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Ausgabe 124-4/2010

BIS AUFS BLUT – BRÜDER AUF BEWÄHRUNG

Produktion: CP Medien / SWR / Filmakademie Baden-Württemberg; Deutschland 2009 – Regie und Buch: Oliver Kienle – Kamera: Moritz Reinecke – Schnitt: Patrick Eppler – Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek – Darsteller: Jacob Matschenz (Tommy), Burak Yigit (Sule), Balder Beyer (Keiler), Manuellsen (Clay), Simone Thomalla (Tommys Mutter Sylvia), Peter Lohmeyer (Schuldirektor) u. a. – Länge: 113 Min. – Farbe – FSK: ab 16 – Verleih: Camino – Altersempfehlung: ab 16 J.

Sule und Tommy sind seit frühester Kindheit Freunde. Der schmale und eher introvertierte Tommy war einst von größeren Jungen verprügelt worden. Damals kam ihm der draufgängerische Sule zu Hilfe. Seither scheint beide nichts mehr trennen zu können. Dem kann auch der sehr unterschiedliche soziale Status der beiden Heranwachsenden nichts anhaben. Tommy wächst bei seiner allein erziehenden Mutter in einem soliden bürgerlichen Milieu auf. Sule hingegen muss sich frühzeitig nach dem Tod seiner einst aus der Türkei zugewanderten Eltern selbstständig durchschlagen. Die familiären Defizite, die beide auf unterschiedliche Weise spüren, gleichen sie in ihrer Freundschaftsbeziehung aus. Ihre gemeinsame Lebenswelt entwickelt sich zwischen Hip Hop, Feiern bis in die Puppen und immer wieder drogenbeflügelten emotionalen Ausbrüchen. In der Clique, zu der auch der farbige Amerikaner Clay und der Hip-Hop-Musiker Keiler gehören, fühlen sich beide stark und frei. Das gemeinsame Ziel ist es, eines Tages ein Geschäft für Auto-Tuning aufzumachen. Um dafür das Geld aufzutreiben, verdingen sie sich als Drogendealer. Doch das ist ein fragwürdiger Rahmen, der ihrer Freundschaft Halt gibt. Zwangsläufig muss er mehr und mehr zur existenziellen Bedrohung dessen werden, was ihnen so wichtig ist.

Tommy, der das Gymnasium besucht, hat auch noch einen anderen, einen heimlichen Traum – er möchte Physik studieren. Und er hat sich in seine Mitschülerin Sina verliebt. Auf beides ist Sule eifersüchtig. Eines Tages wird Tommy auf einen anonymen Hinweis hin mit einer größeren Menge Marihuana verhaftet. In sechs Monaten Jugendgefängnis erlebt er eine Hölle aus Gewalt und Demütigung. Als er schließlich mit dem festen Vorhaben, nie wieder in den Knast zu kommen, entlassen wird, hat sich die frühere Welt gründlich verändert. Die Clique ist zerfallen und Sina will nichts mehr von ihm wissen. Allein Sule steht noch zu ihm. Doch ausgerechnet der, so stellt sich allmählich raus, hatte den anonymen Hinweis gegeben, der zu seiner Verhaftung geführt hatte.

Oliver Kienle trifft mit seinem durch einen durchgängigen expressiven Soundtrack geprägten Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg sehr genau das Lebensgefühl seiner Generation. Innerhalb einer ausgesprochen wohlhabenden Gesellschaft, die zwar daraus ihre materiell orientierten Leitbilder ableitet, in der die Voraussetzungen, diese auch zu erreichen, aber sehr unterschiedlich verteilt sind, geraten soziale Werte wie Freundschaft, Mitleid und Selbstlosigkeit in eine Schieflage, die immer wieder der Überprüfung bedarf. Leitfiguren aus der Erwachsenenwelt, ob Eltern oder Lehrer, werden in diesem Kontext oft als fragwürdig wahrgenommen. Daraus leitet sich ein brisantes emotionales Spannungsfeld ab, das sich schwer auflösen lässt. Kienle fordert mit seinem Film diesbezüglich die Zuschauer zum Nachdenken heraus. Eine einfache Lösung sollten sie freilich nicht erwarten, auch wenn Tommy in der Schlusssequenz fleißig lernend mit einem Physikbuch gezeigt wird.

Klaus-Dieter Felsmann

Auf dem 15. Internationalen Filmfestival für Kinder und junges Publikum in Chemnitz erhielt der Film "Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung" den Fair-Play-Preis. Dieser Preis wird jährlich an einen Film vergeben, der sich am besten für die Belange von Kindern und Jugendlichen einsetzt. In der Begründung der Schüler-Jury heißt es: "Oliver Kienle, der Autor und Regisseur, hat mit diesem, seinem ersten Film, einen bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen. Eindringlich und schonungslos zeigt er, wie sich die Freundschaft zwischen Tommy und Sule ständig bewähren muss, aber auch für Tommy zum Problem wird. Respekt hat uns Tommys Entscheidung am Ende des Films abverlangt, ehrlich, seinem Freund und sich selbst gegenüber."

 

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Ausgabe 124-4/2010

 

Inhalt der Print-Ausgabe 124-4/2010|

Filmbesprechungen

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Interviews

Gaviria, Carlos - "Ich wollte ein Porträt von Kolumbien drehen"| Schmitt, Eric-Emmanuel - "In unseren Städten versteckt man den Tod"| Tirard, Laurent - "Das Parfüm der Kindheit"|

Hintergrundartikel

IEP!| WEIL DER MENSCH EIN MENSCH IST|


KJK-Ausgabe 124/2010

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