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Ausgabe 86-2/2001

DER MISTKERL

DER MISTKERL

Produktion: Studio Hamburg Produktion für Film & Fernsehen GmbH / Hamburger Filmwerkstatt e.V. / ZDF; Deutschland 2000 – Regie und Buch: Andrea Katzenberger – Kamera: Tore Vollan – Schnitt: Sylvia Genzmer – Musik: Mario Schneider – Darsteller: Ines Nieri (Pauline), Louis Klamroth (Leon), Ingo Naujoks (Pit), Anna Loos (Paulines Mutter), Peter Lohmeyer (Leons Vater) u. a. – Länge: 88 Min. – Farbe – Verleih: noch offen – Altersempfehlung: ab 8 J.

Andrea Katzenbergers Spielfilmdebüt eröffnete den diesjährigen Kinderfilmwettbewerb der Berliner Filmfestspiele. Dies war insofern ungewöhnlich, als der Film in enger Kooperation mit dem ZDF zunächst ausschließlich mit Blick auf eine Fernsehauswertung produziert worden war. Mehr als tausend begeisterte Zuschauer im Zoo-Palast bestätigten dann aber, dass die Berliner Auswahl ein richtiges Zeichen gesetzt hatte und dass der Film im Kinderkino funktioniert. Katzenberger erzählt ihre Geschichte schlüssig und kindgerecht, sie vermittelt Spannung, erlaubt zu lachen und zu weinen und sie trifft ein Thema der Zeit, das bewegt. Dabei vermeidet sie vordergründige Attitüden von Aufklärung und Belehrung. Sie nähert sich den Konflikten emotional und über weite Strecken sehr spielerisch. Dem Zuschauer wird mit Blick auf das eigene Urteilsvermögen vertraut. Die Regisseurin setzt beim Erzählen ihrer Geschichte konsequent auf ein unterhaltendes Element, ohne sich allerdings beim Publikum billig anzubiedern.

Die neunjährige Pauline lebt mit ihrer Mutter Anna allein. Sie liebt ihre Mutter und versteht sich als deren natürliche Partnerin. Das Mädchen spürt dabei sehr genau, dass die Mutter ihr gegenüber ähnlich denkt und handelt, dennoch kann das für die Frau nicht das alleinige Glück bedeuten. Anna möchte wieder mit einem Mann zusammenleben. Pauline, die ihre Mutter froh sehen möchte, unterstützt deren Wünsche. Gleichzeitig sieht sie aber ihre Position als Partnerin gefährdet. Entsprechend ernsthaft setzt sie sich mit den jeweiligen Liebhabern auseinander, doch kein Kandidat findet vor ihren Maßstäben Gnade. Als Anna sich schließlich ernsthaft verliebt, verschweigt sie das vorsichtshalber ihrer Tochter. Doch die ahnt etwas. Gemeinsam mit ihrem Freund Leon spioniert Pauline der Mutter nach und stellt sie wegen des Vertrauensbruchs zur Rede. Anna möchte sich mit ihrem Freund Pit beraten und erzählt diesem von ihrem Kind. Der erweist sich aber als eingeschworener Junggeselle und Familienfeind, dem vermeintliche Unabhängigkeit über alles geht. Er wendet sich von Anna ab. Pauline erlebt daraufhin eine verzweifelte Mutter und will helfen.

Pragmatisch wie sie ist, macht sie Pit deutlich, wie daneben sie seine Haltung findet. Sie schwört Rache. Gemeinsam mit Leon schleicht sie sich in die Wohnung des "Mistkerls" und stellt diesem dort ziemlich gemeine Fallen, die ihre Krönung mit Cola im Motorradtank finden. Kurz darauf hat Pit einen schweren Unfall. Die Kinder glauben, es sei ihre Schuld. Wieder schwört Pauline: Jetzt soll der Mann sie kennen und lieben lernen. Zusammen mit ihrem Freund umsorgt sie den "Kinderhasser" so lange, bis der sie wirklich lieben lernt und schließlich auch mit Anna wieder zusammenkommt.

Die Annäherung zwischen Pit und den Kindern wird von Andrea Katzenberger mit Leichtigkeit und Heiterkeit erzählt. Dabei gelingt es ihr, die Dialoge zwischen Kindern und Erwachsenen zwar überhöht, aber dennoch authentisch zu gestalten. Das Spiel von Ingo Naujoks als Pit als auch das der Kinder zeigt besonders in diesen Szenen eine große Differenziertheit. Höhepunkt wird jene Szene, als Leon den "Mistkerl" am Billardtisch besiegt und dabei gleichzeitig die Vorzüge einer Familie erklärt. Schließlich begreift Pit jene Lektionen, die ihm die Kinder erteilen. Letztendlich fällt ihm das gar nicht so schwer, weil er Anna wirklich liebt. Pauline hat ihr Ziel erreicht, denn ihre Mutter ist sehr glücklich. Doch nun sieht sie ihre Rolle als Partnerin bedroht. Als Pit die Mutter heiraten will und ein Geschwisterkind sich ankündigt, rebelliert Pauline und möchte davonlaufen. Sie zerstört die freudige Stimmung vor der Hochzeit und versetzt ihre Freunde und Verwandten in Angst und Schrecken. Als sie sich bereits auf einem Schiff nach Brasilien versteckt hat, begreift sie, dass sie zu weit gegangen ist. Doch wie soll sie Angst und Schuldgefühl überwinden und zurück finden? Die Mutter und Pit entdecken schließlich das Mädchen. Sie haben ihre eigenen Absichten und Interessen zurückgestellt, um Pauline zu finden. In diesem Moment wird ihr auf der einen Seite bewusst, wie gern man sie hat. Sie erkennt aber auch, dass es keinen Absolutheitsanspruch im Verhältnis zu anderen Menschen geben kann. Liebe, das ist auch Toleranz und Vertrauen.

Im "Mistkerl" wird nicht die Welt der Erwachsenen gegen die der Kinder aufgewogen. Kleine und große Schwächen beider Seiten werden mit genauem Blick, gleichwohl oft hintergründig erzählt. Bei allen Überhöhungen ist eine Wahrhaftigkeit zu spüren, mit der die Frage nach dem Sinn von Kindern und Familie in unserer Zeit gestellt wird. Ein großes Thema mit allen Emotionen und höchst unterhaltsam in unserer Zeit aus der Sicht der Kinder erzählt, das ist es, was dem Film einen besonderen Stellenwert gibt. Es ist gut, wenn das Fernsehen solchen Geschichten eine Basis gibt. Es bleibt aber zu hoffen, dass dieser Film auch die Kinoleinwände erreicht – schon allein deswegen, weil es so selten gelingt, originäre Gegenwartsgeschichten wirksam filmisch umzusetzen.

Klaus-Dieter Felsmann

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 86-2/2001 - Interview - "Louis sollte so spielen wie Tom Cruise"

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.DER MISTKERL im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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