© Razor Film / Koch Media
Produktion: Razor Film / Highlook Group; Deutschland / Saudi-Arabien 2012 – Regie und Buch: Haifaa Al Mansour – Kamera: Lutz Reitemeier – Schnitt: Andreas Wodraschke – Musik: Max Richter – Darsteller: Waad Mohammed (Wadjda), Reem Abdullah (Mutter), Abdullrahman Al Gohani (Abdullah), Ahd (Hussa), Sultan Al Assaf (Vater) – Länge: 97 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Match Factory – Verleih: Koch Media, www.kochmedia-film.de – Altersempfehlung: ab 14 J.
Ein Film aus Saudi-Arabien, einem Land, in dem Kinos verboten sind wie auch Autofahren für Frauen oder eine Auslandsreise ohne Erlaubnis des Angetrauten, ist schon etwas Spezielles. Dass aber eine Frau den ersten Film (eine deutsche Koproduktion) drehen durfte, grenzt schon fast an ein Wunder. Aber nicht nur aus diesem Grund verdient das beim Filmfestival von Venedig als Sensation gefeierte Regiedebüt Aufmerksamkeit. Haifaa Al Mansour wirft einen Blick hinter die von männlicher Macht geprägten Kulissen des islamisch konservativen Königreichs, in denen Frauen ein Schattendasein führen, sogar im Familienstammbaum nicht genannt werden. Aus dieser Unsichtbarkeit heraus will die starrköpfige Wadjda, die in einer Vorstadt von Riad aufwächst. Sie trägt Jeans und das Haar meistens offen, liebt Pop-Musik. Und sie träumt davon, sich mit dem Nachbarjungen mal ein Wettrennen auf dem eigenen Fahrrad zu liefern, auf dem grasgrünen, das in einem Geschäft steht. Zum einen fehlt das Geld, zum anderen dürfen Mädchen höchstens im Hinterhof mal Rad fahren und die Mutter fürchtet Ärger, wenn sie der Tochter den Wunsch erfüllt. Aber die Elfjährige gibt nicht auf. Mit verbotenen Geschäften verdient sie ein wenig Geld auf dem Schulhof und meldet sich für den Koran-Rezitationswettbewerb an – weniger aus Glaubenstreue, denn um die hohe Preissumme in Cash zu bekommen. Und sie gewinnt wirklich. Doch ihre Ankündigung bei der Prämierung, sich ein Rad kaufen zu wollen, stößt auf Entsetzen, die schönen vielen Rials landen in einem Solidaritätsfonds für Palästina.
Ohne das System von Frauenunterdrückung explizit anzuprangern, Männer als Stereotypen lächerlich zu machen oder als die Bösen zu verteufeln, führt die saudische Regisseurin und Drehbuchautorin hinein in das ganz normale Leben, das da heißt, kein lautes Lachen der Mädchen in der Schule, das könnte die Jungen stören, Dienstbarkeit und Demut der Hausfrau, die nicht verhindern kann, dass ihr Mann eine zweite Frau heiratet, weniger aus Liebe als um einen Sohn zu zeugen, das Verzehren von Essensresten, die Hausherr und Gäste vom Mahl übrig lassen, die Ganzkörpervermummung "Abaya", die nur die Augen freilässt, die Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung und Ächtung. Die Gegebenheiten des Landes werden aus dem Blickwinkel eines Kindes erzählt. Nur manchmal blitzt so etwas wie kleiner weiblicher Widerstand auf, die hastig gerauchte Zigarette der Mutter auf dem Balkon, das knallrot aufreizende Kleid als Gegensatz zum schwarzen Tschador, das bewusst verrutschte Kopftuch der renitenten Tochter, die obendrein noch frech Turnschuhe trägt, heimliche Briefe zwischen Verliebten.
"Wadjda" ist ein Film für Erwachsene, aber vor allem für Mädchen, die junge Darstellerin Waad Mohammed, die beim Casting 50 Konkurrentinnen ausstach, überzeugt als Identifikationsfigur. Kameramann Lutz Reitemeier zaubert draußen sonnendurchflutete Bilder, aber auch streng kadrierte im Innern des Hauses oder der Schule. In der Schlussszene gewinnt Wadjda auf dem von der Mutter geschenkten Rad auch das geplante Wettrennen mit dem Nachbarsjungen. Atemlos steht sie an einer großen Straße, die Welt liegt ihr zu Füßen. Im Film ist der Traum vom eigenen Fahrrad und kleiner Freiheit Wirklichkeit geworden. In der Wirklichkeit noch lange nicht.
Margret Köhler
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