Produktion: Amadeo Pagani Classic / Nisarga / Paradis Film; Argentinien / Italien / Frankreich 1999 – Regie: Marco Bechis – Buch: Marco Bechis, Lara Fremder – Kamera: Ramiro Civita – Schnitt: Jacopo Quadri – Musik: Jacques Laederlin – Darsteller: Antonella Costa, Carlos Echevarria, Dominique Sanda, Chiara Caselli, Paola Bechis u. a. – Länge: 98 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Adriana Chiesa Enterprises, Via Barnaba Oriani 24a, I-00197 Roma, Tel.: 0039 – 068 070 400, Fax: 0039 – 068 068 7855 – Altersempfehlung: ab 16 J.
Historischer Exkurs
24.03.1976: Unter Führung der Generäle Jorge Videla, Emilio Massera und Orlando Agosti übernimmt das Militär mit einem Putsch die Macht in Argentinien. In den folgenden Jahren werden dieser Junta bis 1982 zigtausende Menschen zum Opfer fallen: 10.000 werden offen ermordet, 30.000 "verschwinden" und mindestens 20.000 sitzen als politische Häftlinge in den Gefängnissen. Über das Schicksal der Verschwundenen wird man vermutlich nie Genaues erfahren. Nur soviel ist sicher: Wie 1998 ein hoher Offizier im Radio gestand, wurden ihre Leichen aus Transportflugzeugen ins offene Meer geworfen. Eines der Opfer der Diktatur ist der junge chilenischstämmige Marco Bechis, der im berüchtigten Club Atlético – die Militärs hatten eine zynische Vorliebe dafür, ihre Folterzentren an ganz gewöhnlichen Orten einzurichten – gefoltert wird, nur knapp dem Tod entkommt und dann ins Exil gehen muss. Das "Verschwinden"lassen hatten die Argentinier von ihren chilenischen "Kollegen" um Pinochet (und deren CIA-Ausbildern) gelernt. Es hat mehrere "Vorteile": Man muss keine Rechenschaft über seine Opfer ablegen, kann im Gegenteil sogar behaupten, diese seien Opfer der "Subversion". Zudem verbreitet man auf diese Weise Terror in weiten Kreisen, denn eine Leiche ist immer noch erträglicher als die jahre-, ja jahrzehntelange Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen, Freunden, Partnern und Genossen.
Der Film
Die Kamera fliegt über dem Meer; offenbar befinden wir uns in einem tief fliegenden Flugzeug. Aus dem Off ertönt ein Radio. /Schnitt/ In einem Linienbus übergibt ein junger Mann einer jungen Frau ein Paket. Dieses wird sie kurze Zeit später im Haus eines Militärs, mit dessen Tochter sie befreundet ist, unter dessen Bett deponieren. – Sehr viel später wird die im Paket befindliche Bombe ihr Opfer finden: Es ist der Offizier, der das Abwerfen der Leichen über dem Meer organisiert. /Schnitt/ Die 18-jährige Maria erteilt Analphabeten in einem Armenviertel Unterricht im Lesen und Schreiben. Sie kehrt nach Hause zu ihrer Mutter zurück, mit der sie eine große Villa bewohnt, wo sie einige Zimmer untervermietet haben. Einer dieser Untermieter ist der zurückhaltende Felix, der sich in Maria verliebt hat und angeblich in einer Autowerkstatt arbeitet. Eines Morgens überfällt die Militärpolizei das Haus und verschleppt Maria in die berüchtigte Folterzentrale Garage Olimpo. Doch Maria schweigt beharrlich.
Währenddessen versucht ihre Mutter draußen vergeblich, etwas über das Schicksal ihrer Tochter zu erfahren. Da nützt ihr auch ihre französische Staatsangehörigkeit wenig. Im Gegenteil: Sie wird liquidiert. ("Die Militärjunta garantiert Leben, Besitz und Interessen der im Lande niedergelassenen Ausländer", hieß es im Kommuniqué Nr. 1 der Junta.) Derweil setzen die Folterer ihren besten Mann auf Maria an. Es ist ausgerechnet Felix, der bislang noch jede/n zum Sprechen gebracht hat. Marias einzige Chance und zugleich ihr schlimmster Feind. Dies ist der Beginn einer unvorstellbaren Beziehung: Maria gibt sich ihm hin und er verschafft ihr dafür Vergünstigungen und versucht, seine schützende Hand über sie zu halten. Seinen "Job" vergisst er dabei jedoch nie. Doch am Ende wird es ihr nichts nützen: Auch sie wird als Leiche im Meer enden.
Über diesen Film kann ich nicht schreiben wie über andere. Denn die "schmerzhafte Reise" (Marco Bechis) geht in ihrer Darstellung der faschistischen Folter- und Mordmaschine der Militärs bis an die Grenzen des Erträglichen; aber nie darüber hinaus. Weil ich wusste, was mich erwartete, hatte ich in Frankfurt wirklich erheblichen Respekt vor dem Film. Ja ich gebe zu, ich musste sogar einmal während des Films vor die Tür gehen: Nicht nur, weil die Bilder so schwer erträglich waren, sondern vor allem, um mich zu vergewissern, dass es da draußen noch eine wirkliche Welt gibt, Normalität, Abendstimmung, Freiheit. Denn Bechis' Film ist genau auf den Punkt geschrieben und inszeniert. Eins fügt sich ins andere. Das Radio vom Beginn bekommt alsbald einen Sinn: Um die Schreie ihrer Opfer zu übertönen, stellten sie vor jeder "Sitzung" das Radio an. Die Maschine war organisiert wie eine Fabrik: Vor Arbeitsantritt betätigten die Folterer eine Stechuhr. Es gab Schichten und Urlaub wie in einer gewöhnlichen Autowerkstatt. Alles Mechanismen, um sich das, was man tut, vom Leibe zu halten, sich nicht damit zu befassen. Dabei waren die Folterer Überzeugungstäter, die sich ähnlich wie die Nazis noch an ihren Opfern bereicherten: Felix hat zu Hause ein ganzes Warenlager mit den persönlichen Habseligkeiten derer, die ihm zum Opfer fielen.
Bechis ist ein extrem finsterer Film gelungen, der das Folterzentrum nur selten verlässt. Und auch dann gibt es keine Erholung, keine Entspannung. Selbst der Moment der Liquidierung eines Verantwortlichen, der einem ja sonst ein Gefühl von "endlich hat es eins der Schweine erwischt" gibt, ist hier jeden Triumphes beraubt. Weiß man doch, dass – so richtig der Anschlag auch ist – er die Maschine kaum stoppen kann. Einer der heftigsten Momente des Films ist ausgerechnet jener, als Felix "seine" Maria in die Stadt ausführt. Um die beiden herum herrscht die alltägliche Geschäftigkeit einer Großstadt. Und doch sind die zwei wie von einer Blase umgeben: Sie nehmen das Gefängnis immer mit; vor allem für Maria gibt es kein Entkommen. Die Stärke von Bechis' intensivem – und nie voyeuristischem – Drama liegt genau in diesen Momenten: Wenn wir tief eindringen in die Psyche der Opfer, er uns im Sinne des Wortes mitleiden lässt und teilhaben lässt an dieser Tortur, diesem Trip in die Hölle, der zeigt, was Menschen Menschen antun können. Das ist sicherlich auch ein Verdienst der authentischen Darstellungen. Diese unterstützte Bechis unter anderem dadurch, dass er ohne vorgefertigtes Drehbuch arbeitete; also auch die SchauspielerInnen nicht so genau wussten, was sie am jeweiligen Drehtag erwartete. Vielleicht hätte er sonst auch keine Darstellerin für seine Maria gefunden. Denn sich in diesem Ausmaß demütigen zu lassen – und sei es noch so sehr "nur" ein Spiel – verlangt viel Mut.
Nachbemerkung
Die Zeit der Diktatur ist in Argentinien selbst heute noch tabu. So ist es kein Wunder, dass der Film im Land selbst nur 30.000 Zuschauer fand. "Durch einen merkwürdigen Zufall ist die Zahl der Zuschauer in etwa die gleiche wie die geschätzte der Verschwundenen. Für mich ist jeder dieser Zuschauer so viel wert wie 10 oder 20 Zuschauer eines Kommerzfilms. Ich fühle großen Respekt für jeden dieser 30.000. Die argentinische Gesellschaft ist exakt wie von einem Hieb mit der Axt getrennt. Es gibt diejenigen, die solidarisch sind sowie die, die direkt oder indirekt Opfer waren. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die sich gedrückt haben. Es gibt keine Verbindung zwischen diesen beiden Gruppen, die weiterhin nebeneinanderher existieren wie parallele Welten, so wie die oben und die unten in Garage Olimpo" (Marco Bechis in einem Brief).
"Als ich Garage Olimpo sah, stellte ich mir vor, von Folterern umgeben zu sein." (Aus der E-Mail eines Freundes des Filmemachers) Besser kann man es kaum sagen: Der Film zeigt nicht einfach nur, wie es war und andernorts immer noch ist. Er nimmt einen mit und das im doppelten Sinne. Man leidet mit den Opfern; nicht abstrakt, sondern ganz konkret. Denn immer wenn ich dachte: Nein, ich halte es nicht mehr aus, ich geh' raus, dachte ich zugleich: Wie kannst du gehen? Du bist doch nur Zuschauer. Sie haben es erleben müssen.
Insofern ist der Preis der Jugendjury bei LUCAS 2000 eine mutige und auch richtige Entscheidung. Wer da von "vorauseilendem Gehorsam" (wörtliches Zitat) aus angelernter political correctness redet, der hat überhaupt nichts verstanden. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich für dieses Werk auch ein engagierter Verleih findet.
Lutz Gräfe
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