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Ausgabe 93-1/2003

TINKE – KLEINES STARKES MÄDCHEN

ULVEPIGEN TINKE

TINKE – KLEINES STARKES MÄDCHEN

Produktion: ASA Film Produktion; Dänemark 2002 – Regie und Buch: Morten Kohlert, nach dem Roman "Hungerbarnet" von Cecil Bodker – Kamera: Bo Tengberg – Schnitt: Anne Oesterud, Janus Billeskov Jansen – Musik: Fläskkvartetten – Darsteller: Sarah Juel Werner (Tinke), Peter Jeppe Hansen (Laurus), Lisbeth Dahl, Erik Wedersoe – Länge: 92 Min. – Farbe – 35 mm – Weltvertrieb: Nordisk Film International Sales, Halmtorvet 29, 1700 Kopenhagen, Dänemark – Fon: +45 33 26 68 80, Fax +45 33 26 68 89, e-mail: contact@nordisk.dk – Altersempfehlung: ab 8 J.

Schon immer haben viele Kinderfilmfreunde neidisch nach Skandinavien geblickt, wo seit Jahren kontinuierlich qualitativ hochwertige Kinderfilme aller Art entstehen. Das beweist sich auch jetzt wieder, wo gerade der dänische Kinder-Actionfilm "Kletter-Ida" in die Kinos gekommen ist. Morton Kohlerts erster Kinderfilm "Ulvepigen Tinke" ist dagegen von ganz anderer Art und insofern auch ein Beweis für die Vielfältigkeit dieses Kinos.

Ort der Handlung ist das ländliche Dänemark vor ca. 150 Jahren: Der etwa zwölfjährige Laurus arbeitet als Knecht auf einem Hof, der einem reichen Herrn gehört, aber von einem mürrischen Verwalter geführt wird. Eines Tages findet Laurus beim Weiden seiner Tiere die halbverwilderte Tinke, die offenbar schon seit längerem ganz allein im Wald lebt und sich zunächst seinen Versuchen widersetzt, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Laurus gibt nicht auf, die beiden freunden sich an und Tinke erzählt ihre Geschichte: Sie lebte ganz allein mit ihren Eltern mitten im Wald, denn die waren einst verstoßen worden, weil die Tochter aus reichem Hause sich für einen armen Schlucker entschieden hatte. Nachdem erst der Vater und dann die Mutter starb, ist Tinke allein. Laurus nimmt Tinke mit auf den Hof, wo die Bäuerin sie recht schnell in ihr Herz schließt. Der Gutsverwalter aber will nichts, als das widerspenstige, freche Gör so schnell wie möglich wieder loswerden. Als er die reichen Großeltern der Kleinen findet, soll sie dort wohnen. Doch Tinke hat sich längst nicht nur mit Laurus angefreundet, sondern auch mit dem ebenso starken wie behinderten Sohn des Verwalterpaares, der von diesen wie ein Tier im Stall gehalten wird. Im Haus der feinen Leute angekommen, benimmt sie sich – teils bewusst, teils unbewusst – ziemlich ungehörig. Dieses Verhalten überzeugt jedoch den alten Herrn, dass Tinke wirklich seine Enkelin ist; ähnelt ihr ungebärdiges Verhalten doch sehr genau dem seiner Tochter, die er einst verstoßen hat und danach für tot erklärte ...

"Ulvepigen Tinke" erinnert manchmal an "Lehrling des Meisterdiebs", auch dort war ein starkes Mädchen auf der Suche nach dem eigenen Weg im Leben. Kohlerts Film besticht dabei vor allem im ersten Teil durch eine assoziative Montage und eine ausgefeilte Bildsprache, die so gar nichts mit betulichem Kostümkino zu tun hat. Im Gegenteil, dramatisch und spannend geht's zu, wenn wir Laurus' und Tinkes erste Begegnung förmlich mitfühlen: Sie hockt in einem Erdloch, es regnet und Laurus versucht an sie ranzukommen bzw. sie dort herauszuholen. Unter geschicktem Einsatz subjektiver Kamera zieht Kohlert den Zuschauer mitten ins Geschehen, erlaubt keine Distanz, sondern schafft unmittelbare Nähe zu seinen Figuren. All das wäre jedoch verschwendete Liebesmüh', hätte er nicht die beiden intensiven Kinderdarsteller Sarah Juel Werner und Peter Jeppe Hansen. Vor allem Sarah Juel Werner gehört damit in die Reihe exzellenter Jungschauspielerinnen, die das skandinavische Kino im letzten Jahrzehnt hervorgebracht hat. Es ist ihre Präsenz und Intensität, die den Film über weite Strecken fast alleine trägt und man nimmt ihr die endlose Trauer beim Tod der Mutter – eine wirklich extrem intensive Szene, die selbst hartgesottene Filmkritiker anrühren kann – ebenso ab, wie ihre frechen Streiche im Haus der feinen Leute. Ihre Darstellung lässt die Figur der Tinke so überzeugend als Katalysator wirken, die alle um sich herum verändert, derweil sie immer sie selbst bleibt; eine Figur, die der Filmemacher ähnlich sieht wie Jack Nicholson in "Einer flog über's Kuckucksnest", der ja auch "nur" ein Katalysator für die Veränderungen der ihn umgebenden Menschen war.

Unterstützt von einer leicht elegischen Musik schuf Morten Kohlert einen Familienfilm im besten Sinne des Wortes, aus dem sowohl Kinder als auch Erwachsenen etwas für sich mitnehmen können. Und der große Erfolg in Dänemark – 140.000 Zuschauer im Sommer letzten Jahres – bestätigte seine Arbeit; und die Leute sind sicherlich nicht nur deshalb ins Kino geströmt, weil die Autorin der Romanvorlage in ihrer Heimat so bekannt ist wie Astrid Lindgren.

Lutz Gräfe

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 93-1/2003 - Interview - "Wir hatten das Gefühl, etwas erschaffen zu haben, das alle berührte "

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.TINKE – KLEINES STARKES MÄDCHEN im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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Ausgabe 93-1/2003

 

Filmbesprechungen

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Interviews

Kohlert, Morton - "Wir hatten das Gefühl, etwas erschaffen zu haben, das alle berührte "| Lindner, Friedrich und Berghäuser, Laura - Schauspieler ist beim Film ja doch das Einfachste ...| Ried, Elke - "Die Grundstimmung ist lebensbejahend"| Schäfer, Horst - 25 Jahre KJF| Vorlícek, Václav - "Ich wollte sie befreien und in das normale Leben führen"| Wigand, Tomy - "Emotion ist mir total wichtig"|


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