Zum Inhalt springen

Ausgabe 69-1/1997

MATILDA

MATILDA

Produktion: TriStar Pictures, Jersey Films; USA 1996 – Regie: Danny DeVito – Buch: Nicholas Kazan, Robin Swicord, nach dem gleichnamigen Buch von Roald Dahl – Kamera: Stefan Czapsky – Schnitt: Lynzee Klingman, Brent White – Musik: David Newman – Darsteller: Mara Wilson (Matilda), Danny DeVito (Herr Wurmwald), Rhea Perlman (Frau Wurmwald), Embeth Davidtz (Fräulein Honig), Pam Ferris (Knüppelkuh) u. a. – 95 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Columbia TriStar – Altersempfehlung: ab 8 J.

"Alle werden geboren, aber nicht alle werden gleich geboren ... Jedes menschliche Wesen ist einzigartig, im Guten wie im Bösen." Matilda, in eine ignorante Horrorfamilie hineingeboren, ist noch ein bisschen einzigartiger als andere. Doch weder ihre bingoverrückte Mutter Zinnia noch der Schrottwagen zu Superpreisen verkaufende Vater Harry nimmt die Tochter wahr. Nach der Geburt, auf dem Heimweg aus der Klinik zum Beispiel, vergessen sie schlicht das neue Familienmitglied im Auto. Auch sonst fällt ihnen nicht auf, dass sie eine Tochter haben. Und was für eine! Sie schmiert zwar mit ihrem Spinatbrei herum wie jedes Baby, das keinen Spinat mag. Aber dass sie mit ihrem Fingerchen 'Matilda' in die grüne Masse schreibt, wird weggewischt. Für die Eltern zählt nur der fettgefütterte Sohn, Kronprinz der Familie, zum Nachfolger in Vaters Schrottgeschäft auserkoren. Morgens verlassen alle drei das Haus, für Klein-Matilda wird per Mikrowelle und Fertiggericht gesorgt.

Da Matilda zu Hause nichts zu erwarten hat, lernt sie sehr früh auf eigenen Füßen zu stehen und sich selbst zu versorgen. Schon mit drei brutzelt sie sich leckere Pfannkuchen, mit vier geht sie heimlich in die Bibliothek. Nachdem sie alle Kinderbücher kennt, führt die durchblickende Bibliothekarin den intelligenten Winzling in andere Abteilungen und erlaubt, Bücher mit nach Hause zu nehmen. Und damit geht das Donnerwetter los. "Was ist das", schreit der Vater, "Charles Dickens", doch der Vater versteht nur ficken und haut seiner kleinen "Klugscheißerin" eine runter, zwingt sie fernzusehen, "wo doch alles in dem Kasten drin ist, was ein Mensch an Wissen und Erfahrung braucht". Da passiert es zum ersten Mal: Durch Wut und Zorn erwachsen Matilda übersinnliche Kräfte und schon explodiert der Fernseher. Matilda wünscht sich nichts sehnlicher als zur Schule zu gehen. "Du bist doch erst vier", bescheinigt ihr der Vater. Matilda widerspricht: "Sechseinhalb". Die Mutter wird zu Rate gezogen, tippt auf fünf. Das nur zur Familiensituation im Hause Wurmwald.

Das nächste Horrorkapitel ist die Schule, in die Matilda gesteckt wird, mit einer Schuldirektorin namens Knüppelkuh, die einst im Kugelstoßen, Hammerwerfen und Speerwurf bei der Olympiade antrat. Diese Praktiken wendet sie bei den Kindern an, verbreitet Angst und Schrecken. Aber da ist noch das Fräulein Honig, süß wie ihr Name, eine Lehrerin nach dem Herzen der Kinder. Sie erkennt Matildas ungewöhnliche Begabung, aber an die übersinnlichen Kräfte des Mädchens möchte sie nicht glauben, bis Matilda es ihr beweist. Und aufgrund dieser Kräfte gelingt es schließlich Matilda, gemeinsam mit den anderen Kindern die Hexe in Gestalt der Direktorin zu vertreiben und Fräulein Honig zu ihrem Recht und einem Kind zu verhelfen. Sie adoptiert Matilda.

Eine echte Roald-Dahl-Geschichte, bizarr, aberwitzig, schräg und schrill, mit einem Mädchen, das nicht lernen und lesen darf, weil das verderbliche Einflüsse sind; das in seiner Familie total unverstanden, unerkannt und alleingelassen ist. Das aber nicht resigniert, sondern sich sagt: Wenn ich keine Freundin habe, muss ich mir selbst eine sein. Danny DeVito, Regisseur des Films und selbst in der Rolle des Vaters zu sehen, hat Matilda nicht als kleines Monster dargestellt, sondern als ein Mädchen, das sich freuen kann wie andere und fürchten, obwohl sie übersinnliche Kräfte besitzt. Ein modernes Märchen mit allen Elementen des klassischen, mit einer angenehmen Erzählstimme aus dem Off, mit klaren Aussagen von Gut und Böse, mit phantastischen Übertreibungen, himmelschreienden Ungerechtigkeiten, dummen Erwachsenen und klugen Kindern. Ein Filmvergnügen mit gruseligen, atemberaubenden, abstrusen Momenten, aus denen Matilda als Siegerin hervorgeht, eine Heldin, die mit ihren Gedanken die Welt verändern kann. Nicht nur kleine kluge Mädchen, die gern lesen und lernen, werden Matilda lieben, sondern alle Kinder, weil sie ihnen zeigt, dass es immer Wege und Auswege gibt, auch wenn man keine übersinnlichen Kräfte hat.

Gudrun Lukasz-Aden

 

Permalink für Verlinkungen zu dieser Seite Dauerhafter, direkter Link zu diesem Beitrag


Ausgabe 69-1/1997

 

Filmbesprechungen

ALICE IN DEN STÄDTEN| AMY UND DIE WILDGÄNSE| DER BLAUE PFEIL| BOGUS| DRAGONHEART| FÜR IMMER UND IMMER| JENSEITS DER STILLE| LAUF, WENN DU KANNST| MATILDA| NAPOLEON – ABENTEUER AUF VIER PFOTEN| NARAN| RASMUS UND DER VAGABUND| DER TASCHENDIEB| DER VATER| VERSPROCHEN IST VERSPROCHEN| DAS ZAUBERBUCH|

Interviews

Albers, Margret - "Wir haben die seltene Chance, Fachleute und Adressaten zusammenzuführen"| Bohm, Hark - "Ich habe nie daran gedacht, einen Film nur für Kinder zu machen"| Burckner, Clara - "Für einen Kinderfilm muss außergewöhnlich intensive Verleiharbeit geleistet werden"| Meyer, Werner - "Als Regisseur ist man immer ein Grenzgänger"| Rottländer, Yella - "Wim Wenders ist begnadet im Umgang mit Kindern beim Drehen" |


KJK-Ausgabe 69/1997

 

Anzeigen:

Einzelne Ausgaben:

Filmtitel nach Alphabet:

Zusatzmaterialien:

Volltext-Suche:

 

 


Sonderausgaben bestellen!