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Ausgabe 33-1/1988

Hals über Kopf

Gespräch mit den Fernsehmachern

(Interview zum Film HALS ÃœBER KOPF)

Seit Dezember 1987 läuft jeden Sonntag um 14.15 Uhr im ZDF (Wiederholung jeweils am folgenden Mittwoch) die Reihe "Hals über Kopf". Untertitel: Turbulente Geschichten aus dem Familienalltag. Jede Folge erzählt eine abgeschlossene Geschichte, wobei das Ehepaar Wurzel und der Polizeiobermeister Hund als Wiedererkennungsmomente fungieren. Eigene Kindheitsempfindungen haben die langjährigen Kinderfernsehmacher ("Neues aus Uhlenbuch"; "Sesamstraße") inspiriert.

Anlässlich der Pressevorführung der ersten drei Folgen sprachen wir mit Susanne van Lessen, Elmar M. Lorey und Bärbel Lutz-Saal von der Redaktion Kleine Reihen/Familienprogramm sowie Stefan Lukschy, der neben Rainer Boldt für Buch und Regie verantwortlich ist, und Dr. Michael Albus, dem Leiter der Hauptredaktion Kinder, Jugend und Familie.

KJK: Wie ist die Serie entstanden? Hat das ZDF den Stoff angekauft oder wurde er von der Redaktion selbst entworfen?
Elmar M. Lorey: "Die Uridee entstand, als wir 'Uhlenbusch' entwickelten. Da saßen 17 Regisseure und Drehbuchautoren am Tisch und erinnerten sich alle an den Tagtraum, den sie als Kind hatten: tot zu sein und zu schauen, wie die Eltern über den Verlust ihres Kindes trauern. Das hat uns sehr beschäftigt ... Eltern werden nicht als schuldig gezeichnet, sind keine schlechten Eltern, sondern nur vergessliche. Die Zuschauer wissen mehr, als die Eltern, die ja noch nicht wissen, dass ihr Kind weg ist."
Susanne van Lessen: "Es sind Geschichten, die von der Angst der Kinder erzählen, die Eltern zu verlieren, von den täglichen kleinen Vernachlässigungen. Die Kinder fragen sich, wie brauchen mich meine Eltern? Nehmen sie mich überhaupt wahr? Es geht um den Wunsch des Kindes, dass die Eltern überhaupt aussprechen, wie wichtig ihnen das Kind ist. Diese innere Dramatik ist von der äußeren bestimmt. Mit den Augen der Kinder werden die Eltern bei ihrer verzweifelten Suche nach den Kindern beobachtet."

Die Kinder steigen aus, sind verschwunden, also Ausreiß-Geschichten?
Elmar M. Lorey: "Es sind nicht Geschichten, die erzählen, wie ein Kind aufbricht und wegläuft, sondern wie sich Eltern und Kinder bewusst klar werden, dass sie mehr Nähe wollen."

Zum ersten Mal haben sich die ZDF-Serienmacher der Komödie genähert, schon der Vorspann – ein kesses Lied im Slapstick-Stil – signalisiert den Inhalt: Unerhört – umgekehrt – ausgebüchst – angeschmiert – nix passiert ...
Elmar M. Lorey: "In 'Hals über Kopf' haben wir auf eine alte Tradition zurückgegriffen – hier wird etwas erzählt, vorgespielt, hier wird gezeigt: Jetzt läuft ein Film ab. Von Anfang an wird gesagt, schon durch den Vorspann: Schaut zu, wir unterhalten euch, es wird lustig."

Manchmal zu lustig, wie die Wurzels zum Beispiel, das ewig streitende, doch unzertrennliche Paar, das – Pädagogen lassen grüßen – die Botschaft überbringt: Streit gehört zum Leben, zur Beziehung, das kann man gut aushalten, kein Grund zur Trennung. Wie gefällt das den Kindern?
Bärbel Lutz-Saal: "Wir haben einige Folgen vor der Ausstrahlung mit Kindern getestet, und die Wurzels sind sehr gut angekommen, die Kinder hatten Spaß dabei. Offenbar haben damit nur die Erwachsenen Schwierigkeiten. Insgesamt schnitt die Serie bei den Testkindern positiv ab. Ein Kind formulierte es so: 'Hals über Kopf' hat mir gut gefallen, weil Kinder was zu lachen haben und Erwachsene was draus lernen können."

Waren Kinder in den Entstehungsprozess dieser Serie mit einbezogen?
Stefan Lukschy: "Ich glaube, das Schreiben solcher Geschichten, die sehr knapp und sehr verdichtet sind, muss man selbst erledigen. Man kann Kinder nicht in den Entstehungsprozess mit einbeziehen. Aber man kann sich von ihnen bestätigen lassen, wenn es fertig geschrieben ist."

Haben die Kinder bei den Dreharbeiten Impulse gegeben, etwas verändert?
Stefan Lukschy: "Die Kinder werden mit dem fertigen Drehbuch konfrontiert. Sie spielen, bringen nichts ein außer ihrem Spiel. Das kann gar nicht anders sein, denn sie stehen einem ungeheuren Apparat gegenüber, wissen gar nicht, was das alles bedeutet. Sie sind glücklich, wenn man ihnen ziemlich genau sagt, was sie machen sollen, sie improvisieren nicht, sie müssen pointiert sprechen, es ist ja alles im Drehbuch geschrieben. Manchmal fragen sie, was soll das, das verstehe ich nicht. Und treffen damit instinktiv die Schwachstellen."

Sie arbeiten in Ihrem Ressort seit vielen Jahren mit einem Familientherapeuten zusammen. Ist er auch beim Drehbuchschreiben beteiligt?
Bärbel Lutz-Saal: "Er bekommt alle Buchentwicklungsschritte mit, bespricht es mit uns, ist am Drehbuchschreiben selbst nicht beteiligt. Er hat die fertigen Produktionen gesehen und uns Rückmeldungen gegeben. Nachträglich eingegriffen hat er nicht. Autoren und Regisseure sind über diese Zurückhaltung des Beraters sehr dankbar, denn er ist ein Spezialist für Kinder, aber keiner für Filme.“

Zwei Jahre wurde an der Serie gearbeitet. Vierzehn Folgen sind fertig gestellt, über zwanzig weitere geplant. Wie hoch ist der Etat für das Kinderprogramm im ZDF?
Michael Albus: "Öffentlich erklärt wird immer – und das sollte man grundsätzlich auch sehen – ein Kinderprogramm muss einen entsprechend großen Anteil haben in einem öffentlich-rechtlichen System. Wir sind innerhalb des ZDF die zweitgrößte Hauptredaktion, was die Spielminuten angeht. Das Problem ist, dass wir im Haupt-Abendprogramm kaum erscheinen. Bisher hatten wir immer ein festes Volumen an Plätzen und dadurch auch an Sendungen. Durch die Programmschema-Änderung ab Januar 88 haben wir jetzt den festen Platz von 16 bis 17 Uhr täglich. Das ist eine Verbesserung in zweierlei Hinsicht. Die Anfangszeit ist eine ideale Zukunftsprojektion für uns, die Wunschvorstellung, eine Stunde für die Familie zu machen. Ich finde es ganz wichtig, die Utopie zu haben, dass alle zusammen schauen. Der zweite Aspekt: Das bedeutet eine Ausweitung um etwa 1400 Sendeminuten, das heißt, wir haben konkret für die gesamte Hauptredaktion 40 Halbstunden-Filme mehr. Eine deutlich spürbare Ausweitung ins Quantitative mit der großen Einschränkung, dass das Geld nicht automatisch mehr wird."

Was kostet eine Folge von "Hals über Kopf"?
Michael Albus: "Eine Geschichte wie 'Hals über Kopf' ist sehr kostenintensiv, pro Folge etwa 320.000 DM, das entspricht einem Minutenpreis von etwa 10.000 DM."


Nachdem das ZDF seit Jahrzehnten Kinderfernsehsendungen produziert, stellt sich die Frage: Wird sich das ZDF wie andere Sender (z. B. WDR – "Die Vorstadtkrokodile"; "Küken für Kairo"; HR – "Flussfahrt mit Huhn"; SFB – "Echt tu Matsch") auch in der Kinderfilmproduktion fürs Kino engagieren?
Michael Albus: "Da stehen rechtliche Probleme im Wege. Unser Bestreben geht dahin, dass wir versuchen, mit dem Kinderfilm eigene Projekte zu machen, doch das ist noch Utopie – aber Utopien sind der erste Schritt ..."

Bis Redaktionsschluss haben wir drei Folgen gesehen: "Frohe Weihnacht". "Das Lehmkind" und "Wackelkontakt". So vielfältig die Themen, so unterschiedlich die Ausführung. Eins vorneweg: Bei der Auswahl der Kinder haben die Fernsehmacher eine glückliche – professionelle – Hand bewiesen. Die Kinder spielen frech, natürlich, witzig, nachdenklich: eben glaubwürdig. Dafür wackelt es mehr oder weniger in den Geschichten, wie z. B. in "Wackelkontakt". Der Anspruch der Kinderfilmer, "psycho-logische" Geschichten zu erzählen, wird nicht immer eingelöst. Gerade in "Wackelkontakt" verschwinden die Charaktere der Eltern hinter Drähten und Kabeln, Schaltern und Schnüren. Was die Übermacht der Technik symbolisieren soll, gerät zum Selbstzweck. Die Filmemacher scheinen ebenso fasziniert von den Möglichkeiten der Technik wie die Eltern, die es eigentlich zu hinterfragen gilt. Der Grundgedanke, nämlich dass Eltern über ihrem Alltag, ihren eigenen Interessen und vermeintlichen Wichtigkeiten nicht nur die Bedürfnisse der Kinder vergessen, sondern manchmal auch die Kinder selbst, ist am ehesten noch in der Geschichte von der "Frohen Weihnacht" verwirklicht.

Unterschiedlich gelungen sind auch die Wiedererkennungsfiguren: Das Ehepaar Wurzel wirkt häufig zwanghaft in die Geschichte eingearbeitet, penetrant in seiner Präsenz, im Gegensatz zum Polizeiobermeister Hund (dargestellt von dem Berliner Kabarettisten Wolfgang Gruner), der durch unkonventionelles Auftreten Autorität hinterfragt, Hierarchien auf die Schippe nimmt, den Polizeiapparat persifliert und auf originelle Art und Weise den alten Werbespruch "Die Polizei – dein Freund und Helfer" verkörpert.

Fazit nach Sichtung der ersten drei Folgen: "Hals über Kopf" – zweifellos eine ambitionierte, kostspielige Fernsehserie, deren hoch gesteckte Ziele in der filmischen Umsetzung allerdings nur ansatzweise erreicht werden.

Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

 

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