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Ausgabe 2-2/1980

BLAUVOGEL

Zum neuen DEFA-Film "Blauvogel"

Western erfreuen sich auch im Osten beim Kinopublikum großer Beliebtheit – ein Umstand, den sich die DEFA zunutze machte, als sie Mitte der 60er-Jahre mit der Produktion eigener Indianerfilme begann. Sie befriedigte damit nicht nur das Unterhaltungsbedürfnis der Zuschauer, das Verlangen vor allem junger Kinobesucher nach Abenteuer und Spannung, sondern leistete dabei auch einiges an historischer Aufklärung. Im Gegensatz zur oft rassistischen Tendenz vieler amerikanischer Western lagen die Sympathien der meist auf authentischen geschichtlichen Fakten basierenden Filme dieses Genres made in Babelsberg stets bei den Indianern. Dank der positiven Resonanz beim Publikum wurden solche Produktionen ein fester Bestandteil der DEFA-Pläne. Sie füllten nicht nur die eigenen Kinokassen, sondern hatten auch gute Exportchancen. Alle liefen nicht minder erfolgreich in den meisten sozialistischen Ländern, einige wurden auch an andere Staaten verkauft. Von 1966 bis 1975 erschien pünktlich jedes Jahr im Sommer ein neuer Indianerfilm auf der Leinwand, und alle zusammen konnten in der DDR den Rekordbesuch von über 37 Millionen Zuschauern verbuchen.

Freilich machten sich auch in diesem Filmgenre Verschleißerscheinungen bemerkbar. Der erste Indianerfilm, "Die Söhne der großen Bärin", kam auf über 55.000 Vorstellungen, die mehr als 8.285.000 Zuschauer besuchten – der zehnte Indianerfilm, "Blutsbrüder", wurde nur noch knapp 15.000 Mal eingesetzt, brachte es dabei allerdings auch noch auf die überdurchschnittliche Besucherzahl von über 1,67 Millionen.

Allmählich gingen den Autoren jedoch die Ideen aus. Basierten mit Ausnahme der ersten beiden alle folgenden Indianerfilme auf Originalstoffen, so griff man bei Wiederaufnahme der Produktion nach dreijähriger Pause wieder auf eine literarische Vorlage zurück.

Auch war der Schauplatz des im Vorjahr erschienenen Indianerfilms "Severino" zum ersten Mal nicht Nord-, sondern Südamerika, und sein zentraler Konflikt ergab sich nicht wie bisher aus Landnahme und Vertreibung der Indianer durch weiße Siedler.

Auch der jüngste Beitrag zum Indianerthema unterscheidet sich von seinen Vorläufern. "Blauvogel" entstand nach dem gleichnamigen, in der DDR äußerst beliebten Kinderbuch von Anna Jürgen und erzählt die Geschichte von George Ruster, Sohn einer englischen Siedlerfamilie, die um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Nordamerika kommt. Als Neunjähriger wird er von Irokesen entführt, um bei diesem Indianerstamm die Stelle eines verstorbenen Jungen einzunehmen, der den Namen Blauvogel trug. George wehrt sich anfangs gegen die ihm aufgezwungene neue Umwelt und ihre Menschen, die ihm fremd und unverständlich erscheinen. Mehrfach versucht er vergeblich, zu fliehen, aber allmählich lernt er die im Einklang mit sich selbst und der Natur lebenden Indianer verstehen, begreift ihre – wie wir es heute nennen würden – "alternative Lebensweise" als eine doch sehr Menschen gemäße. Als er nach sieben Jahren durch das Ende des Bürgerkrieges zwischen englischen und französischen Kolonisatoren wieder zu seiner Familie kommt, empfindet er sich nun dort als Fremder und kehrt zurück zu den Irokesen – ein Schluss, der im Buch eindeutig, im Film aber nur angedeutet ist.

Auch sonst entfernte sich Autor und Regisseur Ulrich Weiß vom literarischen Original, setzte mehr auf Psychologie als auf Action. Mit der Kamera von Otto Hanisch gelingen schöne Bildkompositionen, man spürt das Bemühen um ethnographische Genauigkeit; weniger geglückt erscheint der Versuch, in mancher Sequenz auch eine tiefere symbolische Bedeutung auszudrücken. Durch poetische Qualitäten fiel 1976 schon der Kinderfilm "Tambari" auf, mit dem der Absolvent der Babelsberger Filmhochschule Ulrich Weiß nach jahrelanger Arbeit als Dokumentarist zum ersten Mal als Spielfilmregisseur hervortrat. "Blauvogel" bestätigt seine künstlerischen Ambitionen, für die diese Mischung aus Indianer- und Kinderfilm freilich ein wenig taugliches Objekt war. In einer Episodenrolle taucht am Anfang übrigens kurz einmal ein berühmter Regie-Kollege auf: Egon Günther, von dem man lieber wieder einmal einen neuen DEFA-Film inszeniert gesehen hätte. Aber darauf wird wohl noch eine ganze Weile zu warten sein: Der unbequeme Avantgardist unter den Babelsberger Filmemachern, der zuletzt vor einem Jahr mit der umstrittenen "Ursula" im Fernsehen von sich reden machte, hat für die nächste Zeit erst einmal mit der Realisierung einer mehrteiligen Bildschirm-Fassung von Lion Feuchtwangers Roman "Exil" für den Westdeutschen Rundfunk zu tun.

Heinz Kersten

Verzeichnis der DDR-Indianerfilme, die in der BRD im Verleih sind:

DIE SÖHNE DER GROSSEN BÄRIN
Regie: Josef Mach – Produktion: DEFA KAG 'Roter Kreis', 1965/66 – 95 Min., Farbe – 35mm und 16mm – Unidoc

TÖDLICHER IRRTUM
R.: Konrad Petzold – P.: DEFA, in Zusammenarbeit mit dem Kinostudio Sofia und Polski-Film, 1970 – 99 Min., Farbe – 35mm – Unidoc

OSCEOLA
R.: Konrad Petzold – R.: DEFA, 1972 – 100 Min., Farbe – 35mm und 16mm – Unidoc

APACHEN I
R.: Gottfried Kolditz – P.: DEFA, Gruppe 'Roter Kreis', 1973 – 90 Min., Farbe – 35mm – Unidoc

ULZANA – APACHEN II
R.: Gottfried Kolditz – P.: DEFA 1974 – 103 Min., Farbe – 35mm und 16mm – Unidoc

 

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