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Ausgabe 51-3/1992

"Wenn man etwas leidenschaftlich liebt ..."

Gespräch mit Moustapha Dao, Burkina Faso

Interview

Moustapha Dao (Jahrgang 1955) ist in Deutschland durch seinen 15-minütigen Dokumentarfilm "A nous la rue" ("Die Straße gehört uns") von 1987 bekannt geworden, der bei uns von Matthias-Film und einer Reihe nichtgewerblicher Verleihstellen verliehen wird. Nach einem abgebrochenen Studium an der Filmhochschule in Burkina Faso arbeitete er als Tonassistent und Techniker für Film und Fernsehen in Afrika. Heute ist der Filmemacher beim Staat angestellt. Moustapha Dao war Teilnehmer des internationalen Seminars "Kinderfilm und Afrika" in Bernried am Starnberger See. Dort sprach KJK-Mitarbeiter Reinhard Kleber mit ihm.

KJK: Bei wie vielen Filmen haben Sie bisher mitgearbeitet?
Moustapha Dao: "Ich war bei mehr als 40 Filmen für Kino und Fernsehen als Techniker und Tonassistent dabei. Außerdem habe ich Mischung gemacht. Ich begann als Angestellter bei Cine Afrique, dann arbeitete ich als Staatsangestellter beim Film, zum Beispiel als Tonassistent bei 'Yeelen' von Suleyman Cisse."

Wie viele eigene Filme haben Sie gemacht?
"Drei Kurzfilme für Kinder: 'A nous la rue', 'Le neveu du peintre' und 'L'enfant et le caiman'. Die beiden ersten drehte ich auf 16mm-Material, den letzten auf Super 16-Material, das dann auf 35mm-Format aufgeblasen wurde."

Wie haben Sie die Idee für "A nous la rue" gefunden?
"Es ist ganz einfach nur Beobachtung. Wir beobachten die Kinder, das ist das Wichtige. Da sehen wir, wie sie herumgehen und handeln."

Wie viel hat der Film gekostet?
"Ungefähr 80.000 französische Francs. Ich war in Personalunion Realisator, Assistent und Tonmann, weil ich nicht genug Geld hatte. Ich habe fast alles mit einem Freund aus Äthiopien und seiner Frau gemacht, die die Kamera führte."

Wie ist der Film in Ihrer Heimat aufgenommen worden?
"Ich zeigte den Film in der Straße, wo ich ihn gedreht hatte. Alle waren da, die Kinder und die Eltern, sie fanden ihn gut. Aber die Kinder haben mir gesagt, er sei zu kurz."

Wie waren die Reaktionen in anderen Ländern?
"Der Film hat mehr als zehn internationale Preise gewonnen. Ich habe ihn aus Wettbewerben zurückgezogen, damit auch andere Preise bekommen können. Mit dem Film machte ich eine Tour de France in Frankreich, und ich bekam viele zustimmende Briefe von Zuschauern."

Wie fanden Sie die Reaktion der Kinder auf den Film in der Gautinger Schule gestern?
"Die war sehr positiv und sehr günstig. Ich war überrascht über das, was sie wahrgenommen haben. Es war das zweite Mal, das ich mit dem Film in Deutschland war. Ich habe mit dem Film bereits eine Tour durch Deutschland gemacht und war in Bonn, Freiburg, Bremen, Frankfurt und Berlin. Dort waren es erwachsene Zuschauer, die meistens Afrika schon kannten und interessiert waren, es wieder zu sehen. Auch da war die Reaktion positiv."

Haben Sie ein neues Filmprojekt?
"Nach dem Vorbild von 'L'enfant et le caiman' möchte ich acht Geschichten realisieren. Das sind traditionelle Märchen aus Burkina Faso und anderen westafrikanischen Staaten. Ich habe diese Märchen bearbeitet und ein bisschen geändert. Es gibt magische und wunderbare Bilder, aber die Kinder sollen auch lachen können. Ich möchte auch eine Moral vermitteln, aber auf indirekte Weise."

Sind diese acht Stücke selbstständig?
"Es gibt acht Geschichten. Für die Kino-Vorführung fasse ich je vier davon zusammen, so dass es zwei Filme zu je siebzig Minuten gibt."

Sind davon schon Teile abgeschlossen?
"Sie sind alle geschrieben. Ich bin seit drei Wochen in den Vorbereitungen, vor allem für den ersten Teil. Darin spielen Kinder und Masken eine Rolle. Die Kinder fertigten Masken an, mit denen sie dann spielen werden."

Steht die Finanzierung für dieses Projekt bereits?
"Nein, ich habe noch kein Geld. Aber wenn man etwas leidenschaftlich liebt, wird man es immer vollenden."

Gab es bei Ihren früheren Filmen westliche Beteiligungen?
"Bei 'A nous la rue' bekam ich Unterstützung aus Frankreich – 30.000 französische Francs (FF) von Canal plus, 100.000 FF vom Centre national de cinema (CNC) und 200.000 FF vom Ministerium für Kooperation. Burkina Faso hat technische Unterstützung geleistet im Wert von etwa 90.000 FF."

Bezahlt der Staat in Burkina Faso diese technischen Mitarbeiter?
"Alle technischen Filmmitarbeiter in Burkina Faso sind Staatsangestellte. Man muss nur eine Kamera besorgen und sich organisieren. Es gibt mindestens zehn 16mm- und zwei 35mm-Kameras in Burkina Faso."

Wie funktioniert die staatliche Filmförderung und wie ist sie finanziell ausgestattet?
"Burkina Faso ist das ärmste Land in Afrika, aber es ist ein Land, wo die Regierung sich für Film interessiert. Es gibt Unterstützung von 'Fespaco' und der Filmdirektion. Weiter bezahlen die Kinobesucher mit ihrer Eintrittskarte eine Abgabe, um den Kinobetrieb zu fördern."

Wie viele Filme werden jährlich in Burkina Faso hergestellt?
"Zwei bis drei lange Spielfilme und fünf oder sechs Kurzfilme. Die Zahl der Dokumentarfilme weiß ich nicht."

Gibt es auch Koproduktionen zwischen Burkina Faso und anderen afrikanischen Ländern?
"Es gibt ein wenig Zusammenarbeit, obwohl dafür gar keine Gesetze existieren. Ich habe zum Beispiel in Mali mit meiner Kamera und meiner technischen Ausrüstung und anderen Leuten gedreht."

Heißt das, dass innerafrikanische Koproduktionen nur auf persönlicher Ebene funktionieren?
"Ich beschäftige mich nicht mit Verhandlungen. Ich habe einen Vorgesetzten und darüber gibt es nur den Staatspräsidenten. Ich kann ihn fragen. Wenn er okay sagt, mache ich das Projekt. Es ist eher eine Art 'Zusammen-Hilfe' als eine Koproduktion."

Wie viele Kinos gibt es in Burkina Faso?
"Ich schätze insgesamt fünfzig, etwa 20 in der Hauptstadt Ouagadougou, der Rest in größeren Städten. Außerdem gibt es noch Wanderkinos."

Zeigt das Staatsfernsehen Ihre Filme und die Ihrer Kollegen?
"Ja, sie werden gezeigt."

Gibt es dabei auch schon mal Probleme aus politischen oder ästhetischen Gründen?
"Nein. Ich beschäftige mich nicht mit Politik. Für mich ist es wichtig, da zu arbeiten. Wir brauchen in Burkina Faso viele Filme. 80 bis 90 Prozent aller gezeigten Filme werden importiert. "

Woher kommen diese importierten Filme?
"Es gibt den Kanal France International, der in der ganzen Welt Produktionen kauft und nach Afrika, Asien und Lateinamerika ausstrahlt."

Woher kommen die Filme in den Kinos von Burkina Faso?
"Es sind Hindi-Filme aus Indien, Kung-Fu-Filme aus Hongkong und Rambo-Filme aus Hollywood. Die Hindi-Filme werden mit englischen Untertiteln gezeigt, doch fast alle Leute sind Analphabeten, sie können vielleicht ein bisschen Französisch. Aber sie können nach einer halben Stunde dem Film trotzdem folgen."

In Ihrem Film "A nous la rue" gibt es keinen herkömmlichen Einzelhelden, dass aber eine episodische Struktur. Könnte so der afrikanische Film der Zukunft aussehen?
"Jedes Sujet muss frei behandelt werden, um eine Struktur für die Botschaft zu finden. Ich habe mir das nicht ausgedacht, sondern gefühlt, ich muss das so machen. Aber das ist bei jedem anders."

Gibt es über diese individuellen Unterschiede hinaus einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der westlichen Art, Filme zu machen, und der afrikanischen?
"Es gibt überall diese klassische Struktur mit einer Hauptperson bis zum Ende. Man muss das zerbrechen. Ich möchte eine neue Art finden, mich auszudrücken und Filme zu zeigen."

Interview: Reinhard Kleber

 

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