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Ausgabe 83-3/2000

"Kinder sind authentisch, spontan, unfrustriert – einfach Klasse"

Gespräch mit Franziska Buch, Drehbuchautorin und Regisseurin der Neuverfilmung von "Emil und die Detektive" (Drehbeginn: 18. Juli 2000 in Berlin)

(Interview zum Film EMIL UND DIE DETEKTIVE – 2000)

KJK: Was haben Sie heute gemacht?
Franziska Buch: "Motive gesucht. Die Hauptmotive sind da. Der Film spielt auf den Straßen von Berlin, Straßen mit Autofahrten, Verfolgungsjagden, Straßen, in denen Kinder laufen. München ist im Vergleich dazu eher dörflich. Berlin ist eine Metropole, eine sich ständig und jäh verändernde Stadt. Wir wollen auch dieses Berlin im Aufbruch einfangen, ein Querschnitt durch das alte und das neue Berlin, vieles auch im Osten, die vitale Infrastruktur dieser Stadt."

Bei Erich Kästner kommt Emil aus dem fünfzig Kilometer entfernten Neustadt an der Dosse, und bei Franziska Buch?
"Er kommt aus Streiglitz, einem Städtchen in der Nähe der Ostsee."

Was ist geblieben von Kästner?
"Das rudimentäre Konstrukt, dass Emil sein Geld gestohlen wird (die Rolle dieses dubiosen Herrn Grundeis ist mit Jürgen Vogel besetzt). Ansonsten hat sich viel verändert. Es ist nicht der Versuch, einen sehr guten Roman zu verbessern, sondern die Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen zeitgenössischer abzufassen. Hinzu kommt, dass der ursprüngliche Emil aus einer Kleinstadt in die pulsierende Großstadt kommt mit Autos, Straßenbahnen, Telefon, für Kästners Emil völlig überwältigend. Das funktioniert ja heute so nicht mehr ..."

Aus welchem familiären Hintergrund kommt Emil? Spielt der eine Rolle in Ihrem Film?
"Eine wesentliche. Emil ist der Sohn eines alleinerziehenden Vaters, die Mutter ist zu einem anderen Mann gezogen. Der Vater versucht seit langer Zeit vergeblich Arbeit zu finden. Dieses ganze Milieu spielt auch im Sinne von Kästner eine große Rolle, die Armut. Mit Hilfe seines Sohnes bekommt er endlich eine Arbeit, zu der er einen Führerschein braucht. Er baut einen Unfall, liegt im Krankenhaus. Der Führerschein ist weg, Emil unterschlägt den Brief und will seinem Vater helfen."

Zu wem geht er nach Berlin?
"Sein Lehrer schickt ihn zu seiner Schwester nach Berlin-Zehlendorf, der engagierten Pastorin Hummel (gespielt von Maria Schrader). Dort kommt er nie an ... Die Kinderbande schickt – während sie sich auf die Jagd nach dem Dieb macht – einen anderen 'Emil', ein Kind, dem es schlecht geht. Ein rumänischer Junge, der sich dort einnistet, zum Ärger von Gustav, ihrem Sohn, der diesen falschen Emil instinktiv hasst, weil die Mutter ständig Sozialfälle nach Hause bringt. Er wittert auch, dass etwas nicht stimmt."

Ein Handlungsnebenstrang, der verknüpft wird?
"Eine komödiantische Nebenstory, nicht idealisiert. Aber alles geht auf – in einer unglaublich großen Solidarität über alle Schichten und Verschiedenheiten hinweg. Sie bilden eine Solidargemeinschaft, um den Kindern zum Recht zu verhelfen."

Ist das Ihr erster Kinderfilm?
"In 'Verschwinde von hier' spielen Kinder zwar die Hauptrolle, in 'Die ungewisse Lage des Paradieses', meinem ersten Spielfilm, hat ein Mädchen die Hauptrolle, aber es sind keine Kinderfilme."

Sie haben also Erfahrung mit Kindern beim Drehen – bald auch mit Kinderfilm ...
"Ich denke, ich hoffe – ich arbeite sehr gern mit Kindern. Sie haben Authentizität, Spontaneität, sind unfrustriert, Kinder sind einfach Klasse."

Woher kommen die Kinder für Emil?
"Aus Berlin, Hamburg, Köln, München. Emil kommt aus Potsdam, blond ist er nicht, aber er ist ein Kästner'scher Junge, denn er ist auch ernsthaft und hat gelernt Verantwortung zu übernehmen, ein sehr moderner Junge."

Von welchen Filmen wurden Sie als Kind geprägt?
"Ich bin mehr von Kinderbüchern als von -filmen geprägt worden. Wenn ich meine Lieblingsbücher verfilmt sah, war ich immer enttäuscht. 'Pippi' von Astrid Lindgren war schon ganz wichtig für meine Welt, ein Meilenstein nicht nur der Kinderemanzipation, sondern auch der Frauenemanzipation."

Emil kommt ja nicht aus Kinderwelten, wie sie Astrid Lindgren geschrieben hat ...
"Emil – das ist die klassische Situation, wie bei Rotkäppchen. Er versucht, den Führerschein für seinen Vater zurückzubekommen und begibt sich in eine gefährliche dunkle Welt ... Die Idee, seinen Vater retten zu können – und sich für eine Sekunde ganz unschuldig auf einen schlechten Menschen einzulassen – stürzt ihn in das Abenteuer seines Lebens. Er macht einen Erfahrungsprozess, wird erwachsener und findet, wonach er sich gesehnt hat: Freunde fürs Leben."

Wie viel Geld wird Emil gestohlen?
"1.500 Mark, die Emil aus der 'Zukunftskasse' genommen hat."

"Emil" und "Das fliegende Klassenzimmer" – die Bavaria hat die Rechte. Hatten Sie die Wahl zwischen diesen beiden Projekten?
"Man hat mir 'Emil' angeboten. 'Emil' ist eins meiner Lieblingsbücher von Kästner, auch 'Pünktchen und Anton' ..."

"Pünktchen und Anton" von Caroline Link sind echte Kinderfreunde ohne erste zarte Gefühle füreinander. Wie ist es zwischen Emil und Pony Hütchen?
"Anfangs kabbeln sie sich. Romanze ist zu viel gesagt, aber sie kommen sich auch sehr nahe, weil sie beide Konflikte mit ihren Eltern haben. Sie stehen füreinander ein."

"Emil und die Detektive" von Franziska Buch – was für ein Film ist zu erwarten?
"Emil erlebt noch ein bisschen mehr als bei Kästner, turbulente Abenteuer, die den Bedürfnissen und Sehgewohnheiten der Kinder von heute entsprechen, mehr Spannung und Action, auch komödiantischer."

Fühlen Sie sich frei beim Drehen? Spricht Bavaria mit?
"Da 'Emil' ein teurer Film ist, sind die Produzenten engagiert. Alle wichtigen kreativen Entscheidungen treffen wir einvernehmlich."

Sie erstellten vier Drehbuchfassungen. War das frustrierend?
"Die Drehbucharbeit empfand ich als produktiv und anregend, eine gute Zusammenarbeit. Uschi Reich ist eine kompetente Partnerin. Da habe ich schon anderes in meiner Laufbahn als Autorin erlebt."

Sie haben an der Münchner Filmhochschule studiert, wie ging es weiter?
"Mein Abschluss war ein Kinospielfilm, dann arbeitete ich einige Jahre hauptsächlich als Autorin, denn ich schreibe auch sehr gern, erhielt ein Stipendium in der Drehbuchwerkstatt, schrieb einige Jahre ausschließlich, bekam mein Kind, das heute fünf Jahre alt ist."

Spielt Ihre fünfjährige Tochter bei Emil mit, wie viele Kinder von Müttern, die in den Ferien Filme drehen?
"Nein, mein Mann macht auch Filme, wir wechseln uns ab. Jetzt bin ich dran."

Caroline Links "Pünktchen und Anton" sahen über 1,5 Millionen Zuschauer, ein großer Erfolg. Eine schwere Hypothek für Sie?
"Ich versuche mich von dem Erwartungsdruck freizumachen. Es ist das Ziel, Familienentertainment zu machen, Filme, in die Eltern ihre Kinder begleiten und ein ebenso großes wenn auch anderes Vergnügen haben wie ihre Kinder. Wenn ich beim Drehen schon an die Quote denke, dann blockiere ich mich."

Die Besetzung der Erwachsenen ist hochkarätig – Jürgen Vogel, Maria Schrader, Kai Wiesinger. War es schwierig, sie für einen Kinderfilm zu gewinnen?
"Nein, sie alle wollten Filme für ihre Kinder machen. Ich auch. Denn ich mache den Film auch für meine Tochter. Ich habe bei der Geburt versprochen, dass ich ein Buch für sie schreibe und einen Film für sie drehe. Das tue ich jetzt. Und ich finde das ganz toll, dass meine Tochter mit ihren Freunden sich das dann anschauen kann ..."

Mit Franziska Buch sprach Gudrun Lukasz-Aden

 

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