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Ausgabe 22-2/1985

"Ich möchte die Kinder immer etwas ermuntern"

Interview mit Hannelore Unterberg

(Interview zum Film ISABEL AUF DER TREPPE)

Hannelore Unterberg, Jahrgang 1940, Studium an der Filmhochschule Babelsberg, Abschluss 1972, Dramaturgie-Assistenz bei "Drei Nüsse für Aschenbrödel", Regie-Assistenz bei Rolf Losansky. – Filme: "Konzert für Bratpfanne und Orchester" (1976), "Ein Mädchen aus Schnee" (1978), "Isabel auf der Treppe" (1984). – Arbeit als Dramaturgin in der Gruppe 'Berlin' des DEFA-Studios für Spielfilme.

KJK: Ihr Film "Isabel auf der Treppe" behandelt das Schicksal von chilenischen Emigranten, ein Thema, das für Kinder nicht leicht zu bearbeiten ist. Wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Hannelore Unterberg: "In meiner Arbeit hatte ich mich schon mit Menschen beschäftigt, die in einem anderen Land leben und welche Konflikte aus dieser Situation entstehen. Nach diesem Projekt bekam ich das Hörspiel von Waltraud Levin, das 1976 erschienen ist. Der Stoff ist mir zwar angeboten worden, aber das Thema ist auch mein Anliegen, und als ich das Hörspiel bekam, habe ich zwei Jahre lang überlegt, wie ich den Stoff den Kindern nahe bringen soll, wo doch das Thema Chile nicht mehr so im Bewusstsein ist."

Wie sind Sie an den Stoff herangegangen, um einen Kinderfilm daraus zu machen?
"Das Hörspiel enthielt verschiedene Möglichkeiten: Geschichte einer Mutter; einer Chilenin, die bei uns lebt; Mutter/Tochter-Beziehung; Geschichte einer Patenschaft zwischen DDR-Bürgern und Chilenen; Geschichte eines Großvaters. Ich habe mich für die Geschichte des Kindes entschieden.
Mein erster Ansatz war, Kindern zu erzählen, wie es anderen schlecht geht und ihnen dadurch die Situation der Chilenen bewusster zu machen, damit die Patenschaften, die es in früheren Jahren viel gegeben hat und die inzwischen abgeklungen sind, wieder mit Leben erfüllt werden. Für Kinder ist das Schicksal von chilenischen Kindern – ebenso wie die Patenschaften, was eigentlich dahinter steht – nicht nachvollziehbar. Ich habe also mit vielen Kindern darüber gesprochen, was sie davon wussten: Sie haben zwar Patenschaften übernommen, in der Klasse waren sie auch oft mit Chilenen zusammen – aber letztlich war es doch weit weg für sie. Danach habe ich alle Dokumentarfilme zu diesem Thema gesichtet. Das war also die Ausgangssituation: auf der einen Seite das Dokumentarfilmmaterial, auf der anderen Seite die Geschichte – das musste zusammengebracht werden.
Es gab dann zwei Varianten: Erstens, einen Dokumentarfilm von Heynowski/Scheumann zeigen und ich erzähle die Geschichte für 13/14-Jährige. Bei den Probeaufnahmen merkte ich aber, dass sich diese Form mehr für Erwachsene eignet. Die zweite Variante, für die ich mich dann entschied, war die Besetzung mit der zehnjährigen Chilenin Irina Gallardo. Zu Drehbeginn lebte sie eineinhalb Jahre in der DDR, ihr Vater arbeitet hier als Schauspieler und ihre Mutter ist Architektin."

Nachdem der Film eine lange Vorbereitungsphase hatte, wie lange haben Sie dann gedreht und wie sieht die Arbeit mit den Kinderdarstellern aus?
"Der Film 'Isabel auf der Treppe' entstand in 50 Drehtagen. Nach den Probeaufnahmen ist die Zustimmung des Schulrats, des Arztes und der Eltern einzuholen, der Drehtermin soll aber möglichst in den Ferien liegen. Die Drehzeit mit 6- bis 14-Jährigen beträgt 6 Std. täglich, mit Kindern unter 6 Jahren 3 Std. täglich. Zwei Betreuer hatten wir für die Kinderbetreuung, während der gesamten Drehzeit, und bei denen übernachten sie auch."

Wie wurden die Kinder auf ihre Rollen vorbereitet
"Bei den Probeaufnahmen nehme ich eine Szene aus dem Film, lasse die Kinder hierzu einen Text lernen und zusätzlich eine Szene improvisieren, so dass die Kinder gleich die Geschichte des Films kennen. Wenn ich dann merke, dass die Kinder einzelne Szenen nicht verstehen oder dass sie nicht kindgerecht 'ankommen', arbeite ich diese noch entsprechend um. Wenn die Kinder auch damit nichts anfangen können, werden diese Erfahrungen ebenfalls mit eingebaut."

Sie waren jetzt, nachdem der Film fertig ist, bei vielen Vorführungen dabei und haben anschließend mit den Kindern darüber gesprochen. Wie ist die Resonanz bei ihnen?
"Ich hatte insgesamt ca. 50 Diskussionen in verschiedenen Städten der DDR – Karl-Marx-Stadt, Dresden, Halle, Potsdam – und stellte immer wieder fest, dass die Kinder ganz leicht ins Gespräch kommen, außer, wenn es zu kleine Kinder sind. Der Film ist zwar für 6 Jahre eingestuft, aber das halte ich für zu früh. Ich wollte den Film ab 10 Jahre und habe auch die Erfahrung gemacht, dass mit Kindern ab der 6. Klasse am besten zu reden ist. Die fangen gleich an und kommen ganz schnell auf persönliche Probleme zu sprechen – 'der Philipp, wie der mit seinem Vater redet, das finden wir prima' – und wollen, dass der Film gut ausgeht. Ich möchte auch die Kinder immer etwas ermuntern, dass sie sich trauen, den Erwachsenen die Meinung zu sagen, dass sie ihnen was beibringen.
Bei diesen Gesprächen erzähle ich den Kindern auch über die Problematik – Chile als Problem ist bei ihnen weg, sie haben Flaschen für die Solidaritätsspende gesammelt, und jetzt ist das Problem abgehakt. Ich erkläre ihnen dann, solange es auf der Welt noch so aussieht wie jetzt, muss der Film so enden.
Es war ein schwieriges Thema für Kinder, und ich habe versucht, allen Spaß auszunutzen, der in diesem Thema drin war für Kinder. So habe ich immer wieder Szenen umgebaut, damit die Kinder auf dem Stuhl sitzen bleiben. Für Erwachsene hätte ich den Film anders gemacht."

Welchen Film planen Sie als nächsten?
"Die Geschichte von einem Jungen, der in einem Neubaugebiet wohnt, und dem ein Hund zuläuft. 'Der Junge mit dem großen schwarzen Hund' entsteht nach einem Buch der Kinderbuchautoren Hilde und Siegfried Schumacher. – Wir haben einen riesigen Neufundländer mit einem ganz großen Leberfleck auf der Zunge gefunden, der wird jetzt dressiert für den Film. Ich will am 25. März mit den Dreharbeiten beginnen, habe aber im Moment den Hauptdarsteller noch nicht!"

Mit Hannelore Unterberg sprachen Hans und Christel Strobel während des 4. Nationalen Festivals "Goldener Spatz" für Kinderfilme der DDR in Gera

 

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Interviews

Engel, Thomas - "Ich wollte meinen Film machen und das Geld war eben da"| Oz, Frank - "Die Muppets erobern Manhattan"| Pieters, Guido - "Ein Film ohne Publikum ist kein Film"| Unterberg, Hannelore - "Ich möchte die Kinder immer etwas ermuntern"|

Hintergrundartikel

"Dornröschen"|


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