(Interview zum Film PETERCHENS MONDFAHRT)
KJK: Wie kamen Sie ausgerechnet zum Trickfilm?
Wolfgang Urchs: "Ich habe an der Kunstakademie studiert, aber Graphik allein war mir einfach zu statisch. Ich habe immer schon Spaß an Bewegungsakten gehabt, in der Schule hatten wir das 'Daumenkino' und das reizte mich schon damals ungeheuer. Und als Junge saß ich natürlich in jedem Disney-Film. Als ich nach dem Krieg an der Kunstakademie angefangen habe, war alles ziemlich trostlos, es gab kein Papier, überhaupt kein Material. Das war eine gute Gelegenheit, Zeichentrick zu machen. Aber es gab keine Folien. Da bin ich also mit der Schubkarre von Krankenhaus zu Krankenhaus gezogen und habe von den Röntgenabteilungen die belichteten Folien erbettelt. Mit diesen Dingern bin ich ganz glücklich nach Hause gefahren, habe die unterm Waschbecken abgewaschen, mit dem Bürolocher gelocht, also eine Schiene gemacht und mit einer alten Holzkamera dann gefilmt. Primitiver ging's eigentlich nicht."
Und wie ging's dann weiter?
"Später, als es dann alles wieder gab, lernte ich glücklicherweise Jack Jones kennen, einen alten Disney-Zeichner, bei dem habe ich assistiert, er hat mir Tipps gegeben. Dann habe ich meinen ersten Kurzfilm gemacht und sofort den Bundesfilmpreis für 'Gartenzwerge' erhalten."
Was hat Sie an "Peterchens Mondfahrt" gereizt?
"Während der Dreharbeiten zu 'In der Arche ist der Wurm drin' bot mir das ZDF den Stoff an. Ich war zunächst verblüfft, dass dieser Stoff nicht schon früher von einem Film-Menschen fürs Kino entdeckt worden ist, dass ich nicht selbst auf die Idee gekommen bin. Denn 'Peterchens Mondfahrt' ist für einen Zeichentrickfilm viel besser geeignet als für einen Realfilm. Natürlich habe ich sofort zugesagt."
Ist "Peterchens Mondfahrt" ein Kinderfilm oder ein Film, bei dem sich auch Erwachsene amüsieren?
"Ich mag dieses Schubladendenken nicht. In Amerika gibt es den Begriff 'Kinderfilm' nicht, man macht zwar Filme für die Kinder, aber immer so, dass auch Erwachsene ihren Spaß daran haben. Auch den Erwachsenen sollte man 'Bonbons' geben, Szenen, die ihnen gefallen. Ein Kinderfilm sollte für Kinder gemacht sein, aber so, dass auch die Eltern sich nicht langweilen. 'Peterchens Mondfahrt' ist ein richtiger Familienfilm."
Wie lange dauerten die Dreharbeiten?
"Zweieinhalb Jahre."
Vom ersten Zeichenstrich bis zum fertigen Film?
"Wenn man die Pre-Production mit dazu nimmt, kommt man auf drei Jahre. Es hängt viel Arbeit daran. Eine Sekunde hat 24 Bilder. Und wenn wir 1:2 rechnen, machen wir pro Sekunde 12 Zeichnungen. Aber wenn drei Figuren in der Szene sind, hängen drei Folien übereinander. Das Arbeitstempo hängt von der Zahl der Zeichner ab. Die Disney-Leute in Los Angeles arbeiten zurzeit an einer Produktion mit 340 Zeichnern."
Ist das nicht schwierig, wenn so viele Leute an diesen Charakteren bzw. Figuren herumarbeiten?
"Das ist schon ein Problem, besonders wenn die Leute dabei nicht routiniert im Zeichnen sind. Da kann sich das Porträt so schnell ändern, dass die Figur nicht wieder zu erkennen ist. Ein einziger Strich kann das Aussehen total verändern."
Zeichnet jeder an allen Figuren oder konzentriert sich der Zeichner in seiner Arbeit nur auf eine Figur?
"Wir versuchen zwar, einem bestimmten Zeichner eine bestimmte Figur zuzuordnen, aber das geht aus Zeitgründen nicht immer. Man nimmt dann natürlich einen Zeichner, der einen ähnlichen Strich hat."
Japaner arbeiten oft nur mit 8 Bildern pro Sekunde ... Ist das keine Konkurrenz für den europäischen Trickfilm?
"Wir nennen das limitierte Animation. Aber die geht nur fürs Fernsehen. Die Amerikaner machen das auch. Das macht das Ganze natürlich billiger. Aber fürs Kino benötigt man schon die Vollanimation, die durchgehende Animation."
Was war das Schwierigste bei den Dreharbeiten?
"Das alles zusammenpasst. Es gab natürlich immer wieder überraschende Situationen, an die wir nicht im Traum gedacht hatten. Zum Beispiel: Peterchen hat ein Schwert, Anneliese einen Korb. Plötzlich wird mir eine animierte Szene vorgelegt und Anneliese hat keinen Korb mehr. Der ist einfach vergessen worden. Was tun? Die Szene musste dann nachgezeichnet werden. Da kann man noch so ein präzises 'Staging' machen, das ist so etwas wie ein Storyboard mit verschiedenen Unterteilungen bezüglich der Phasen und Bewegungen, irgend etwas geht dann doch daneben ... Da muss man unheimlich aufpassen."
Wie realistisch müssen Trickfilme sein?
"Das ist eine Frage des Geschmacks. Wenn ein Trickfilm aber zu realistisch ist, wird er schnell langweilig."
Sie haben die Figuren entwickelt?
"Wir haben x-Mal alles umgeschmissen, hatten eine ganze Reihe von 'Anneliesen' und auch Peterchen änderte sich ständig."
Mit wie vielen Mitarbeitern entstand der Film ?
"Im Durchschnitt waren wir immer so ca. 30 Leute, also die 'Kreativen' wie Zeichner und Kameramänner. Die Amerikaner Greg Manwaring und Ron Hughart aus Los Angeles hielten mich für völlig verrückt, eine so große Produktion mit einem so kleinen Team schaffen zu wollen. Bei den Amerikanern, die auf diesem Gebiet ja professionell arbeiten, zeichnet ein Chefzeichner im Monat sieben Sekunden Film. Das machten wir oft an einem Tag."
Welche Aufnahmetechnik haben Sie angewandt?
"Alles Einzelbildtechnik. Frame by Frame. Mit Computer haben wir überhaupt nicht gearbeitet."
Wie würden Sie Ihre Arbeit im Unterschied zu Walt Disney sehen?
"Der Unterschied liegt im Wesentlichen im Budget. Mit 20 Millionen Dollar können Sie natürlich die besseren Zeichner engagieren, können bessere Technik anschaffen, höhere Gagen zahlen. Ich glaube nicht, dass hier bei uns die Leute über weniger Fähigkeiten verfügen, nur wir können's nicht bezahlen. Es ist eine Geldfrage. Wenn man uns Zeit lässt und eine ähnliche finanzielle Ausgangsbasis zur Verfügung stellt, können wir auch auf dem Weltmarkt konkurrieren. Die Leute sind ja da. Von mir sind die besten Zeichner jetzt in London. Da zahlt man das Dreifache von dem, was wir zahlen."
Wo liegen die Grenzen zwischen künstlerischem Zeichentrickfilm und kommerziellem, gibt es da überhaupt einen Unterschied?
"Da gibt es Unterschiede. Der kommerzielle Trickfilm muss sich an bestimmte Spielregeln halten, beispielsweise bei der Länge, dem Rhythmus oder der Schnittfolge. Auch die Gestaltung der Figuren ist quasi vorgegeben. Jeder muss die Figuren verstehen, der Bösewicht muss böse sein, der Gute hat lieb auszuschauen, die ganzen Klischees kommen dann zum Tragen. Der künstlerische Zeichentrickfilm fängt damit an, dass er sich von diesen Klischees freimacht. Wie weit das geht, das ist Sache des einzelnen Machers. Der künstlerische Zeichentrickfilm ist frei von Zwängen, man sieht ihn nicht in den Kinos. Aber er ist vorhanden."
Würden Sie Trickfilm als Kunst, Unterhaltung oder Kommerz bezeichnen?
"Es ist wie bei der Malerei, die beinhaltet ja auch diese drei Bereiche. Mich wundert es, dass die Kunstakademien diese Sparte fast völlig vergessen und keine Klassen dafür einrichten. Auch die Filmhochschulen vernachlässigen dieses Genre. Zeichentrickfilm kann viel mehr als Realfilm. Er führt in eine ganz andere Welt. Zu Beginn des Films war der Trickfilm ebenbürtiges Element. Denken Sie nur an Meliès. Damals fand man eine Symbiose zwischen Trick- und Realfilm. Es ist tragisch, dass der Realfilm dann in die Gleise des Theaters gerutscht ist und die eigentlichen Möglichkeiten des Mediums Film ganz vergessen hat. Ein Realfilm ist in der Entstehung schneller, setzt auch schneller Geld um."
Inwieweit floss bei "Peterchens Mondfahrt" der Zeitgeschmack mit ein?
"Eigentlich gar nicht."
Haben Sie sich strikt an die literarische Vorlage gehalten?
"Das großmaschige Gerüst war die Geschichte von Gerdt von Bassewitz. Aber wir sind dann immer wieder etwas durchgeschlüpft. Die Milchstraße haben wir um einige Elemente erweitert, einige Figuren kamen hinzu wie 'Der Zufall' oder der 'Kleine Schmetterling'."
Ist "Peterchens Mondfahrt" eine Produktion fürs Kino, also für die große Leinwand, oder mehr fürs Fernsehen, den kleinen Bildschirm?
"Er ist in erster Linie schon für die große Leinwand konzipiert."
Wie wurde der Rhythmus der Schnittfolgen entwickelt?
"Wo es Action gibt, dominieren natürlich kurze Schnittfolgen, bei den lyrischen Passagen, wie bei der Schlittenfahrt, ist es dann wieder ruhiger. Ich bin der Meinung, wenn Action ist oder Kampf, dann muss man einen Krimi-Schnitt machen, also schnell."
Was ist Ihre Lieblingsfigur bei "Peterchens Mondfahrt"?
"Sandmann und Sumsemann, die lassen sich gut animieren. Bei manchen Figuren hat man einfach Freude, wenn man sie zeichnet. Bei anderen scheut man sich, ans Zeichenbrett zu gehen. Kinder wollen im Zeichentrick skurrile Figuren sehen und nicht andere Kinder, die noch nicht einmal real sind. Das haben wir berücksichtigt und versucht, eine Phantasie-Welt zu schaffen, die die Phantasie anregt, Spannung vermittelt und so richtig Spaß macht."
Interview: Margret Köhler
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