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Ausgabe 76-4/1998

KURZ UND SCHMERZLOS

Produktion: Wüste Filmproduktion / ZDF; Deutschland 1998 – Regie und Buch: Fatih Akin – Kamera: Frank Barbian – Schnitt: Andrew Bird – Musik: Ulrich Kodjo Wendt – Songs: Fünf Sterne Deluxe, Sezen Aksu u. a. – Darsteller: Mehmet Kurtulus (Gabriel), Aleksandar Jovanovic (Bobby), Adam Bousdoukos (Costa), Regula Grauwiller (Alice) u. a. – Länge: 100 Min – Farbe – FSK: ab 16 – FBW: besonders wertvoll – Verleih: Polygram (35mm)

Noch vor dem Abitur schrieb Fatih Akin das Skript zu "Kurz und schmerzlos", das er mit der Hand gekritzelt auf einem Kellnerblock der Wüste Filmproduktion vorlegte. Bevor dann 1997 die erste Klappe fiel, drehte er erst einmal zwei Kurzfilme: "Sensin – Du bist es", der nach seinem Erfolg in Hof von Premiere gekauft wurde, und "Getürkt", der Preise u. a. in Chicago und Lünen erhielt. Das "Üben" hat sich gelohnt, der erste Spielfilm des "deutschen Türken" über drei Freunde unterschiedlicher Nationalität, die in die Klauen des organisierten Verbrechens geraten, beeindruckt durch Intensität und Authentizität. Der in Hamburg geborene Fatih Akin zeigt die Hansestadt von ihrer düsteren Seite – nicht die schicken Elbvillen oder in dezent teures Tuch gewandete Bürger, sondern die raue Ausländer-Szene in Altona. Dort leben der Türke Gabriel (Mehmet Kurtulus), der Serbe Bobby (Aleksandar Jovanovic) und der Grieche Costa (Adam Bousdoukos). Die Kleinkriminellen gehen gemeinsam durch dick und dünn, fühlen sich als die Kings vom Kiez. Aber Gabriel will nach einem Knastaufenthalt kein Risiko mehr eingehen und steigt als Taxifahrer in das Unternehmen seines Bruders ein, träumt von einem Strandcafé in der Türkei. Bobby dagegen macht Geschäfte mit dem albanischen "Paten" Muhamer (Ralph Herforth) und Costa knackt weiter Autos. Sie sind Loser, die mit aller Kraft nach oben wollen. Dabei haben sie keine Chance, zahlen einen blutigen und am Ende tödlichen Preis.

Der erst 24-jährige Akin verzichtet auf oft üblichen Sozialkitsch und entwickelt eine lebensnahe Handlung ohne Larmoyanz und Schuldzuweisungen, in der auch eine Portion Liebe und Erotik nicht fehlen darf. Regula Grauwiller spielt Bobbys Freundin, die sich dem verständnisvollen Gabriel zuwendet, nachdem Bobby ins Milieu abdriftet. Nur die Grundkonstellation der drei Freunde basiert auf autobiografischem Hintergrund, der Rest ist Fiktion. Zwischen Sozialdrama und Komödie, Thriller und Tragödie bewegen sich die Figuren. Gewalttätige Szenen ersetzen sukzessive die anfänglich skurrilen Momente mit Komik und Wortwitz. Interessant ist das visuelle Konzept: Zu Beginn gibt es sehr bunte Farben und viel Licht, je mehr sich die Protagonisten in den Netzen ihrer eigenen Biografie verfangen, um so mehr dominieren dunkle Töne und klaustrophobische Locations. Auch die Kamera setzt in diesem Buddy-Movie der ganz anderen Art unterschiedliche Akzente – schnelle Schnitte bei Costa, nervöse Handkamera bei Bobby, ruhige Aufnahmen bei Gabriel.

"Kurz und schmerzlos" wirft ein Schlaglicht auf den Alltag von jungen Männern, die in zwei Kulturen aufgewachsen sind, sich in keiner mehr heimisch fühlen. Die unbehausten Seelen stehen zwischen allen Fronten, sie mimen harte Machos und geben sich cool, sind dabei psychisch so verletzbar. Nach kleinen Durchhängern erzählt Akin eine spannende Geschichte mit viel Sympathie für seine hilflosen Helden. Es gibt zwar kein Happy End, aber doch so etwas wie ein Prinzip Hoffnung. Ein schonungsloser Hamburg-Film, der aber auch in der berüchtigten Bronx oder den Pariser Vorstädten spielen könnte.

Margret Köhler

 

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