekten Format füllend auf den Betrachter zuspringt. Gut hingegen, dass die beiden Verführer Pinocchios erkennen, dass ihr Tun nicht richtig war, dass man also nicht auf Bösesein festgelegt ist.

Was an diesem Film deutlich wird, ist, dass die Fernsehtrickfilmproduzenten, wenn sie ins Kino drängen, nur tricktechnisch aufwändiger gestalten, was sie ansonsten inhaltlich auch bieten. Gewiss wird man diesen Film späteren Generationen immer wieder zeigen können. Aber der erhoffte neue Klassiker ist er nicht geworden. Da weitere Projekte dieser Art geplant sind, ist zu hoffen, dass die Produzenten lernfähig genug sind, um die Schwächen dieses Films nicht zu wiederholen. Gerade wenn man die TV-Trickserien kennt – als deren Produzent – sollte man einsehen, dass es nicht möglich ist, die Erzählmuster aus Disneys Tagen (nämlich den Musical-Stil) ohne weiteres auf die action-betonteren Geschichten von heute zu übertragen. Auch die Kinderpsychologen, die bei TV-Produktionen für Kinderverträglichkeit der Filme bürgen müssen und jeder Abenteuerserien-Episode eine deutlich ausgesprochene Moral anhängen, erweisen sich hier zu sehr auf Bewährtes festgelegt, weshalb dieser Film zu offensichtlich lehrhafte Elemente beinhaltet. Ob dieser Art von Trickfilm-"Klassiker" die Zukunft gehört, muss sich erst noch zeigen. Zweifelsohne hat er trotz aller Mängel auch seine Meriten, so dass man auf weitere Projekte dieser Art durchaus mit wohlwollendem Interesse warten kann.

Wolfgang J. Fuchs

 

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