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Ausgabe 103-3/2005

"Man darf nie aufgeben!"

Gespräch mit Gholamreza Ramezani, Regisseur der Spielfilme "Bazi" (Das Spiel) und "Hayat"

(Interview zum Film DAS SPIEL)

KJK: Sie waren auf der diesjährigen Berlinale gleich mit zwei Filmen vertreten: für "Das Spiel" haben Sie außerdem das Drehbuch geschrieben und auch die Geschichte von "Hayat" beruht auf einer eigenen Idee. Beide Filme sind 2004 im Iran entstanden und beide erzählen von starken Mädchen, die sich mordsmäßig anstrengen, um ihr Ziel zu erreichen. Ist es an der Zeit, den Mädchen in Ihrem Lande den Rücken zu stärken?
Gholamreza Ramezani: "Nein, dass die Hauptpersonen in beiden Filmen weiblich sind, hat keine tiefere Bedeutung. Ich habe vier Filme gedreht, in zweien spielen Jungen die Hauptrolle, in zweien Mädchen, und in meinem nächsten Film habe ich wieder einen männlichen Protagonisten, einen zwölfjährigen Jungen."

Es ist aber sicher kein Zufall, dass beide Mädchen, die fünfjährige Soraya und die zwölfjährige Hayat, so kämpfen müssen, um zu ihrem "Recht" zu kommen. Soraya, die es satt hat, immer allein mit ihren Puppen zu spielen, will raus aus der Isolation und engen Symbiose mit der Mutter, die doch keine Zeit für sie hat. Sie möchte mit den Kindern spielen, die sie jenseits der Hofmauern hört. Und Hayat will raus aus der Engstirnigkeit ihres Dorfes, in dem niemand verstehen will, dass die Prüfung für eine weiterführende Schule wichtiger ist als z. B. ein Schönheitsbad.
Dass Schulbildung für ein Mädchen, das ja doch heiraten und dem künftigen Mann den Haushalt versorgen soll, nicht so wichtig ist – diese Denkweise gab es ja auch bei uns und das ist, zumal auf dem Lande, nicht so lange her. Umso beeindruckender, wie auch die Kinder in unserem Kulturkreis mit Hayat und Soraya mitgehen, wie sie sich von der Energie und dem Einfallsreichtum der beiden Mädchen anstecken lassen und am Ende begeistert sind, als diese ihr Ziel doch noch erreichen. Plädieren Sie für eine offenere Erziehung innerhalb eines doch ziemlich autoritären Systems?

"Ich plädiere für eine offenere Erziehung, ja, und ich versuche meine täglichen Erfahrungen im Umgang mit Kindern zu zeigen und weiter zu geben. Mir geht es dabei nicht um die Rolle der Mädchen in unserer Gesellschaft – um die Frauenproblematik kümmern sich andere Filmemacher bei uns. Wenn ich eine Geschichte für einen Film habe, ist mir die Charakterdarstellung wichtig, das, was der Hauptdarsteller oder die Hauptdarstellerin durchmacht.
Hayat zum Beispiel muss in dem Film nicht nur das Schul-Examen ablegen, sondern Prüfungen auf ganz verschiedenen Ebenen durchstehen. Wenn sie es am Ende doch noch in die Schule schafft, hat sie bereits sämtliche Prüfungen bestanden – auf der praktischen, mathematischen, sozialen und moralischen Ebene. Ich habe mir dieses Thema gewählt, weil ich es für wichtig halte, dass Kinder ihre Ängste bei Klassenarbeiten und Prüfungen hinter sich lassen, dass sie lernen, Schwierigkeiten zu überwinden und mit Hindernissen fertig zu werden, dass sie sich mit aller Kraft durchsetzen und nicht aufgeben, lernen und wissen zu wollen. Man darf nie aufgeben! Diese Botschaft möchte ich an die Kinder bringen, nicht nur im Iran."

Mir scheint, dass Ihr "Spiel" sich mindestens so sehr an Erwachsene wie Kinder wendet. Was hat Sie bewogen, das Spiel eines kleinen Mädchens so detailliert darzustellen und den Erwachsenen damit eine Lektion zu erteilen?
"Ein Film sollte zwei Schichten haben. Eine Ebene muss für Kinder interessant sein, die andere die Erwachsenen ansprechen. Ein Kind von sieben oder acht Jahren, das sich diesen Film anguckt, wird ja sicher von einem Erwachsenen ins Kino begleitet und ich hoffe, dass sie sich dann darüber austauschen. Mir ist es ein Anliegen, kleine Probleme von Kindern aufzugreifen und zu zeigen, wie wichtig die Beziehung zwischen Mutter und Kind ist, wie bedeutsam das Gespräch zwischen ihnen."

Es ist der pädagogische Effekt, den Sie mit der Erwachsenen-Ebene anstreben?
"Ja. Mein Ideal ist es, Filme für Kinder zu machen, von denen Eltern, überhaupt die Erwachsenen, auch etwas haben."

Eine Iranerin hat in einem der Gespräche nach dem Film gesagt, dass "Das Spiel" für sie nicht nur das Verhältnis zwischen Mutter und Kind spiegelt, sondern das Verhältnis zwischen einem Machthaber und einem, der keine Macht hat.
"Und ich habe mit einem iranischen Sprichwort geantwortet. Bei uns heißt es: Wenn man einen großen Stein nimmt, kann man nicht werfen. Ich bin nicht so vermessen, einem Machthaber im Iran oder sonst wo etwas beibringen zu wollen. Aber wenn irgendwelche Machthaber den Film sehen und daran oder auch nur an einem Punkt Gefallen finden, soll mich das freuen. Dieser Film steht nicht in Beziehung zu bestimmten Regierungen, ich wollte damit nur ausdrücken, dass es um die zwischenmenschlichen Beziehungen geht, die überall verloren gehen. Heute hört man den Kindern nicht so gut zu, eigentlich nur, wenn man nichts anderes zu tun hat. Als ich klein war, war das anders, und ich möchte, dass das nicht unwiederbringlich verloren geht."

Ihre Filme wirken wie Lehrstücke und besonders "Das Spiel" mit seiner Einheit der Handlung, des Ortes und der Zeit ist gebaut wie ein klassisches Theaterstück. Haben Sie Erfahrungen mit dem Theater?
"Ich habe mit dem Theater angefangen. Das heißt, erst habe ich Kurzgeschichten geschrieben und dann habe ich zehn Jahre Theater für Kinder gemacht, geschrieben, gespielt und inszeniert. Dem Film habe ich mich zugewandt, weil ich auf diese Weise ein größeres Publikum erreichen konnte – mir war wichtig, dass mehr Menschen mich und meine Arbeit wahrnehmen."

Sind Sie in Teheran aufgewachsen?
"Nein, ich bin 1960 in Arak geboren. Aber eigentlich gehöre ich nirgendwohin, denn mit 14 Jahren wurde ich entdeckt, also nicht ich, sondern meine Begabung, und von Stadt zu Stadt geschickt, um Theater und Schreiben zu lernen. Seit 1983 habe ich auch als Drehbuchautor und Regieassistent gearbeitet und bis 1992 mehrere Kurzfilme gedreht, ein Jahr später dann meinen ersten Spielfilm, der auf Englisch 'Passing through the trap' heißt."

Wie oder wo wurden Sie denn entdeckt?
"In der Schule. Ich war ein guter Aufsatzschreiber und hatte einen wunderbaren Lehrer – ich habe ihn sehr geliebt und er mich – und er hat mich sozusagen 'entdeckt' und gefördert."

Ich stelle es mir schwer vor, mit einem neun Monate alten Kind zu arbeiten. Stammt Hayats bezaubernde kleine Schwester aus Ihrem Bekanntenkreis?
"Nein, ich habe einen Monat nach ihm gesucht und am Rande der Filmarbeit getestet. Ich nahm zu vielen Kindern Kontakt auf und dieses Kind war eines der wenigen, das sich bei uns total wohl fühlte. Aber natürlich haben wir sehr viele Filmmeter verdreht. Man kann sich denken, wie schwer es ist, ein kleines Kind zum Lachen zu bringen, wenn es lachen soll, zum Weinen und Schlafen, wenn das dran ist. Aber das Publikum soll das Ergebnis sehen und spüren, nicht die Arbeit dahinter."

Und das ist nicht nur im Fall des Babys sehr überzeugend. Offensichtlich können Sie sehr gut mit Kindern umgehen.
"Von Natur aus. Ich liebe Kinder und wenn hier ein Kind auftauchte, hätte ich bestimmt Lust mit ihm zu spielen. Das fühlen die Kinder. So muss es sein, wenn man Filme mit Kindern machen will. Der Kontakt ist das A und O."

Aber wie funktioniert das? Wie z. B. führen Sie Ihre fünfjährige Hauptdarstellerin im "Spiel"?
"Während das kleine Mädchen seine Rolle spielt, gehe ich gleichzeitig die Rolle in mir durch. Ich fühle das alles, ich mache das alles innerlich mit, egal ob ich jetzt achtmal die Szene drehen muss oder mehr, wie oft auch immer, jedes Mal. Wie oft ich selbst das Rad in meinem gleichnamigen Film innerlich mit gedreht habe, weiß ich nicht mehr, aber es war sehr oft!"

Mit dem "Rad" haben Sie 1998 und 1999 viel Beachtung und etliche Preise auf internationalen Festivals gefunden. Arbeiten Sie ausschließlich für Kinder und junge Leute?
"Ja, meine nächsten Projekte sind ebenfalls Kinderfilme bzw. Filme mit Kindern. Natürlich ist es schwierig, solche Filme zu drehen. Ich habe bei 'Hayat' zwei Jahre gebraucht, um die Finanzierung zustande zu bringen, und ein Jahr für die Arbeit, also insgesamt waren das drei Jahre. Einfach ist es nicht, man muss eben hartnäckig bleiben, nie aufgeben."

Also sind auch Sie das Kind, dem Sie mit Ihren Filmen Mut machen.
(lacht) "Ich versuche es."

Mit Gholamreza Ramezani sprach Uta Beth

P.S.: Zur Situation des iranischen Kinderfilms siehe in KJK Nr. 87-3/2001 das Interview zu "Die Zeit der trunkenen Pferde" mit Bahman Ghobadi und seinem Kameramann Saed Nikzat, der auch bei "Hayat" für die Kamera zuständig war.

 

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