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Ausgabe 40-4/1989

HARD ROAD

Produktion: The Children's Film Unit (CFU),London, Großbritannien 1988 – Regie: Colin Finbow – Drehbuch und Kamera: die Jugendlichen Will Grove-White, Leigh Melrose, Ben Wheeler, Leo Osterrith, Orlando Wells – Schnitt: Colin Finbow und die Jugendlichen – Musik: Dave Hewson – Darsteller: Francesca Camillo, Max Rennie, John Louis Mansi, Andrew Mulquin u. a. – Laufzeit: 93 Min. – Farbe – 16mm – Intern. Vertrieb: CFU, Berry Time Studios, Studio 4, 192 Queenstown Rd, Battersea, SW8 3NR London, Großbritannien

Für die Freundin seines Vaters ist der 13-jährige Max ein kleines Scheusal. Er simuliert immer neue Selbstmorde. Wenn Max jedoch seinen roten Ferrari, ein Geburtstagsgeschenk seines Vaters, poliert, ist er friedlich und selbstversunken. Er liebt jedes Stück dieses Autos. Kelly, ein gleichaltriges Mädchen aus der Nachbarschaft, kommt aus weniger begüterten Verhältnissen. In den Heften der Regenbogenpresse findet sie Stoff für Dramen, die sie dann als eigene Geschichten der Telefonseelsorge anvertrauen kann. In Gesprächen mit der Freundin vergleicht sie die Texte dieser Hefte mit der Wirklichkeit. Die Jungs aus der Umgebung schneiden dabei alle schlecht ab. Keiner kommt an ihren Traummann heran. In ihren Augen ist auch der kleine, schmächtige Max eher eine lächerliche Figur. Es sei denn, er stiege tatsächlich in "seinen" Ferrari und würde mit ihr losfahren.

So wird aus einer einfachen Provokation ein verbotener Ausflug in das Seebad Brighton. Wie zu erwarten, verläuft diese Fahrt nicht sehr geradlinig: Eine Party, in die die beiden hineingeraten. Die erste gemeinsame Nacht im Auto. Ein betrügerischer Tramper, der das Mitgefühl von Kelly ausnützt. Dies alles und die anderen Ereignisse zwingen die beiden Ausreißer immer mehr, ihre Ansprüche und Eitelkeiten, hinter denen sich ihre Schwächen und Ängste verbergen, aufzugeben. So wird aus der fast zufälligen Bekanntschaft allmählich eine Freundschaft, die zu Veränderungen führt. Dies zeigt besonders der Schluss dieses 93-minütigen Spielfilms. Für ihre gemeinsame Freiheit opfert Max "seinen" Ferrari und sprengt ihn in die Luft. Und Kelly, die Max in dem Auto vermutet, vergisst ihre Meinungsverschiedenheiten, ihr eigenes Cool-Sein und beginnt zu weinen. Als er dann doch völlig unverletzt plötzlich vor ihr steht, können sie sich endlich in die Arme fallen.

Der Film, in der Form eines Roadmovies erzählt, lebt von einer verblüffenden Authentizität. Deutlich wird dies in den Dialogen. Sie wirken direkt und spontan, so als wären sie unmittelbar aus der jeweiligen Situation heraus entstanden. Diese Dialoge, die oftmals lange Wortgefechte sind, geben den beiden Hauptpersonen aber auch die gleiche Wichtigkeit. Da auch in Kinderfilmen oft die Jungen mit ihren Fähigkeiten und ihren Problemen im Mittelpunkt der Handlung stehen, ist dieses gleichgewichtige Zusammenspiel der beiden ein (leider) seltenes Erlebnis.

Wie in vielen Filmen für Kinder und Jugendliche werden auch in "Hard Road" die Erwachsenen zu Klischees. Sie sind übermächtig – wie beispielsweise der Vater von Max und der zu dessen Verstärkung eingesetzte Psychiater. Oder sie hören, wie es oft Kelly empfindet, nie zu. Sie sind Wölfe im Schafspelz wie der betrügerische alte Tramper, der plötzlich eine Pistole zieht. "Hard Road" lässt diesen Klischees jedoch recht wenig Raum. Die Kritik an den Erwachsenen relativiert sich noch dadurch, dass das immer stärker werdende Selbstvertrauen der beiden jugendlichen Hauptpersonen im Mittelpunkt steht. Sie nehmen sich selbst am wichtigsten, und das macht den Film so spannend. Dazu gehört auch, dass ihre Musik gespielt und ihre Sprache gesprochen wird, und wahrscheinlich auch, dass das Kamera-Team aus fünf Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren bestanden hat.

Produziert wurde "Hard Road" von The Children's Film Unit, London. Diese Initiative bietet Kindern bis zu 16 Jahren die Möglichkeit, sowohl alles über das Filmemachen zu erfahren als auch an Spielfilm-Produktionen mitzuwirken. So können sie auf allen Ebenen des Films mitwirken, von der ersten Idee – auch das Drehbuch zu "Hard Road" stammt von Jugendlichen – bis zur endgültigen Realisierung.

Brigitte Tast

 

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Ausgabe 40-4/1989

 

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Brandauer, Karin - "Ich würde gerne für Kinder etwas erfinden, nicht nur Märchen, denn ich glaube, dass Kinder ein tolles Publikum sind"|

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Der Jugendfilm im neuen britischen Kino|


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