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Ausgabe 93-1/2003

DER KLEINE VOGELNARR

PARANDEH BAZ-E KOUCHAK

Produktion: Farabi Cinema Foundation, Teheran; Iran 2002 – Regie und Buch: Rahbar Ghanbari – Kamera: Hamid Khozouee-Abyaneg – Schnitt: Hassan Hassandoust – Musik: Peiman Yazdanian – Darsteller: Reza Naji, Mehdi Shahabi, Sylva Andriasian, Samira Alaie u. a. – Länge: 77 Min. – Farbe – Kontakt: Farabi Cinema Foundation, Amir Esfandiari, 55, Sie-Tir Avenue, Teheran 11358, Fon +98 21 6701010, 6708156, Fax +98-21-6708155 -Altersempfehlung: ab 8 J.

Zwei neue Produktionen aus dem Iran feierten im Herbst 2002 auf dem 7. Internationalen Filmfestival "Schlingel" in Chemnitz ihre Deutschlandpremiere. Während im Jugendfilmwettbewerb der erschütternde Film von Ebrahim Forouzesh "Kinder des Öls" präsentiert wurde, lief im Kinderfilmwettbewerb "Der kleine Vogelnarr" des 1961 geborenen Regisseurs und Szenaristen Rahbar Ghanbari mit großem Erfolg.

Der Film führt uns in ein Dorf an der Grenze zu Aserbaidschan. Eine idyllische Landschaft erstreckt sich vor den Augen des Zuschauers: grüne Berghänge, blühende Wiesen, Vogelgezwitscher. Doch dann sieht man Männer mit Kartons voller Schnapsflaschen am Boden entlang robben, sieht Stacheldraht, schießende Soldaten, die die Männer in die Flucht schlagen. Viele Familien leben hier vom Alkoholschmuggel. Auch Behruz' Vater sitzt deswegen im Gefängnis. Von den Sorgen der Erwachsenen weiß der Junge nicht viel. Er hat nur eines im Sinn: seine Vögel. Zusammen mit seiner Schwester streift er durch die Berge, sammelt verlassene und verletzte junge Vögel ein und zieht sie in einem Holzschuppen beim Haus groß. Er beherrscht perfekt die Vogelsprache und kümmert sich so liebevoll um die gefiederten Gesellen, dass sie, wenn er ihnen die Freiheit zurückgibt, nicht mehr wegfliegen wollen.

Eines Tages stellt sich ein Mr. Gader als Freund des Vaters vor. Er gibt der Mutter Geld, mit dem sie die Hälfte ihrer Schulden zurückzahlen kann. Dafür möchte er, dass der kleine Behruz für ihn arbeitet. Er nutzt das Talent des Jungen, Vogelstimmen imitieren zu können, schamlos aus. Behruz muss nicht nur beim Fangen der Vögel mithelfen, sondern auch auf dem Markt in einem Kasten zwitschern, um die Kunden zu täuschen. Denn die Singvögel verstummen in der Gefangenschaft. Auf diese Weise werden auch eine Mutter und deren Tochter betrogen. Doch das Mädchen entdeckt Behruz und zeigt ihm wortlos seine Enttäuschung. Der kleine Vogelnarr ist beschämt. Er weigert sich standhaft, weiterhin für Mr. Gader zu arbeiten und macht sich auf die Suche nach dem unbekannten Mädchen. Schließlich entdeckt er es in einem Hotel und lockt es mit seinem Vogelgezwitscher ans Fenster. Als Wiedergutmachung möchte er ihr einen von seinen Vögeln schenken, denn diese singen garantiert. Doch am nächsten Tag ist das Hotelzimmer leer. Im Gebüsch findet Behruz einen Brief, in dem das Mädchen beschrieben hat, wo es wohnt. Mutter und Tochter kommen aus Aserbaidschan. Auch sie leben allein, denn der Vater des Mädchens gilt als vermisst.

Der kleine Vogelnarr kann seine unbekannte Freundin nicht vergessen. Jeden Tag wartet er am Grenzübergang auf sie, doch vergeblich. So beschließt er, heimlich die Grenze zu passieren und ihr den gelben Singvogel nach Hause zu bringen. Er weiß, dass er sich in große Gefahr begibt, aber er ist so beseelt von seinem Vorhaben und vielleicht auch zum ersten Mal ein bisschen verliebt, dass er es am Ende schafft. Als das Mädchen aus dem Fenster schaut, entdeckt es einen Käfig mit einem fröhlich trillernden Vogel. Behruz aber hat sich leise davon geschlichen ...

"Der kleine Vogelnarr" erzählt auf eine stille, aber sehr intensive Weise, wie ein achtjähriger Junge das erste Mal in seinem Leben in einen schweren Gewissenskonflikt gestürzt wird. Er, der die Natur liebt und ohne Argwohn den Erwachsenen begegnet, muss erfahren, wie schnell man für Betrügereien ausgenutzt werden kann und sich damit schuldig macht. Aber er muss auch begreifen, dass manchmal die Not die Menschen dazu bringt, Unrechtes zu tun. Behruz erfährt, dass sein Vater wegen Schmuggelei im Gefängnis sitzt und weiß, dass er – wie viele andere Männer im Dorf – nur so seine Familie ernähren kann. Trotzdem geht er nicht von seinen Idealen ab und versucht unter Einsatz des Lebens, seine Schuld wieder gut zu machen.

Regisseur Rahbar Ghanbari kommentiert nicht, er beschreibt, lässt durch ruhige, sensible Einstellungen eine starke Emotionalität entstehen. Gekonnt setzt er idyllische Landschaftsaufnahmen gegen die ärmliche Realität im Dorf und auf dem Marktplatz und spart nichts von der Not der Bevölkerung in dieser Region aus. Der Zuschauer ahnt, dass es hier bessere Zeiten gegeben hat, in denen die Menschen selbst bestimmt und im Einklang mit der Natur leben konnten. Ohne die Erwachsenen anzuprangern, zeigt Rahbar Ghanbari Möglichkeiten auf, sich den widrigen Umständen zu widersetzen. Und wie so oft in iranischen Filmen ist es das Kind, das zum Hoffnungsträger wird.

Barbara Felsmann

 

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Ausgabe 93-1/2003

 

Filmbesprechungen

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