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Ausgabe 81-1/2000

"Wir haben über die Jahre eine eigene Welt aufgebaut"

Ein Gespräch mit Thilo Graf Rothkirch, Geschäftsführer der Berliner Cartoon Film, über die Zeichentrickfilme "Tobias Totz und sein Löwe" und "Der kleine Eisbär"

(Interview zum Film TOBIAS TOTZ UND SEIN LÖWE und zum Film DER KLEINE EISBÄR)

Mit dem zwölf Millionen Mark teuren "Totz"-Trickfilm hat die Berliner Cartoon Film in den deutschen Kinos einen beachtlichen Erfolg erzielt: Binnen acht Wochen lockte er rund 510.000 Zuschauer an. Nach dieser Premiere setzen Cartoon und der Großverleih Warner Bros. die bewährte Zusammenarbeit fort. In Berlin hat bereits die Produktion der Zeichentrickverfilmung des "Kleinen Eisbären" begonnen, die im Herbst 2001 auf die deutschen Leinwände kommen soll. Reinhard Kleber sprach über beide Projekte mit Thilo Graf Rothkirch.

KJK: Wie haben Sie es geschafft, deutsche Fernsehstars wie Jürgen von der Lippe, Hape Kerkeling, Ingolf Lück, Mirco Nontschew oder auch Nena als Sprecher der Figuren in "Tobias Totz" zu gewinnen?
Thilo Graf Rothkirch: "Es hat uns selbst sehr gefreut, dass wir das hinbekommen haben. Da haben verschiedene Faktoren zusammengewirkt. Zunächst einmal die Präsenz von Warner. Klar ist: Wenn Warner einen Film herausbringt, hat das von vornherein einen Stellenwert für die Öffentlichkeit, auch für die Stars. Natürlich wollten die alle die Geschichte lesen und Beispiele sehen. Ich denke, Geschichte und Beispiele haben überzeugt."

Wie kommt das Titellied von Nena beim Publikum an?
"Es fängt jetzt an, in den Hitparaden zu wirken. Nena war früher ein großer Star. In der Zwischenzeit hat sie vier Kinder bekommen und sich als Familienmensch mit Leib und Seele darum gekümmert. Zuletzt hat sie CDs mit Kinderliedern aufgenommen. Nena steht jetzt vor der Entscheidung, ob sie mit 36 Jahren noch mal als Rocklady groß rauskommen will. Wir haben sie überzeugen können, dieses Lied zu singen, obwohl es eher eine Popballade ist."

Welche Rolle spielt das Merchandising für die Finanzierung?
"Keine. Der Film wurde im Wesentlichen finanziert durch die Förderungen. Das sind FFA, Filmboard Berlin-Brandenburg, die Filmförderungen in Bayern und Hamburg, die flämische Filmförderung sowie die Verleihgarantie von Warner. Die Merchandising-Rechte liegen bei Ravensburger. Sie konnten nicht in die Finanzierung einfließen und auch nicht als Recoupment."

Hat Ravensburger eine größere Palette von Produkten herausgebracht?
"Ja. Ravensburger und wir haben den Baumhaus Verlag kontaktiert. Dieser Verlag hat durch seine Verbindung zur Achterbahn AG erstens etwas mit Zeichentrick zu tun und macht zweitens mit uns Fernsehserien nach Kinderbuch-Bestsellern. Baumhaus ist sehr rührig und hat Plüschfiguren gemacht, das Buch zum Film, eine Hörspiel-CD und Lesezeichen. Das Buch hat sich 25.000 Mal verkauft. Mittlerweile wird eine dritte Auflage gemacht."

Wie war die Presseresonanz auf den Film?
"Es gab sehr viele Pressestimmen. 95 Prozent der Rezensionen waren positiv. Man liest natürlich vor allem auch die negativen sehr genau."

Welcher Sender strahlt denn den Film in Deutschland aus?
"Warner hat die deutschsprachigen TV-Rechte und hofft, dass wir ein gutes Kinoergebnis erzielen, um sie dann meistbietend zu vergeben."

Ist eine Kinoauswertung im Ausland geplant?
"Warner will fremdsprachige Fassungen herstellen, wenn der Film in Deutschland gut läuft. In erster Linie fürs Fernsehen und im Internet, in zweiter Linie für Video. In dem einen oder anderen Fall wird man darüber reden, ob der Film nicht auch im Kino starten kann. Da unser belgischer Koproduktionspartner aus Flandern kommt, läuft der Film dort auch im Kino. Warner denkt in unserem Sinne: Die Chancen, die Fördergelder und Eigeninvestitionen zurückzubekommen, sind am größten über TV und Video."

Warum lag Ihnen die Verfilmung des "Totz" so am Herzen?
"Bei 'Totz' ist der Mut da gewesen, mal etwas jenseits des Disney-Stils zu machen. 'Totz' hat ein ganz eigenes Design und ist ein quasi unbekannter Stoff. Die Überlegungen, einen Erfolg zu landen, beruhen nicht auf bekannten Büchern, wie etwa bei 'Werner' oder 'Asterix'. Totz ist eine Figur, die originär hier entstanden ist. In dem Dorf, in dem mein Bruder und ich aufgewachsen sind, gab es einen Tierwärter mit Namen Friedrich Totz. Das Dorf heißt Hainhausen und liegt bei Bakel in Westfalen. Der Sohn Willi Totz war unser beider Freund. Und mein Bruder heißt bezeichnenderweise Löwe. Als er so Mitte zwanzig war, hat er einem Mädchen einen Brief geschrieben mit einer kleinen Geschichte, der Geschichte von Tobias Totz und seinem Löwen.
Diese Geschichte habe ich beim Strandurlaub in Dänemark aufgegriffen und illustriert. Daraus ist dann ein Bilderbuch geworden, die Vorlage für die Sandmännchen-Fernsehserie. Aus dieser tiefen Beschäftigung mit Totz ist letztlich auch der Kinofilm entstanden. Das heißt, wir haben über Jahre eine Welt aufgebaut. Und ich finde es fantastisch, dass diese Welt plötzlich so einen Stellenwert bekommt, dass Warner Bros. und die Förderer den Mut hatten, diese Welt mitzufinanzieren und dass diese Stars mitgemacht haben.
Wir haben in der deutschen Produzentenlandschaft eine Sonderstellung, weil wir als Produzenten noch unabhängig sind. Wir sind nicht Strohmänner für Verleihe. Wir sind Partner der Verleihe, wir haben Rechte an unseren Filmen. Dass diese Kombination gelungen ist – ein unabhängiger Produzent produziert einen ureigenen Stoff – begeistert mich. 'Tobias Totz und sein Löwe' ist eigentlich der Höhepunkt meines Schaffens. Ohne die Co-Produzenten Bioscop Film, Munich Animation und Stupid Studio wäre allerdings die Finanzierung und Realisierung nicht möglich gewesen."

Kann man sagen, dass "Totz" Ihre Karriere begleitet hat?
"Ja. Mein Berufsweg war bestimmt durch 'Totz'. Nachdem ich bei Dr. Fischerkösen in Bonn gearbeitet hatte, habe ich mich selbstständig gemacht. Und die erste Fernseh-Serie für das Sandmännchen, die ich gemacht habe, war 'Totz'. Später habe ich mit Ravensburger und dem SWR eine Animationsserie mit 'Totz' hergestellt."

Können Sie die Rolle von Warner in dem Projekt erläutern?
"Warner hat gespürt, dass es etwas Eigenständiges ist. Die waren die ersten, die das Konzept von 'Totz' vorgeführt bekommen haben. Warner war der Wegbereiter, damit die Förderer überhaupt Interesse gefunden haben. Für 'Totz' 2,5 Millionen Mark vom Filmboard zum Beispiel zu bekommen, das ist harte Überzeugungsarbeit. Aber es hat funktioniert."

Wie weit ist die geplante Verfilmung des "Kleinen Eisbären"?
"'Der kleine Eisbär' ist ja ein Kinderbuch-Welterfolg. Die fünf oder sechs Bücher werden mittlerweile in aller Welt verkauft. Ende der 80er-Jahre haben wir begonnen, 26 Fünfminüter für die 'Sendung mit der Maus' herzustellen. Es lag in der Logik der Sache, danach auch einen 'Eisbär'-Kinofilm zu drehen. Der Nordsüd-Verlag wusste, wie wertvoll die Rechte sind. Die Verhandlungen über die Rechte haben sage und schreibe sieben Jahre gedauert. Mit Hilfe von Warner ist das Projekt jetzt endlich unter Dach und Fach, das heißt, es ist voll finanziert. Die letzte Förderung, die wir bekommen haben, stellte das BKM bereit. Wir arbeiten an der Pre-Production. Der Storyboard-Film liegt zu zwei Drittel vor."

Wie hoch ist das Budget?
"Es liegt bei 20 Millionen Mark. Das Projekt ist damit sehr hoch angesiedelt, ähnlich wie 'Asterix'. Auch 'Die Furchtlosen Vier' lagen in dieser Größenordnung. Unser Ziel ist es, einen Film zu machen, der mit Hilfe von europäischen Kräften in Deutschland produziert wird."

Es handelt sich also um eine rein deutsche Produktion?
"Ja, Cartoon Film ist Hauptproduzent. Warner ist unser Koproduzent, aber wir sind der ausführende Produzent."

Welche Rolle spielte das Kuratorium junger deutscher Film?
"Es spielte eine große Rolle, weil es den 'Eisbär' als erste Stelle gefördert hat. Ich habe mich über die Projektförderung gefreut und denke, das Kuratorium hat gespürt, dass man bei einem Kinderfilm auch auf den Erfolg achten muss. Schließlich nutzt jeder erfolgreiche Film auch dem Förderer."

Welche Techniken werden eingesetzt?
"Wir produzieren wie bei 'Totz'. Die Figuren werden nach traditioneller Machart animiert. Die Animation ist das Werk des Verstandes und der Kreativität des Zeichners. Alles andere wird im Computer eingegeben. Die Hintergründe werden traditionell gemalt und danach – wie auch die Schwarzweiß-Zeichnungen – eingescannt. Und der Computer füllt dann die Figuren, macht die Kamerabewegungen, stattet alles mit Spezialeffekten aus. Außerdem macht er die 3-D-Animationen für Eisspiegelungen, Wasseroberflächen und kleine Bewegungen; vor allen Dingen wird das 'schwarze Schiff' in 3-D produziert."

Wann beginnt die heiße Phase der Produktion?
"Die konkrete Produktion hat schon begonnen. Der Film soll fertig sein im Frühsommer 2001 und im Herbst in die Kinos kommen."

Wird der Kino-'Eisbär' so aussehen wie der TV-'Eisbär'?
"Unsere Grundlage sind die Bücher, die vom Stil her umgesetzt werden müssen. Da wir aber für die große Leinwand arbeiten, müssen die Hintergründe mehrdimensional angelegt werden. Wir brauchen räumliche Tiefe und schaffen dadurch auch Atmosphäre. Die Figuren müssen zudem im Detail funktionieren. Jedes Haar muss, übertrieben gesagt, einen Ausdruck haben. Im Vergleich zur TV-Serie wird der Standard der Animation noch wachsen. In der Serie arbeitet man mit acht bis zehn Phasen pro Sekunde, beim Kinofilm muss man mit der doppelten Anzahl rechnen. Der Aufwand ist immens, damit so ein Film einen internationalen Standard bekommt."

Wird sich die Kinofilmstory an eines der Bücher anlehnen?
"Beim 'Eisbären' ist es so, dass das erste Buch immer noch das erfolgreichste ist. Das erste Buch zeigt die ganze Philosophie der Eisbärwelt. Es gibt den kleinen Lars, der ein tolles Verhältnis zu seinen Eltern hat, er träumt sehr gern und ist neugierig. So gerät er auf eine Eisscholle, die weggetrieben wird. Er landet auf einer Tropeninsel, wobei man nicht weiß, ist das Traum oder Realität. Das macht im Grunde auch den Film aus. Wir zeigen die reale Eisbärwelt am Pol und wir lassen Lars träumen. Als neues Element erzählen wir die unmögliche Freundschaft zwischen Lars und einer kleinen Robbe."

Der "Kleine Eisbär" ist ja in der Sendung mit der Maus gelaufen. Wird denn die ARD später auch die Kinofassung ausstrahlen?
"Der WDR ist Partner in diesem Filmprojekt. Er hat die Fernsehlizenz und wird den Film auch optimal einsetzen. Der WDR war es ja auch, der den 'Eisbär' für die deutsche Fernsehlandschaft entdeckt hat. Wir werden etwas zeitversetzt zum Produktionsstart des Kinofilms übrigens auch eine eigenständige Fernsehserie für Warner und den WDR produzieren. Sie beruht auf eigenen Geschichten, die jedoch die Welt des Kinofilms fortsetzen."

Arbeiten Sie dabei mit den gleichen Studios zusammen wie bei der Kinofassung?
"Ja. Wenn etwa die Pre-Production für den Kinofilm abgeschlossen ist, beginnt sie für die Serie. Sobald die Animatoren mit dem Kinofilm fertig sind, können sie nahtlos bei der Serie weiter arbeiten. Die TV-Serie könnte dann ein halbes Jahr nach dem Kinofilm starten."

Wie viele Mitarbeiter haben Sie in Berlin?
"Hier sind es etwa 70 Mitarbeiter. Insgesamt werden jedoch rund 200 Mitarbeiter für das Projekt tätig sein. Allein in Hamburg und Halle sind es insgesamt 110. Cartoon Film hat auch ein Studio in Bottrop gegründet, wo bis zu 20 Animatoren arbeiten. Wir haben dort eine Studiogemeinschaft mit dem Unternehmen Animagix, das mit dem Animo-System die gesamte Computerendbearbeitung des Films übernimmt."

Interview: Reinhard Kleber

 

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