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Ausgabe 16-4/1983

"Wir müssen Menschenfilme machen"

Interview mit Karsten Wedel

(Interview zum Film ICH BIN MARIA)

Karsten Wedel (Jahrgang 1928), Kurzfilmregisseur und Leiter der Kurzfilmabteilung bei Svensk Filmindustrie in Stockholm, heute Dozent der Filmklassen des Dramatischen Institutes Stockholm, drehte 1979 mit "Ich bin Maria" seinen ersten langen Spielfilm.

KJK: Die Beurteilung durch die erwachsenen Seminarteilnehmer hier in München von "Ich bin Maria" war allgemein sehr positiv. Wie ist Ihre Erfahrung mit dem schwedischen Publikum? Von welchen Altersgruppen wurde der Film besucht und ab welchem Alter war er in Schweden freigegeben?
Karsten Wedel: "Leider gibt es keine Statistiken über die Reaktionen der Kinder, schade, man sollte sie haben. Der Film war ab 7 freigegeben, und ich glaube auch, dass die ganz jungen, die Sieben- und Achtjährigen, Schwierigkeiten mit dem Film haben. Für sie bleiben sicher einige Punkte der Geschichte offen. Ich weiß sonst nicht allzu viel über die Reaktionen der Kinder. Aber ich habe mit einigen alten Leuten nach der Vorstellung gesprochen, mit einem älteren Herrn zum Beispiel, der den Film gut verstehen konnte und dem er sehr gefallen hat."

Waren viele Erwachsene im Kino?
"Ja, sehr viele."

Heißt das, dass "Ich bin Maria" nicht unbedingt als Kinderfilm konzipiert war? Sehen Sie auf diesem Weg eine Möglichkeit, auch bei den Erwachsenen mit Filmen über Kinder ein anderes Bewusstsein zu schaffen?
"Ich würde in 'Ich bin Maria' weder einen Kinder- noch einen Erwachsenenfilm sehen. Wir neigen dazu, uns für alle Dinge unsere Etikette zurechtzubasteln, um sie dann schön in passende Schubladen zu stecken. Eine Schublade für die Kinder, eine für die Erwachsenen, die Alten ... für mich funktioniert das überhaupt nicht. Man kann das Publikum nicht so aufteilen. Genauso gut könnte man sie in Grün- und Rothaarige separieren. Für mich ist 'Ich bin Maria' einfach ein Menschenfilm. Wir müssen dazu übergehen, mehr 'etikettfreie Filme' zu machen.
Ich weiß nicht, ob ich die zweite Frage richtig verstanden habe. Aber für mich ist das Wichtigste in einem Film, die richtige Sprache für ein Thema zu finden, so dass dieses Thema verstanden wird. In meinem Film ist das die Geschichte von Maria. Ich habe versucht, eine Filmsprache für ein elfjähriges Mädchen zu finden, und ich glaube, das geschafft zu haben. Dabei ist es ganz egal, ob dieser Film von jüngeren oder älteren Leuten gesehen wird. Er muss eben verstanden werden."

War es da nicht gerade bei "Ich bin Maria" schwierig, sich als männlicher Regisseur in die Gefühle und Konflikte eines im Film zwölfjährigen Mädchens hineinzudenken?
"Nein, da gab es eigentlich keine Probleme. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu Maria. Ich glaube nicht, dass wir so verschieden sind – ob Junge oder Mädchen – ich glaube, da gibt es keinen so großen Unterschied. Außerdem habe ich zwei Töchter und somit auch als Vater viel Erfahrung mit dieser Phase von Maria."

Trotzdem habe ich während des Films manchmal gedacht, das müsste ein Film von einer Regisseurin sein. – Von Marias starker Rolle abgesehen, ist eine weibliche Polizistin ohne Begleitung im aktuellen Einsatz bei Jons Protest gegen das Fernsehteam ein Alltagsbild schwedischer Selbstverständlichkeit oder ein bewusst emanzipatorisch gesetztes Zeichen?
"Tja ... ich glaube schon, dass die Gleichberechtigung der Frau sich sehr stark entwickelt, in Schweden merkt man das ganz deutlich. Nur wird die Sache noch wie viele neue Entwicklungen etwas zu krass gesehen und zum Teil versucht, die Emanzipation radikal durchzusetzen. Wir haben noch nicht die richtige Regel für eine neue Beziehung zwischen den Geschlechtern gefunden. Ich denke, dass solche Bilder auch in Schweden auffallen würden, vielleicht nicht so stark wie in Deutschland."

Ist der Film "Ich bin Maria" auch im schwedischen Fernsehen gelaufen, musste er dazu gekürzt oder in mehrere Folgen aufgeteilt werden?
"'Ich bin Maria' lief ungekürzt in einem Stück im Fernsehen. Auf etwas anderes hätte ich mich nicht eingelassen."

Gibt es große Schwierigkeiten in Schweden, ein – sogenanntes(!) – Jugendfilmdrehbuch einzureichen?
"Ja, die gibt es. Obwohl die Schweden sagen, sie wollen mehr gute Kinder- und Jugendfilme haben, werden 95 Prozent der geschriebenen Drehbücher zu diesen Themen niemals verfilmt. Ein großes Problem liegt auch darin, einen geeigneten Produzenten zu finden, der sein Herz nicht nur an den kommerziellen Aspekt verliert. Überhaupt fehlen uns gute Produzenten."

Eine letzte Frage – bei den Aufnahmen in Jons Atelier und in seinem "heiligen" Zimmer geht das inszenierte Fernsehteam im Film sehr skrupellos vor. Entspricht das den eigenen Arbeitserfahrungen?
"Ja, ganz besonders beim Fernsehen habe ich oft diese Rücksichtslosigkeit erfahren, für mich ist das so ganz typisch."

Das Gespräch führte Valborg-Ingrun Finke Studentin der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen

 

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