Produktion: Schlicht und Ergreifend Film GmbH, München / Pokromski Studio, Warschau in Koproduktion mit RBB, BR, MDR, NDR, SWR; Deutschland / Polen 2010 – Regie: Johannes Schmid – Buch: Michaela Hinnenthal, Thomas Schmid – Kamera: Michael Bertl – Schnitt: Thomas Kohler – Musik: Michael Heilrath, Kathrin Mickiewicz – Darsteller: Ursula Werner (Lene), Nina Monka (Kattaka), Leon Seidel (Knäcke), Katharina Marie Schubert (Kattakas Mutter), Maxim Mehmet (Daniel), Dominik Nowak (Waldek), Merab Ninidze (Alexej), Daniel Olbrychski (Waldeks Großvater) u. a. – Länge: 93 Min. – Farbe – Verleih: Zorro – Altersempfehlung: ab 10 J.
Mit einem Telefonat am Weihnachtsabend verändert sich das Leben der kleinen Familie in Berlin-Karlshorst. Es ist Alexej, mit dem die Mutter russisch spricht und der für Irritationen sorgt. Die elfjährige Katharina, genannt Kattaka, hört, wie ihre Eltern erregt miteinander sprechen, schnappt den Satz auf, "wir hätten es ihr schon früher sagen müssen" und stellt die Eltern zur Rede. Jetzt erfährt sie von ihrer hochschwangeren Mutter, dass Daniel gar nicht ihr richtiger Vater ist, dass sie schon auf der Welt war, als der bei ihnen einzog. Seine Beteuerung, dass sie für ihn immer wie eine eigene Tochter war, kann Kattaka in diesem Moment nicht beruhigen.
Sie ist außer sich über die offensichtliche Lüge, mit der sie aufgewachsen ist. Blind vor Wut hat sie nur den einen Wunsch, ihren richtigen Vater, den Russen Alexej, der zurzeit als Seemann in Stettin Station macht, kennen zu lernen. Die Nachbarin, Oma Lene, die einiges im Leben hinter sich hat, über das sie nicht spricht, lässt sich zu einer Tagesreise nach Stettin überreden. Dass Kattakas Freund Knäcke als blinder Passagier in Lenes altem Kleinbus mitfährt, merken sie erst bei einer Verkehrskontrolle in Polen. Doch sie kommen zu spät, das Frachtschiff ist bereits nach Danzig ausgelaufen. Kattaka weigert sich, unverrichteter Dinge zurückzufahren und nach Lenes Telefonat mit den Eltern geht die Reise durch die schneeverwehte Landschaft weiter, bis Lene erschöpft ist. Sie übernachten irgendwo und treffen dort Waldek, einen polnischen Jungen mit guten Deutschkenntnissen und konkreten Vorstellungen von seiner beruflichen Zukunft. Er hilft Kattaka bei der Suche nach dem Vater und tatsächlich findet die erste Begegnung auf dem Schiff statt, allerdings nicht so, wie Kattaka sich das erträumt hat. Sie will nur noch weg.
Für die 75-jährige Lene hat diese Reise nach Polen eine besondere Bedeutung, ist es doch auch die Begegnung mit ihrer Vergangenheit, die sie verdrängt hat. Schließlich ist es Kattaka, die Lene dazu zwingt, nicht davonzulaufen und so geht die Reise weiter nach Masuren. In einem knorrigen Baum findet sie das Kästchen, das sie als Kind dort versteckt hatte; den Schlüssel dazu trug sie die ganze Zeit bei sich. Jetzt findet Lene die Kraft, über ihre Flucht, bei der sie die Mutter verlor, zu reden. Auch Kattaka will nicht mehr davonlaufen. Also geht die Reise zurück nach Danzig, wo Alexejs Schiff noch im Hafen liegt. Es kommt zur dramatischen Begegnung mit allen Beteiligten, bei der auch noch ein Kind geboren wird. Am Silvesterabend ist Kattaka mit ihren Eltern und mit Alexej versöhnt – eine ereignisreiche Woche, nach der nichts mehr so ist wie es vorher war.
Das schicksalhafte Ende setzt einen leicht melodramatischen Schlusspunkt unter ein stimmiges Road-Movie. Die schneereiche Weite der Winterlandschaft bildet dabei eine eigene ästhetische Erzählebene, die wesentlich zur Atmosphäre beiträgt. Je mehr sich der Film von Berlin entfernt, desto mehr verdichtet sich die Geschichte um Kattaka und Lene. So unterschiedlich die Lebensumstände der beiden sind, so verbindet sie doch die existenzielle Frage: Wo bin ich her, wo ist mein Zuhause? Zwischendurch, etwa ab der Hälfte des Films, geht der Focus von Kattakas ungeduldiger Suche und ihrem Davonlaufen vor der Realität zu Lene, der scheinbar unberührten Reisebegleiterin. Bei diesem Perspektivwechsel gerät Kattakas Geschichte vorübergehend in den Hintergrund und doch ist es das Mädchen, das die Erstarrung der alten Frau aufbricht. Damit wird der Weg frei zur erneuten Begegnung Kattakas mit ihrem leiblichen Vater, jetzt ohne idealistische Erwartungen. Diese Reise ist für Kattaka und Lene zu einer Initiationsreise geworden. Johannes Schmid hat mit "Wintertochter" einen sensiblen wie spannenden Film inszeniert, der nicht zuletzt ein gelungenes Beispiel für eine deutsch-polnische Koproduktion ist, mit unverbrauchten Drehorten und einem ungewöhnlichen Originalstoff.
Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 129-1/2012 - Kinder-Film-Kritik - WINTERTOCHTER
KJK 125-1/2011 - Interview - Vom klanglich attraktiven Titel "Wintervater" zur heller anmutenden "Wintertochter"
Inhalt der Print-Ausgabe 125-1/2011
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