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Ausgabe 28-4/1986

Den Kindern eine andere Beziehung zur Natur plausibel machen

Gespräch mit Usman Saparow

(Interview zum Film EIN MANN VON ACHT JAHREN)

Der turkmenische Regisseur Usman Saparow – Absolvent der Moskauer Filmhochschule (Kamera und Regie), Schüler von Alexander Mitta – hat mit seinem ersten langen Spielfilm "Ein Mann von acht Jahren" (Studio Turkmenfilm, Aschchabad, UdSSR 1983) bereits internationalen Erfolg. Der Film erhielt Preise u. a. in Moskau, Mannheim, Tomar/Portugal. Er schildert die Erlebnisse des kleinen Tschaman bei seinem Vater und dem Großvater, die als Hirten eine riesige Schafherde in der Wüste versorgen. Werner Paul sprach anlässlich des "Festivals des sowjetischen Kinderfilms" in München, wo dieser Film mit großem Erfolg lief, mit Usman Saparow.

KJK: Herr Saparow, Ihr Film "Ein Mann von acht Jahren" hat 1983 bei der 32. Internationalen Filmwoche den Großen Preis der Stadt Mannheim bekommen. In den Medien der Bundesrepublik wurden aber auch einige Stimmen laut, die diesen Film total ablehnten. Angeblich sei Ihr Beitrag, dessen Originaltitel "Männererziehung" heißt, ein Film, in dem es keinen Platz für Mädchen und Frauen gebe, ja ein Film, der mit einer reaktionären patriarchalischen Ideologie durchdrungen sei, beziehungsweise der die unmenschlichen Ideale des Heldentums preise ...
Usman Saparow: "Hätte ich statt Tschaman vielleicht seine Schwester in den Brunnen hinablassen sollen, der so tief war und der unverzüglich repariert werden musste? Oder hätte ich lieber die Herde verdursten lassen sollen, um nicht die unmenschlichen Ideale des Heldentums zu erzeugen? Das Leben, das im Film die beiden Hirten führen, ist der Alltag von Tausenden Turkmenen. Es ist hart, aber es hat seine Berechtigung, Würde und Poesie. Eben das beginnt Tschaman, freilich auf seine Art des sechsjährigen Jungen, zum Schluss des Films zu verstehen. Dieses Männerleben muss geführt werden, um den Familien die menschliche Existenz zu ermöglichen: In jenen harten Bedingungen werden Einsicht, Solidarität und Verantwortung geboren. Daran nimmt Tschaman teil, während die städtischen Jungen nichts anderes im Sinn haben, als ihre Freizeit totzuschlagen und sich auf das Leben ohne, ja gegen die Natur zu gewöhnen. Und es gibt immer neue Städte, und der Anteil der städtischen Bevölkerung wächst ständig."

Jemand kann vielleicht sagen: Bei Ihnen in Turkmenistan ist es doch halb so schlimm. Ihr Land ist zweimal so groß wie die Bundesrepublik und hat nur drei Millionen Einwohner – was kann schon in einem solchen Land passieren? Die Zivilisation, das sind bei Ihnen doch nur Oasen in der unberührten Natur – es lässt sich unter derartigen Umständen gar nicht gegen die Natur leben. Was Ihren Städten droht, sind doch keine Umweltkatastrophen, sondern "ganz gewöhnliche" Naturkatastrophen: Stürme, Dürre, Erdbeben.
"Würde jemand so etwas sagen, er würde irren. Erstens, uns drohen sehr wohl Umweltkatastrophen, ja wir erleben sie. Ein Beispiel: Um die Versiegung des Kaspischen Meeres zu unterbinden, hat man beschlossen, die Enge zu schließen, die die Bucht Kara-Bogas mit dem Kaspischen Meer verbindet. Die Folge: Diese Bucht, immerhin 18.300 Quadratkilometer Wasserfläche mit ihrer einmaligen Flora und Fauna und mit ihrem unglaublichen Mineralienreichtum, trocknet aus. Ganze Tier- und Pflanzenarten verschwanden bereits, und der Wind treibt Mineralsalze durch die ganze Region: Ihr ökologisches Gleichgewicht ist dahin. Jetzt hat man die Sperre wieder geöffnet, aber ist es nicht zu spät? Zweitens, ich betrachte es ebenfalls als eine Umweltkatastrophe, wenn Menschen gleichgültig gegenüber der Natur sind. Diese Gleichgültigkeit ist der Nährboden, auf dem die bisherige, fast möchte man sagen, offizielle Auffassung der Beziehung Mensch-Natur gedeiht: nehmen, und sei es mit Gewalt."

Die Kinder, an die Sie sich mit Ihren Filmen wenden, sind dafür aber am wenigsten verantwortlich.
"Man kann jedoch den Kindern plausibel machen, warum eine andere Beziehung zur Natur notwendig ist: Damit sie einmal als Erwachsene in Ordnung bringen, was von uns kaputtgemacht wurde. Viel Zeit bleibt der Menschheit nicht. In meinem neuen Film 'Das Abenteuer auf den kleinen Inseln' (in Moskau und Aschchabad bereits ein Publikumserfolg, Anm. d. Verf.), der übrigens im Kaspischen Meer spielt, leben drei Menschen, ein alter Mann und zwei Kinder, in der unberührten Natur. Auf jenen 'kleinen Inseln' gibt es Seehunde, Warane, Kulane, Schlangen und vor allem Vögel. Von Zeit zu Zeit kommen Wilderer, aber die von ihnen angerichteten Schäden kann die Natur noch im Selbstheilungsprozess beseitigen. Doch gibt es auf den Inseln bereits auch Farbzeichen, die hier eine geologische Expedition aufgestellt hat: Wenn die Probebohrungen einmal beginnen würden, ist es endgültig vorbei auch mit diesem Vogelparadies ... In der Schlussszene beseitigen der alte Mann und sein Enkel die Zeichen der Geologen ..."

Und das hat man Ihnen erlaubt, Ihren Film einfach so auslaufen zu lassen?
"Das hat man mir erlaubt. Zunächst wollte ich meinen Film mit der Invasion der Maschinen, Geräte und Bauteile auf den Inseln beenden: Die Probebohrungen beginnen, für Tiere gibt es keinen Platz mehr. Das hat man mir nicht erlaubt."

Und Sie haben sich auf einen Kompromiss eingelassen ...
"Kompromiss? Ich habe es so gemacht: Dicht an der Insel fährt ein großes Schiff vorbei. Man hört Lärm, Stimmen, laute Musik. Die beunruhigten Vögel fliegen weg. Dann verschwindet das Schiff wieder: Der alte Mann und der Junge warten auf die Vögel. Und eben beginnen sie, die Zeichen der Geologen zu beseitigen. Es ist doch noch stärker ausgedrückt als vorher."

Das Gespräch führte Werner Paul

Anmerkung: Zum "Festival des sowjetischen Kinderfilms" enthielt die Süddeutsche Zeitung vom 24.10.86 eine Sonderseite des Feuilletons, u. a. mit diesem Interview von Werner Paul mit Usman Saparow.

 

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