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Ausgabe 139-3/2014

FOR NO EYES ONLY

Bild: FOR NO EYES ONLY
© Avalon Film

Produktion: Avalon Film, Deutschland 2013 – Regie und Buch: Tali Barde – Kamera: Louis Bürk – Schnitt: Tali Barde – Musik: Marco Heibach, Philipp Seuthe – Darsteller: Benedict Sieverding (Sam Anders), Luisa Gross (Livia Römer), Tali Barde (Aaron Ramond), Simon Horvath, Jens Eimermacher, Manuel Moser, Franziska Dederichs, Maren Caspers, Dirk Harper, Julie Cappallo u. a. – Länge: 97 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Zorro – Altersempfehlung: ab 14 J.

Computer-Nerd Sam hat einen Hockeyunfall und ist für die nächsten Wochen an seinen Schreibtisch gefesselt. Auf Dauer ist das stinklangweilig. Daher sucht Sam nach Möglichkeiten, sich abzulenken. Er entdeckt im Internet eine Spähsoftware, mit der sich die Webcams anderer User mühelos hacken lassen. So kann Sam als heimlicher Voyeur online sehen, was seine Mitschüler zuhause gerade vor ihrer Webcam treiben, intimste Momente inklusive. Auch Livia spioniert er aus, in die er heimlich verliebt ist. Als Livia ihn am nächsten Tag um Nachhilfeunterricht in Informatik bittet, verlässt ihn aber beinahe der Mut. Als sie ihn zuhause besucht, entdeckt sie sein Geheimnis, noch ohne zu ahnen, dass Sam auch sie ausspioniert hat. Sie ist ebenfalls fasziniert von den Einblicken in die Privatsphäre der Mitschüler. Beide finden es allerdings merkwürdig, dass der neue Mitschüler Aaron, der Probleme mit seinen Eltern hatte, sich äußerst merkwürdig verhält und ein Messer versteckt. Seine Eltern sind im Haus nicht zu sehen. Sam und Livia wollen der Sache auf den Grund gehen. Als Livia jedoch herausfindet, dass Sam auch sie ausspioniert hat, ist sie stinksauer. Weil sie weiß, dass Sam es mit ansehen wird, besucht sie Aaron demonstrativ für ein Rendezvous. Als sie dort Blut in der Küche entdeckt, bekommt sie es doch etwas mit der Angst zu tun. Dass sie sich in höchster Gefahr befinden könnte, bekommt Sam allerdings nicht gleich mit.

Der Debütspielfilm von Tali Barde entstand aus einer Schulfilmgruppe, die er in seiner ehemaligen Schule nach dem Abitur gründete. Sein Film ist also ohne klassische Filmausbildung und ohne Filmförderung entstanden. Nicht frei von dramaturgischen Schwachstellen, bildhaften Übertreibungen und mitunter hölzern klingenden Dialogen, besticht der Film aber durch seinen Charme und die gute Idee, durch eine ausgeklügelte Kamera- und Montagearbeit, von der sich andere Debütfilmer eine Scheibe abschneiden könnten, und durch ein Thema, das den Nerv einer jungen Generation trifft: Wie sicher ist das Internet und gibt es überhaupt noch eine Privatsphäre? Barde geht diesen Fragen, die tatsächlich jeden betreffen können, wie es sinngemäß eine Schülerjury formulierte, auf mitunter amüsante, vor allem aber spannende und nicht belehrende Weise nach. Erstaunlich auch, dass ihm Alfred Hitchcocks Klassiker "Das Fenster zum Hof" als Inspiration und Vorbild für diesen Jugendkrimi gedient hat. Man mag es kaum glauben, aber Hitchcock, der Meister des Suspense, sagt heutigen Jugendlichen nicht mehr viel. Vergleiche zwischen beiden Filmen lohnen sich trotzdem, denn Barde hat die Handlung zwar konsequent in das Internetzeitalter und auf Jugendliche als Protagonisten übertragen, verliert sein filmisches Vorbild aber nie aus dem Blick. Das reicht von der Verletzung und dem Voyeurismus der Hauptfigur, über den Aufbau der Spannung bis zum Hund, der im Vorgarten vergraben ist.

Filme wie diese haben auf dem kommerziellen Markt oft nur eine geringe Chance. Doch das Durchhaltevermögen der ganzen Crew hat sich gelohnt. Der Film erhielt beim LUCAS-Festival in Frankfurt 2013 den "Sir Peter Ustinov Jugendfilmpreis". Dann lief er sogar auf vier amerikanischen Filmfestivals. 2014 wurde er bei den Augsburger Filmtagen von einer Jugendjury als Bester Film unter anderem mit den folgenden Worten ausgezeichnet: „Leute, diesen Film dürft ihr auf keinen Fall verpassen!“ Weitere Festivalteilnahmen und Auszeichnungen im In- und Ausland folgten, ein nichtkommerzieller Verleih und das Fernsehen begannen sich für den Film zu interessieren und im Herbst 2014 wird der Film sogar einen offiziellen Kinostart in Deutschland haben.

Holger Twele

 

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Ausgabe 139-3/2014

 

Inhalt der Print-Ausgabe 139-3/2014|

Filmbesprechungen

3 DAYS OF CINEMA| BESTE CHANCE| BOYHOOD| FOR NO EYES ONLY| DIE GEHEIME MISSION| JACK UND DAS KUCKUCKSUHRHERZ| DAS MAGISCHE HAUS| MALEFICENT| DAS MEER SEHEN| QUATSCH UND DIE NASENBÄRBANDE| RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN| SAPHIRBLAU| DAS SCHICKSAL IST EIN MIESER VERRÄTER| WOLFSKINDER|

Interviews

Helmer, Veit - Ein Geschenk für den Sohn| Kopf, Christine - Frankfurter "MiniFilmclub" nimmt Formen an| Sommer, Gudrun und Katya Mader - "Junge Menschen sind neugierig gegenüber Filmen über ihre Lebenswirklichkeit"| Vollmar, Neele Leana - "Ich wusste, dass ich diese Geschichte mit vollem Herzblut erzählen muss"|

Hintergrundartikel

Förderinitiative "Der besondere Kinderfilm"|

Kinder-Film-Kritiken

"Rico, Oskar und die Tieferschatten"| "Die schwarzen Brüder"| "Ein Märchen von einer unmöglichen Stelle im Universum"|


KJK-Ausgabe 139/2014

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