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Ausgabe 97-1/2004

DER SCHMETTERLING

LE PAPILLON

Produktion: Alicéleo / France 2 Cinéma / Rhone-Alpes Cinéma / Gimages Films; Frankreich 2000 – Regie und Buch: Philippe Muyl – Kamera: Nicolas Herot – Schnitt: Mireille Leroy – Musik: Nicolas Errèra – Darsteller: Michel Serrault (Julien), Claire Bouanich (Elsa), Nade Dieu (Elsas Mutter), Hélène Hily (Concierge) – Länge: 85 Min. – Farbe – FSK: o. A. – Verleih: Kool Filmdistribution / Central – Altersempfehlung: ab 10 J.

Philippe Muyl ist den Lesern der KJK kein Unbekannter; präsentierte er doch beim Frankfurter Kinderfilmfestival LUCAS im Jahre 2000 seinen ersten Kinderfilm "La vache et le président", der seinerzeit den Publikumspreis erhielt. Sein neuer Film hat mit Michel Serrault sogar einen veritablen französischen Star zu bieten: Dieser spielt Julien, einen zurückgezogen lebenden Eigenbrötler, dessen einzige Leidenschaft seine Sammlung lebender (aber auch toter) Schmetterlinge ist.

Seine über alles geliebte Ruhe wird jedoch bald gestört. Denn genau in die Wohnung über ihm zieht die quicklebendige achtjährige Elsa mit ihrer stets beschäftigten Mutter ein. Diese ist so beschäftigt, dass sie auch schon mal ihre Tochter vergisst. Die hat sich zwar inzwischen schon fast daran gewöhnt, schön findet sie es dennoch nicht, immer wieder irgendwo in der Stadt wie bestellt und nicht abgeholt warten zu müssen. Sehr zu Juliens Unwillen zeigt sich Elsa vom ersten Tag an fasziniert von seinen Schützlingen; vor allem natürlich vom verbotenen Zimmer, in dem er seinen Tieren einen ihnen angemessenen Lebensraum geschaffen hat, in dem sie frei fliegen können. Eines Tages bricht Julien zu einer lang geplanten Expedition auf. Er ist auf der Suche nach dem größten mitteleuropäischen Schmetterling, der Isabelle, die nur kurze Zeit in der Abenddämmerung auf bestimmten Gebirgswiesen zu beobachten ist. Bald schon muss er entdecken, dass sich ihm Elsa als blinder Passagier angeschlossen hat. Da die Mutter wieder mal nicht erreichbar ist, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die quirlige Kleine in die Berge mitzunehmen.

Eine Wanderung, bei der sie mitunter an ihre Grenzen stoßen, sich streiten und wieder versöhnen und so nach und nach näher kommen. Ein Prozess, dem Elsa tatkräftig nachhilft, hat sie doch den alten Grantler schnell in ihr Herz geschlossen. Gemeinsam erleben sie die Schönheit, aber auch die Härte der Bergwelt, finden gastfreundliche Aufnahme bei einer Familie. Derweil spitzt sich in der Außenwelt die Lage zu: Denn Elsas Mutter hat ihre Tochter als vermisst gemeldet und Polizei und Presse stellen den unwissenden Julien auf einmal als Kinderschänder und Entführer vor. Als Elsa nach einem Streit in eine Höhle fällt, muss Julien los und Hilfe holen, was die Polizei auf den Plan ruft, die zwar Elsa befreit, ihn aber verhaftet. Doch alles wird gut – nur ihren Schmetterling haben sie nicht finden können. Zwar flog er einmal vor ihr Licht, aber dann hat Elsa ihn durch ihre Tollpatschigkeit vertrieben. Aber in Juliens Pariser Wohnung liegt ja noch diese Lieferung einiger Puppen, die demnächst schlüpfen werden ...

Wie schon "La vache et le président" bietet auch Muyls neues Werk im Wesentlichen französisches Unterhaltungskino mit Starbesetzung. Dabei gibt Michel Serrault den für ihn fast schon zum Stereotyp gewordenen Grantler mit viel Spiellust. Leider ist seine Figur schon von Beginn an zu nett und eben zu wenig bösartig, was den Konflikt zwischen ihm und der Kleinen doch erheblich entschärft. Auch gegen Ende hat der Film dramaturgische Mängel: Die Actionszenen mit der Höhle wirken ein wenig aufgesetzt, so als habe man dringend einen Höhepunkt gesucht und die anschließende Festnahme samt (im übrigen unerklärter) Freilassung kommt ein wenig hoppla-hopp daher. Doch das stört nicht wirklich in dieser von viel Zartheit bestimmten Geschichte über zwei ganz unterschiedliche Menschen auf der Suche nach ein wenig Wärme und Liebe im Leben.

Vor allem der Mittelteil, wenn sich die zwei langsam öffnen und einander annähern und wir erfahren, warum Julien so ein zurückgezogenes Leben führt und was ihn überhaupt zum Schmetterlingssammler machte, ist voller fast poetischer Momente, aber auch voller kleiner Gags, die eher en passant erzählt werden. Vor allem aber lebt der Film von seinen beiden Hauptdarstellern: Michel Serrault wirkt nie kalt-routiniert und wie die kleine Claire Bouanich voller quirliger Pfiffigkeit neben diesem großen Star besteht, das hat schon was. Das Ergebnis ist solides Unterhaltungskino für die ganze Familie, das das alte Motiv der Verständigung über zwei Generationen geschickt variiert.

Lutz Gräfe

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 97-1/2004 - Interview - Eine Mischung aus Humor, Zärtlichkeit und Ironie

 

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