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Ausgabe 39-3/1989

LAND DER VÄTER, LAND DER SÖHNE

Produktion: NHF Nico Hofmann Filmproduktion München / B.A. Bob Arnold Filmproduktion München, im Auftrag von Südwestfunk und Bayerischem Rundfunk, BRD 1988 – Regie und Drehbuch: Nico Hofmann – Kamera: Laszlo Kadar – Schnitt: Clara Fabry-Gasser – Musik: Peter Zwetkoff – Darsteller: Karl-Heinz von Liebezeit (Eberhard/Thomas Kleinert), Katharina Meinecke (Dorothea Kleinert, alt), Lieselotte Rau (Dorothea Kleinert, jung), Wolfgang Preiss (Bernauer), Eva Kotthaus (Maximiliane Kleinert) u. a. – Laufzeit: 85 Min. – Farbe und schwarzweiß – FSK: ab 6, ffr. – Verleih: Filmverlag der Autoren (35mm); Matthias-Film BAG-Clubfilmothek (16mm)

Der zweite lange Spielfilm des jungen Regisseurs Nico Hofmann ("Der Krieg meines Vaters") beschäftigt sich wiederum mit der jüngsten deutschen Geschichte. Der 25-jährige Thomas Kleinert, Sohn eines Fabrikanten und Journalist bei einer kleinen Provinzzeitung, erfährt eines Tages, dass sein Vater 1972 Selbstmord begangen hat. Diese Wahrheit, von seiner Mutter all die Jahre vor ihm zurückgehalten, lässt dem Sohn keine Ruhe, und er beginnt mit umfangreichen Recherchen nach den Gründen für den Freitod des Vaters.

Eberhard Kleinert, Erbe einer Maschinenfabrik, hatte 1942 in Lublin im von den Nazis besetzten Polen eine "arisierte" jüdische Firma übernommen. Als billige Arbeitskräfte waren in der Fabrik Häftlinge aus polnischen Konzentrationslagern eingesetzt. Mit den in diesem Zweigwerk erwirtschafteten Gewinnen baute Kleinert sein deutsches Stammwerk aus. 1945, kurz vor dem Kriegsende, verlagerte Kleinert große Teile des polnischen Maschinenparks mit als Verwundeten-Transporten getarnten Güterzügen der Deutschen Wehrmacht in die Heimat, wo er sie nach 1945 für den Neuaufbau seiner Hauptfabrik nutzte. Ende der 60er-Jahre sickerten Einzelheiten dieses Abschnitts der Firmengeschichte in die Öffentlichkeit durch, und Eberhard Kleinert sah keinen anderen Ausweg, sich aus den schuldhaften Verstrickungen seines persönlichen Schicksals in die politische Entwicklung zu befreien, als sich selbst zu töten. In einem Hotelzimmer in Mannheim erschoss er sich.

Thomas Kleinert, der Sohn, der seinen Vater als Junge immer sehr verehrt hatte, ohne von dessen skrupellosen Transaktionen etwas gewusst zu haben, ist zutiefst betroffen. Er fährt nach Lublin, um an Ort und Stelle Spurensuche zu betreiben. Stück für Stück entreißt er die Wahrheit der Vergessenheit, und wie als Versuch zu einer Wiedergutmachung veröffentlicht er die Geschichte seines Vaters in der Presse. Sein Artikel trägt die Überschrift: "Ein schmerzhafter Blick zurück ins Land der Väter".

Nico Hofmann erzählt die Reise des Thomas Kleinert in die Vergangenheit seines Vaters auf zwei formalen Ebenen, die er überzeugend miteinander verknüpft: Die Gegenwart des Sohnes erscheint wie selbstverständlich in abgestufter Farbigkeit, während die nach und nach sich enthüllenden Bilder der Vergangenheit des Vaters in düsterem Schwarzweiß auftauchen. Der Film beginnt und endet in jenem Mannheimer Hotelzimmer, in dem Thomas den Tod seines Vaters in seiner Phantasie nacherlebt. Hier auch wird der Zuschauer zweimal Zeuge seines imaginären Versuchs, das tödliche Vorhaben des Vaters zu verhindern: Mit einer stark anrührenden vergeblichen Geste greift seine Hand in Großaufnahme nach der des Vaters, die den schon entsicherten Revolver hält. Mit dieser Einstellung, deren Sinngehalt sich erst bei ihrer Wiederholung am Schluss voll erschließt, gelingt Hofmann eine lange nachwirkende, beide Handlungsebenen kunstvoll miteinander verschränkende Schlüsselszene seines Films: Das liebende und mitfühlende Gedenken des Sohnes an seinen Vater stößt an die nicht überschreitbare Grenze der Wahrheit von dessen Schuld – und findet damit auch sein Ende.

Der inszenatorische Einfall des Regisseurs, die Rollen des Vaters und des Sohnes mit demselben Schauspieler zu besetzen, kann vom Ergebnis der filmischen Wirkung her als gelungen bezeichnet werden. Er erreicht mit der physiognomischen Identität seiner beiden Protagonisten eine einleuchtende Authentizität der beiden zeitlich über 40 Jahre auseinander liegenden Handlungsstränge, mehr noch: Durch die absolute Ähnlichkeit beider Gesichter werden die gedankliche Identifizierung des Sohnes mit dem Vater und seine spätere Distanzierung von ihm in ihrer Wirkung glaubhaft verstärkt. Andererseits gibt es dadurch, besonders bei abrupten Übergängen vom Damals zum Jetzt, trotz des Farbwechsels der Bilder hier und da gewisse Orientierungsschwierigkeiten, die vielleicht durch geringe Nuancen im Make Up hätten vermieden werden können.

Aus dem großen Aufgebot an guten Schauspielern bleibt ansonsten vor allem Katharina Meinecke als Thomas' Mutter in Erinnerung, eine Frau, die aus Liebe zum Sohn und zum Mann so viele Jahre lang das Schicksal des Eberhard Kleinert in schweigendem Dunkel gehalten hatte, ohne darüber nachzudenken, dass dieses Schweigen ein fataler Irrtum war.

"Land der Väter, Land der Söhne" ist eine eindrucksvolle Widerlegung der These von der "Gnade der späten Geburt", und gleichzeitig räumt der Film auf mit der vordergründig bequemen Forderung, nun müsse endlich einmal Schluss sein mit der Vergangenheitsbewältigung. Die Generation der Söhne, so zeigt der Film, kann nicht wahrhaftig leben ohne das Wissen um die Vergangenheit ihrer Väter, und er zeigt auch die Notwendigkeit auf, das dumme Vorurteil von der "Kollektivschuld" der Deutschen zu relativieren. In diesem Sinne kann Hofmanns Gedankenarbeit zur historischen und politischen Bildung gerade der jungen Menschen heute initiieren.

Bernt Lindner

 

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