( zum Film SEHNSUCHT)
Produktion: WDR, Bundesrepublik Deutschland 1990 – Regie: Hanno Brühl – Drehbuch: Kadir Sözan – Kamera: Michael Giefer, Irma Schreiber – Schnitt: Margot Löhlein, Brigitte Wilz – Musik: Orhan Temur – Darsteller: Ibrahim Erol Sandalcioglu (Hüseyin), Deger Pekerman (Memo), Iris Winter (Regine), Oktay Sözbir (Vater) – Laufzeit: 96 Minuten – Farbe – Internationaler Vertrieb: WDR Köln (16mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.
Dass es auch in Deutschland Regisseure und Produzenten gibt, die sich am schwierigen Genre des Jugendfilms versuchen, das zeigt diese neue WDR-Produktion, die ihre erfolgreiche Weltpremiere beim 1. Europäischen Jugendfilmfestival "See Youth" erlebte: Die Brüder Hüseyin und Memo kehren unfreiwillig zusammen mit ihren Eltern der BRD, in der sie aufwuchsen, den Rücken und sollen fortan in der Türkei leben. Natürlich kommen die "Deutschländer" – so heißen aus Deutschland heimgekehrte Türken – mit ihrem neuen Leben in ihrer "Heimat" nicht klar: Die Schule ist sehr autoritär und auch sonst vermissen sie neben ihren gewohnten Freiheiten vor allem ihre Freunde, die sie in Deutschland gelassen haben. Besonders schwer ist das alles für den älteren Hüseyin, ist doch seine Liebe, die 16-jährige Kölnerin Regine, jetzt so weit weg von ihm. Als sie es nicht mehr aushalten, machen sich die zwei ohne ausreichendes Geld und Visum auf in das Land ihrer Sehnsucht: nach Alemanya. Und tatsächlich, mit Witz und etwas Glück, schaffen sie die Einreise: "Deutschland wir kommen", schreien sie vor Freude aus dem Zugfenster. Doch das Hochgefühl hält nicht allzu lange an: Nicht nur Regines Mutter, sondern auch andere lassen sie deutlich spüren, dass sie hier nicht erwünscht sind. Das Ausländeramt erklärt kategorisch und knapp: "Sie sind illegal eingereist. Wenn Sie überhaupt etwas erreichen wollen, dann müssen sie zurück und von der Türkei aus ein Visum beantragen." Auch der Versuch von Regine und Hüseyin, den Innenminister zum Eingreifen zu überreden, scheitert. Derweil leben die beiden Brüder mal illegal in Abbruchhäusern oder bei türkischen Freunden. Und allerorten schlägt ihnen der steigende Ausländerhass entgegen. Als Hüseyin sich auch noch mit Regine verkracht, sieht er in allem keinen Sinn mehr. Er macht bei einem Einbruch mit, wird erwischt und abgeschoben. Auf dem Flughafen sehen ihn sein Bruder, der Onkel und Regine gerade noch, wie er ins Flugzeug transportiert wird. Und so endet der Ausflug der zwei in das Land ihrer Träume.
Das Verdienst des Films liegt in der eindeutigen und klaren Bebilderung der Situation der Arbeitsimmigranten der zweiten Generation: Aufgewachsen als Fremde in der BRD, kennen sie ihre sogenannten Heimatländer meist nur noch aus Erzählungen und sind somit im Sinne des Hölderlin-Wortes im doppelten Sinne "Fremdlinge im eigenen Land". In der BRD unerwünscht und mit Rückkehrprämien zur Ausreise bewegt, finden sie sich in der Heimat ihrer Eltern kaum mehr zurecht und sitzen so zwischen allen Stühlen. Aber auch die realistische Schilderung deutscher Ausländerfeindlichkeit, wobei faschistische Ausschreitungen ja nur die Spitze des Eisberges sind, dürfte gerade unter Jugendlichen für so manche Diskussion sorgen.
Dabei kommt der Film weder bierernst noch pädagogisch daher, sondern findet auch noch für die düstersten Situationen einen ironischen Spruch. Zum Beispiel als die Türken in der deutschen Kneipe kein Bier bekommen und Hüseyin sich darüber so aufregt, dass er beinahe den Kellner angreift und einer seiner Freunde zu ihm sagt: "Von diesen Typen gibt es so viele, wenn du dich über jeden so ärgerst, bleibt dir kaum noch Zeit zum Schlafen." Es ist dieser bittere Humor, der einem mit so mancher Ungelenkigkeit – gerade im Spiel der jugendlichen Laien-Darsteller – versöhnt. Wie überhaupt der Film erkennbar bemüht ist, sein ernstes Thema in einer auch für Jugendliche akzeptablen Form zu präsentieren, ohne dabei zu verharmlosen oder über Dinge Witze zu machen, die einfach nicht mehr zum Lachen sind. Bleibt zu hoffen, dass der Film, den der WDR im Oktober '90 in seinem 3. Fernsehprogramm gesendet hat, möglichst bald den Weg zum jugendlichen – und erwachsenen – Kinopublikum in Deutschland finden wird.
Lutz Gräfe
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 53-1/1993 - Filmbesprechung - SEHNSUCHT
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