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Ausgabe 102-2/2005

NETTO

Produktion: HFF "Konrad Wolf" Potsdam; Deutschland 2004 – Regie und Buch: Robert Thalheim – Kamera: Yoliswa Gärtig – Schnitt: Stefan Kobe – Musik: Peter Tschernig – Darsteller: Milan Peschel (Marcel Werner), Sebastian Butz (Sebastian), Christina Grosse (Angelika), Stephanie Charlotta Koetz (Nora), Bernd Lamprecht (Bernd) – Länge: 86 Min. – Farbe – Verleih: Stardust – Altersempfehlung: ab 12 J.

Der 15-jährige Sebastian möchte sich nicht länger bevormunden lassen, als seine schwangere Mutter mit ihrem neuen Lebensgefährten in West-Berlin zusammenzieht und schlüpft kurz entschlossen in der heruntergekommenen Wohnung seines Vaters Marcel in Prenzlauer Berg unter. Doch Marcel, ein arbeitsloser Country-Fan, hat selbst jede Menge Probleme. Nachdem er mit einem Elektro-Laden gescheitert ist, versucht er sich im Security-Geschäft zu etablieren – bisher erfolglos. Der clevere Sebastian greift ihm rasch unter die Arme und betätigt sich als Bewerbungscoach für seinen ungeschickten Vater. Der nimmt die Ratschläge des Sohns meist an, so dass sich das Verhältnis zwischen beiden spürbar bessert. Allerdings entstehen neue Komplikationen, als Sebastian die etwa gleichaltrige Nora kennen lernt und sich eine zarte Romanze entwickelt.

Beim Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis im Januar 2005 konnte der junge Regisseur Robert Thalheim den Langfilm-Förderpreis für seinen Erstlingsfilm "Netto" mit nach Hause nehmen. Und in der Reihe "Perspektive Deutsches Kino" der Berlinale gewann er den Preis "dialogue en perspective" einer deutsch-französischen Jugendjury.

Thalheim, 1974 in Berlin geboren und seit 2000 Student an der Potsdamer Filmhochschule, drehte sein improvisationsreiches Langfilmdebüt ohne festes Drehbuch mit nur 4.500 Euro in nur zwölf Tagen als Teil eines Filmschulexperiments von Rosa von Praunheim. Oft hat man bei dieser unprätentiösen Sozialstudie das Gefühl, der Regisseur und sein kleines Team hätten nach ein paar Proben einfach drauflos gedreht, so locker wirken die Szenen, so lebendig erscheint die Inszenierung bei aller Sprödigkeit. Allerdings stellt die extreme DV-Wackelkamera von Yoliswa Gärtig selbst strapazierfähige Zuschauernerven auf die Probe.

Bemerkenswert an der Patchwork-Family-Konstellation ist der humoristische Clou des familiären Rollenwechsels: Der pragmatische Sohn ist hier cleverer als der lamentierende Vater, und der Jüngere kann dem Älteren einiges übers Überleben in einer kälter werdenden postindustriellen Gesellschaft beibringen. Die desillusionierte Milieuzeichnung der Tragikomödie erhält einen zusätzlichen heiter-ironischen Ton durch die leicht anachronistisch anmutenden Country-Songs, die der Loser und Tresenphilosoph Marcel so gern hört. Die realsozialistischen Songs stammen übrigens von Peter Tschernig, der in der DDR mit Johnny Cash verglichen wurde. Auch wenn Marcel am Ende noch immer keinen Job hat, die Hoffnung hat er nicht aufgegeben, wenn er über eine Brücke in die Ferne zieht. Und Sebastian hat lernen müssen, dass das mit der ersten Liebe doch nicht so einfach ist wie gedacht. Auf den Potsdamer Abschlussfilm von Robert Thalheim darf man schon jetzt gespannt sein.

Reinhard Kleber

 

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Ausgabe 102-2/2005

 

Inhalt der Print-Ausgabe 102-2/2005|

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Interviews

Ghobadi, Bahman - "Solange Öl und Geld bei uns fließen, wird es immer Krieg geben"| Kravchuk, Andrei - "Jeder muss sich für sein Leben verantwortlich fühlen und dafür etwas tun"| Mandoki, Luis - "Ich hoffe, dass die Regierungen an uns Kinder denken, bevor sie ihre Entscheidungen treffen"|

Hintergrundartikel

Der Dichter und die Märchen seines Lebens|


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