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Ausgabe 101-1/2005

DER POLAREXPRESS

THE POLAR EXPRESS

Produktion: Warner Bros. / Castle Rock / Playtone / ImageMovers / Golden Mean / Shangri-La Ent. / Universal CGI; USA 2004 – Regie: Robert Zemeckis – Buch: Robert Zemeckis, William Broyles jr, nach dem Buch "Der Polarexpress" von Chris van Allsburg – Kamera: Don Burgess, Robert Presley – Schnitt: R. Orlando Duenas, Jeremiah O'Driscoll – Musik: Glen Ballard, Alan Silvestri – Darsteller: Tom Hanks (kleiner Held / Vater / Schaffner / Landstreicher / Weihnachtsmann), Michael Jeter (Smokey / Steamer), Peter Scolari (einsamer Junge), Nono Gaye (Mädchen), Eddie Deezen (Besserwisser) u. a. – Länge: 100 Min. – Farbe FSK: ab 6 – Verleih: Warner Bros. – Altersempfehlung: ab 8 J.

Was hat es mit Weihnachten auf sich? Gibt es den Weihnachtsmann wirklich? Der heldenhafte Junge dieser Geschichte ist genau in dem Alter, in dem man den Glauben an den Weihnachtsmann verliert. Aber wenn man wirklich wissen will, ob es den Weihnachtsmann am Nordpol gibt, dann hat man an der Schwelle vom Kind zum Jugendlichen eine letzte Chance, sich den Glauben zu wahren: den Polarexpress. Der Held der Geschichte weiß nicht, ob er wacht oder träumt, als er am Weihnachtsabend draußen etwas hört, bei dem das Haus erzittert. Kommt doch geradewegs durch den Schnee die Straße herunter ein Expresszug! Der Junge läuft hinaus und starrt den haltenden Zug an. Da kommt der Schaffner und sagt ihm, er solle endlich einsteigen, schließlich habe man auf ihn gewartet – und er habe nur diese eine Chance einzusteigen, wenn er die Wahrheit kennen lernen will.

Der Junge zögert, springt aber schließlich auf und gerät in eine abenteuerliche Fahrt zum Nordpol, bei der es um Freundschaft und Vertrauen, um Sorgen und Nöte geht, aber auch um große Gefahren. Auf dem Zugdach begegnet er einem Landstreicher, der mit ihm über den Sinn von Weihnachten debattiert und darüber, wie der Glaube dabei eine gewisse Rolle spielt. Nach vielen Irrungen und Wirrungen landet der Polarexpress am Nordpol, wo die Elfen die letzte Vorbereitung für den Start des Weihnachtsmanns zu seinem Geschenkflug um die Welt treffen. Fast verpasst der kleine Held samt dem heldenhaften Mädchen und dem armen Jungen den Start, aber dann nimmt sie der Weihnachtsmann mit und sie gelangen glücklich nach Hause. Dort öffnet der Junge das Geschenk des Weihnachtsmanns und sieht, es ist die Glocke, die diesem am Nordpol vom Mantel gesprungen ist und die zu Anfang keinen Ton von sich gegeben hatte. Erst als er an den Weihnachtsmann glaubte, fing sie zu klingen an. Und nun klingt sie für ihn weiter. Und für seine kleine Schwester. Nur die Eltern hören die Glocke nicht und denken, dass sie kaputt ist, denn für sie ist Weihnachten nur noch ein Fest wie so viele.

Es handelt sich hier um einen typisch amerikanischen Film über Weihnachten und den Sinn des Weihnachtsfestes. "Der Polarexpress" basiert auf einem beliebten Kinderbuch und übernimmt dessen naive, warmherzige Weltsicht, bauscht sie aber überdimensional zu einem Actionspektakel auf, das die Herzen der Kinder und ihrer Eltern rühren soll, die vielleicht schon längst vergessen haben, was der wahre Sinn der Weihnacht ist. Nun gut, man mag das Resultat Kitsch nennen, aber wenn schon, dann bitte edlen Kitsch, der ohne Umschweife aufs weihnachtlich gestimmte Gemüt zielt. Das Besondere an diesem Film ist, dass es sich nicht einfach um einen Film mit Schauspielern und Kulissen handelt, sondern um einen im Computer generierten Trickfilm. Allerdings, und das ist das Neue, wurden die Menschen zunächst real aufgenommen mit dem Performance Capture-Verfahren, bei dem die Schauspieler in einem Lycra-Anzug stecken, an dem Elektroden befestigt sind, die sämtliche Bewegungsdaten direkt an den Computer übermitteln, so dass später für jede Szene ein beliebiger Kamerawinkel festgelegt werden kann, aus dem der Darsteller gezeigt werden soll. Die eigentliche Computerarbeit besteht darin, die schauspielerische Leistung und Bewegung mit den Kostümen zu ergänzen und das Aussehen der Personen beliebig zu verändern. So war es möglich, dass Tom Hanks sechs Personen darstellen konnte (von denen aber nur fünf im Film wirklich eine Rolle spielen).

Das Resultat ist verblüffend, aber doch noch nicht ganz perfekt. Der kleine Junge sieht immer ein wenig so aus, als wäre er von unten aufgenommen, auch wenn man ihn direkt ansieht, der Faltenwurf der Kleidung wirkt häufig künstlich, aber abgesehen davon lässt sich am Computer viel zaubern: etwa der Landstreicher, der in Sekundenschnelle zu Schnee zerstiebt, oder die Tanznummer der Kellner, die problemlos die Wände des Eisenbahnwaggons hinauflaufen. Denkt man das Aufnahmeprinzip aber zu Ende, dann stellt sich die Frage, ob mit diesem System die bisherige Art Film zu machen, auf Dauer obsolet wird. Film nur noch als Trickfilm? Im Prinzip ist dies eher unwahrscheinlich, weil viele Realfilme in der Herstellung weit weniger Zeit beanspruchen als all die im Computer erstellten Trickfilme. Im Fall des "Polarexpress" bot sich die Methode an, weil die Geschichte phantastisch und märchenhaft ist. Die jungen Zuschauer nehmen das leichter als manche Erwachsene, denen sich die Haare aufstellen, weil es gruselig für sie ist, wie hier aus echten Menschen Kunstprodukte werden.

Alles in allem ist "Der Polarexpress" ein technisch interessanter, inhaltlich eher naiver, sehr sentimentaler, trotzdem dank einiger Anspielungen auf soziale Unterschiede nicht völlig zuckersüßer, an vielen Stellen spannender, auch lustiger Film, den man sich in der Weihnachtszeit wohl gefallen lassen mag. Ab etwa 8 durchaus verständlich und ansehnlich. Dem Computer ist im Übrigen wohl auch zu verdanken, dass die Aufschriften auf den Zugfahrkarten, in Lexika und überall dann, wenn sonst noch etwas vom Zuschauer verstanden werden muss, in der deutschen Fassung wirklich lesbar – weil deutsch – sind. Das hat zwar Walt Disney schon bei "Schneewittchen und die 7 Zwerge" vorexerziert, als für die deutsche Fassung auf den Bettchen der Zwerge – anders als im Original – deutsche Namen standen. Es wird manchmal bei der Produktion von Trickfilmen vergessen, dass das Zielpublikum einer Fremdsprache noch nicht mächtig ist. Beim "Polarexpress" hat man daran gedacht.

Wolfgang J. Fuchs

 

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