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Ausgabe 29-1/1987

Kinderfilme: Mit Emotionen gegen Vorurteile

Gespräch mit Rolf Silber, Regisseur der "Stadtpiraten"

(Interview zum Film DIE STADTPIRATEN)

Eigentlich sollte es ein ganz anderer Film werden. Zu den "Stadtpiraten" kam Rolf Silber über einige Umwege: In einem Frankfurter Jugendzentrum lernte er eine Gruppe von Kindern kennen, die sich bandenmäßig organisierten und ihre Umgebung unsicher machten. Ein Spielfilm zum Thema Kinderbanden wurde jedoch vom verantwortlichen Fernsehredakteur abgelehnt mit der Begründung, dies wäre eher ein Thema für Erwachsene. Für Kinder selbst hätte so ein Film einen zu großen Vorbild-Charakter. Wie sollte es nun weitergehen? Das ganze Projekt über den Haufen werfen, oder weitermachen? Die Kinderbande stand ja schon; Figuren, Namen und Charakterzüge waren entworfen: Monster, Schnulli, Chips, Breschnew, Püppi und der kleine Bazille hatten schon Gestalt angenommen. Warum also nicht einmal einen Kinder-Krimi drehen, der die meist unerträglichen, aber sehr bekannten englischen Kinderserien auf den Arm nimmt?! So wurden für die "Stadtpiraten" die gängigen Strukturen übernommen, Kinder in scheinbar realistische Kriminalfälle verwickelt, dieses stark überzogen – und somit stand die Komödie.

Kinderfilme: Mit Emotionen gegen Vorurteile

Rolf Silber wollte nicht "nur" eine Kinder-Komödie drehen, sondern er möchte mit seinen Kinderfilmen Neugierde wecken, durch die emotionale Wirkung von Filmen gegen Vorurteile angehen; er möchte keine Probleme erklären. Zu den "Stadtpiraten" meint er, dass es ihm u. a. um die Annäherung an Außenstehende geht: Ein Fremder, Außenstehender ist der Leutnant Lee Collins (Ron Williams) – Angehöriger der amerikanischen Armee in Berlin und Schwarzer. Doch er ist nicht nur für die Kinder ein Sonderling, durch seinen Kontakt zu der Kindergruppe wird er dann auch zum Außenstehenden für seinen Vorgesetzten und seine Einheit.

Ein Film, den Rolf Silber gerade in der Hinsicht, Fremden gegenüber offen zu sein, als gelungen bezeichnet, ist für ihn "E.T.". Außerdem ist es ein Film, der sich nicht nur an Kinder wendet, sondern den auch Erwachsene gerne sehen. Seiner Ansicht nach gibt es keinen spezifischen Kinderhumor – wenn Erwachsene nicht mindestens schmunzeln können, mögen Kinder erst recht nicht lachen.

Rolf Silber dreht gerne Kinderfilme, da er hier seiner Phantasie freieren Lauf lassen kann, in der Auswahl von Stoffen und Figuren, in der Gestaltung abenteuerlicherer Geschichten; Zufälle werden nicht sofort in die Schublade "Unlogik" abgeschoben. Wobei er hier betont, dass der Film natürlich einer inneren Logik folgen muss. Kinderfilme dürften selbstverständlich (!) nicht weniger sorgfältig inszeniert werden als andere Filme. Anspruch bleibt immer, einen guten Kino- oder Fernsehfilm zu drehen. "Kinderfilme" und so besonders auch "Kinderfilmer" würden oft nicht für voll genommen; ein – völlig unverständlicherweise – negativ besetztes Etikett. Rolf Silber jedenfalls versteht sich und seine Kollegen als Regisseure, ohne "Etikett".

Zur Arbeit mit den Kindern

Mit Ausnahme von Julia Martinek, die u. a. schon in "Flussfahrt mit Huhn" (auch eine Produktion der Frankfurter Filmwerkstatt) mitspielte, hatten die anderen Kinder keinerlei Schauspielerfahrung. Rolf Silber war es wichtig, wenigstens ein Kind mit Erfahrung dabei zu haben. Die anderen Kinder fand er einerseits durch einen Aufruf über den Rundfunk, andererseits, indem er als "Lehrer-Referendar" in verschiedenen Schulen am Unterricht teilgenommen und die Kinder beobachtet hatte. So entdeckte er die beiden Jungen, die "Monster" und "Bazille" darstellen sollten. Über den Rundfunk trafen dann ca. 100 Kinder ein. Zunächst einmal wurden sie interviewt. Dem Stab ging es darum zu sehen, wie die Kinder reagieren, ob sie sich schnell einschüchtern lassen, wie sie sprechen, sich bewegen etc. Daraufhin wurde eine Vorauswahl getroffen und Probeaufnahmen gemacht.

Gearbeitet wurde mit einem festen Drehbuch, wobei die Kinder durchaus die Möglichkeit hatten einzugreifen. Der kleine "Bazille" ließ sich nur unter Protest Passagen aus seinem Text streichen. Oft genug meinten sie jedoch, dass "man dies hier nun wirklich anders sagt". Die "Stadtpiraten" hatten wenige Schwierigkeiten, in dem Film mitzuspielen, da die Spielsituation für sie leicht nachvollziehbar war.

Natürlich hat die Arbeit auch Spaß gemacht, was zum Beispiel in der Szene "Kuchen backen für den Colonel", die übrigens improvisiert wurde, besonders deutlich zu sehen ist. Nach kurzer Zeit hatten die Kinder die Strukturen der Gruppe im Film auch in ihrer Freizeit übernommen. Die Profi-Schauspieler und die Kinder verstanden sich während der Dreharbeiten bestens. Besonders Ron Williams, der Leutnant Lee Collins, kam mit den Kindern gut klar. Gedreht wurde in einem festen Zeitplan von 23 Tagen Ende Oktober 1985.

Neue Projekte – Große Träume

Rolf Silber arbeitet im Moment an dem Drehbuch zu einem Film mit dem Arbeitstitel "Georginas Drache". Der Kritik, in seinem Film "Die Stadtpiraten" kämen die Mädchen viel zu kurz, konnte er so leicht entgegnen, dass in seinem neuen Projekt die Hauptfigur ein Mädchen sei.

Georginas Hund heißt Drache, und man weiß nicht so genau, ob er nicht vielleicht auch einer ist. Das Mädchen und seine Mutter können auch ein wenig zaubern, deswegen geraten sie dauernd in Schwierigkeiten. Ein Film, bei dem Rolf Silber Realistisches mit ungewöhnlichen, ein wenig mystischen Wendungen phantasievoll verbinden kann.

Mit Rolf Silber sprach Dagmar Riekenberg

 

Biofilmografie

Rolf Silber, Jahrgang 1953, studierte nach der abgeschlossenen Lehre als Bankkaufmann an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1980 ist er Gesellschafter der Frankfurter Filmwerkstatt GmbH. Arbeitet als Autor, Regisseur und Cutter. 1980-1985 drehte er etwa 100 kurze Trick-, Handpuppen- und Slapstickfilme für das Kinderfernsehen des Hessischen Rundfunks.

Filme u. a.: 1976 "Brokdorf" (Co-Regie, Kamera, Schnitt); 1982 "Kassensturz" (Regie und Drehbuch); 1983 "Keine Startbahn West ..." (Co-Regie, Kamera); 1985 "Rodgaumelodies" (Regie); 1985 "Die Stadtpiraten" (Regie und Buch).

16mm-Verleih für den Film "Die Stadtpiraten": atlas film + av Duisburg

 

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