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Ausgabe 31-3/1987

DER LIEBE GOTT IM SCHRANK

Produktion: Cikon Filmproduktion im Auftrag des ZDF, Bundesrepublik Deutschland 1986 – Drehbuch: Peter Bauhaus – Regie: Thomas Draeger – Kamera: Hille Sagel, Georg Mondi – Schnitt: Susanne Lahaye – Laufzeit: 30 Min. – Farbe Vertrieb: Igelfilm Hamburg, Friedensallee 7, 2000 Hamburg 50 (16mm)

Die fünfjährige Gesa will plötzlich zum Erstaunen ihres Vaters vor dem Einschlafen beten, was sie noch nie getan hat. Aber Gesa hat einen triftigen Grund für ihren Wunsch: Der "liebe Gott" sitzt bei ihr im Kleiderschrank! Jedenfalls hält Gesa den "Penner" wegen seines Aussehens dafür, als den ihn ihre Eltern sofort erkennen. Nach anfänglicher Ratlosigkeit laden sie ihn zum Essen ein und lassen ihn in ihrer Badewanne baden.

Inzwischen erzählt Gesa, wie sie den "lieben Gott" kennen gelernt hat. Sie war nämlich in der Kirche, wo, wie ihr eine Freundin erzählt hatte, der liebe Gott wohnt. Dort lag der Penner laut schnarchend und schlief, bis ihn eine Reinemachefrau unsanft hinaus beförderte. Gesa war neugierig geworden und folgte ihm auf seinem Schnorrerweg durch die Stadt. Dabei traf sie auch den "Teufel" in Gestalt eines Kanalarbeiters mit schwarzem Gesicht, der aus seinem dampfenden Loch heraufkam, als der "liebe Gott" ihn geärgert hatte. Gesa und der "liebe Gott" freundeten sich an und kamen ins Gespräch. "Mein Vater sagt", erzählte sie, "dich gibt's gar nicht", und nahm ihn als Gegenbeweis mit nach Hause und versteckte ihn vorläufig im Schrank.

Satt und frisch gebadet verschwindet der seltsame Gast am Ende ohne Abschied und bekundet damit, dass er "überall und nirgends" zu Hause ist.

Voller Sympathie für seine Protagonisten erzählt Thomas Draeger ("Metin", "Lisa und die Riesen") unbefangen die kleine Geschichte von dem Mädchen, das auszog, den lieben Gott zu suchen. Für sie sind Phantasie und Wirklichkeit noch eins, und alle Menschen und Dinge haben für sie eine geheimnisvolle Bedeutung. Zutraulich, fröhlich und überhaupt nicht ängstlich geht sie auf ihre Entdeckungsreise und macht wichtige Erfahrungen. Sie hat Glück: ihre Eltern, die zunächst konsterniert und hilflos reagieren, spielen schließlich ihretwegen mit und lassen sich behutsam auf Gesas Geschichte ein.

Was der Film nicht mehr zeigt, kann in Elterngruppen, für die man ihn empfehlen kann, diskutiert werden: Wie gehen die Film-Eltern weiter mit dieser Geschichte um? Versuchen sie, Gesa "die Wahrheit" zu sagen oder warten sie damit, bis die sich zwangsläufig von selber einstellt? Wie schnell soll sich Realitätsbewusstsein entwickeln und Phantasie und Kinderglauben verdrängen? Darauf gibt es sicher keine schnellen und allgemein gültigen Antworten, aber der Film regt dazu an, eigenes Elternverhalten zu reflektieren.

Auch in Kindergruppen des Vorschulalters kann der Film sicher mit Gewinn gezeigt werden. Nur hat er hier selbstverständlich eine andere Funktion. Auf Kinder wird sich vielleicht Gesas Faszination von der Person des Fremden mit der geheimnisvollen Aura übertragen, und das kann ihnen Mut machen, sich auf eigene Phantasien einzulassen und sie auszuleben. Auch kann er sie anregen, eigene Vorurteile gegenüber einer anderen Lebensart zu erkennen und zu relativieren. Schließlich kann er Anlass geben zu ersten Gesprächen über den Gottesbegriff, der ja Kindern heute tatsächlich vielfach als "der liebe Gott" begegnet, ohne dass damit konkrete Vorstellungen verbunden wären. Für Gesa gibt es ihn, und ob die zuschauenden Kinder das glauben oder nicht oder gar abschätzig, höhnisch oder "aufgeklärt" reagieren, hängt ganz von dem Entwicklungsstand der Gruppe und der Einstellung der sie begleitenden Pädagogen ab. Wichtig ist schließlich die Erkenntnis, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die nicht nur rational zu erklären sind und zu deren Betrachtung und Verständnis die Phantasie oft weiter hilft als der Verstand. Und dass diese Betrachtungsweise Spaß machen und schön sein kann, macht der Film auf vergnügliche Weise vor.

Sicher wird es Eltern und Erzieher geben, die meinen, der Film vermittle Kindern ein allzu positives Bild von einer Wirklichkeit, die leider oft anders aussieht und vor der man Kinder nicht früh genug warnen könne. Sicher sind solche Meinungen ernst zu nehmen. Aber man könnte dagegen halten, dass Angst der Tod der Phantasie ist und dass es zwischen dem Nacherleben einer fiktiven Geschichte und der Begegnung mit der harten Wirklichkeit viele Erkenntnisstufen gibt. Wäre es nicht besser, statt abzuschrecken, den Kindern behutsam zu helfen, Schritt für Schritt diese Stufen selbst zu finden? Der Film kann dafür gewiss ein Ausgangspunkt sein.

Bernt Lindner

 

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