Produktion: Omega Film & Television AB / Sonet Film AB – Schweden 2005 – Drehbuch und Regie: Henry Meyer – Kamera: Håkan Holmberg – Schnitt: Tomas Täng – Darsteller: Tuva Novotny (Sandra), Ghita Nørby (Lilly), Lukasz Garlicki (Marek) u. a. – Länge: 100 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Sonet Film AB, e-mail: ann-mari@sonetfilm.se – Altersempfehlung: ab 14 J.
Sandra wird vom Gericht zu gemeinnütziger Arbeit und dem Wegzug aus ihrem alten Umfeld verurteilt. Sie zieht in der neuen Stadt in ein heruntergekommenes Haus, das außer ihr nur noch eine alte Frau namens Lilly bewohnt. Nachdem Sandra ihr einmal zu Hilfe kommt, gewöhnen sich die beiden unterschiedlichen Frauen mehr und mehr aneinander. Die im Futter eines alten Huts versteckten Briefe geben Hinweise auf Lillys große Liebe, doch Lilly weicht Sandras unbequemen Fragen aus. Mit der Liebe hat Sandra selbst schlechte Erfahrungen gemacht. Ob sich das mit Marek ändert, dem jungen polnischen Bauarbeiter, der im Bautrupp die Hausfassade renoviert?
"Vier Wochen im Juni" ist das sensible Portrait zweier ungleicher Frauen und ihrer ungewöhnlichen Freundschaft, die sich trotz aller Unterschiede in Herkunft oder Generation entspinnt. Nur auf den ersten Blick haben Sandra und Lilly nichts miteinander gemein außer der Wohnadresse. Sandra lässt niemanden an sich heran, schottet sich nach der traumatischen Erfahrung mit ihrem Exfreund und ihrer Verurteilung von der Welt ab. Auch in der Altkleidersammelzentrale, wo sie ihren Dienst ableistet, beschränkt sie ihre sozialen Kontakte aufs Nötigste. Ihr (begründetes) Misstrauen gegenüber Männern sitzt tief, ist verinnerlichter Selbstschutz.
Lilly wiederum flüchtet sich in die – nicht nur glücklichen – Erinnerungen an die eigene Jugend und ihre große Liebe. Ihre wohlmeinende Tochter würde sie lieber im Heim sehen als auf sich gestellt und isoliert. Je mehr Sandra und Lilly sich im Laufe der vier Wochen einander öffnen, umso deutlicher werden die Parallelen. Beide sind sie von der Liebe enttäuscht, im Leben zu kurz gekommen. Ihren Rückzug nach innen symbolisiert das marode Haus, das renoviert wird, obwohl es mehr nach Abriss aussieht und dessen innere Zustände noch desolater sind als die äußeren. Das Baugerüst hält das Haus förmlich zusammen und verstärkt den Eindruck eines gepanzerten Kokons oder Schneckenhauses. Die beiden Einzelgängerinnen brauchen einander; durch ihre gegenseitige Anteilnahme ändert sich viel für beide. Muss Lilly sich der Vergangenheit stellen, ist Sandras Herausforderung ihre Zukunft.
Als dritter und vorantreibender Pol tritt Marek ins Leben der beiden Frauen. Auch er ist ein Außenseiter; Sandra erkennt in ihm ihre eigene Verlorenheit und Sehnsucht nach Nähe wieder. Sie lernt quasi mit Lilly, bringt jene dazu, sich ihrer Lebenslüge zu stellen und die Wahrheit auszusprechen, auch der Tochter gegenüber, und steht am Ende vor derselben Entscheidung wie einst Lilly: die Liebe an widrige Umstände zu verlieren oder etwas zu riskieren – zu vertrauen.
Henry Meyer, bei uns durch seinen Kinderfilm "Der Lehrling des Meisterdiebs" (1992) bekannt, hat "Vier Wochen im Juni" als Kammerspiel angelegt. Meyers Theatererfahrung und die seiner drei Hauptdarsteller ist dem Film anzusehen. Die fantastische Besetzung ist ohnehin der größte Trumpf des Films. Ghita Nørby spielt die eigenbrödlerische Alte ohne Eitelkeit. Tuva Novotny ist eine Entdeckung; in ihrem Gesicht spiegeln sich Verlorenheit und Suche. Der Film kommt mit wenig Dialog aus, vertraut ganz seinen starken Bildern, die die Zustände einer kalten Welt einfangen und genau da Wärme zeigen, wo man sie am wenigsten erwartet. Ein leiser Film, der jedoch nicht verquast daherkommt, sondern mit extrem glaubwürdigen Figuren und einer zeitgemäßen Geschichte über Freundschaft, Liebe und Vertrauen überzeugt. "Vier Wochen im Juni", im Wettbewerb von 14plus / Berlinale 2006, wurde von der Jugendjury mit dem Gläsernen Bären ausgezeichnet.
Ulrike Seyffarth
Inhalt der Print-Ausgabe 106-2/2006
Filmbesprechungen
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